IM INTERVIEW: WOLFGANG LEONI

"Wir hängen alle am süßen Gift der Liquidität"

Über das Start-up HQ Asset Management, seine Branche, die Unterdrückung des Bauchgefühls und die spekulative Anlageklasse Gold

"Wir hängen alle am süßen Gift der Liquidität"

Herr Dr. Leoni, wer hat in einem auf der Anbieterseite gut besetzten und in Konsolidierung befindlichen Markt auf eine HQ Asset Management (HQAM) gewartet?Niemand. Und weil das so ist, müssen wir anders sein als unsere geschätzten Mitbewerber, möglichst besser. Wir sind ja auch nicht angetreten, um den 458. European Equity Long-only Fund anzubieten. Das wäre nicht sehr aussichtsreich. Wir müssen vielmehr Produkte oder, wie man heute gerne sagt, Lösungen anbieten, die die Kunden so bisher nicht am Markt vorgefunden haben. Da sind wir auf einem guten Weg. Was machen Sie denn anders?Wir bieten Aktieneinzeltitelselektion und Multi-Asset an. Letzteres vorzugsweise im Sinne von Risiko-Overlay-Konzepten. Dafür haben wir innovative Ansätze in Form quantitativer, auf künstlicher Intelligenz und Machine Learning basierender Modelle entwickelt. Anhand der Researchergebnisse dieser Modelle bauen wir Portfoliostrukturen, wobei wir in der Regel eine benchmarkfreie Umsetzung favorisieren, denn die auf die Marktkapitalisierung ausgerichteten Indizes erscheinen uns nicht sehr sinnvoll. Sie gewichten teure Aktien, die schon stark gelaufen sind, im Portfolio hoch und billige Aktien, die noch nicht so gut gelaufen sind, tendenziell zu niedrig. Wichtig ist aber auch, was wir nicht machen. Zum Beispiel?Wir sind nicht auf der Rentenseite unterwegs, betreiben also kein Bond Picking, weder bei Staatsanleihen noch bei Unternehmensanleihen. Quantitativer Ansatz heißt: Bauchgefühl spielt gar keine Rolle?Auch ein noch so ausgefeiltes quantitatives Modell kann natürlich kein Ereignis wie 9/11 oder einen Versuch von Porsche, VW zu übernehmen, vorhersagen. Aber von solchen absoluten Ausnahmesituationen abgesehen, unterdrücken wir unser Bauchgefühl in der Tat. Das macht ja gerade diesen sehr klar strukturierten und nachvollziehbaren Investmentprozess aus. Welche Funktionen decken Sie im Haus ab?Wir sind ein Start-up, das mit elf Kolleginnen und Kollegen – die allermeisten haben schon bei Sal. Oppenheim als Team zusammengearbeitet – im Vergleich ganz gut ausgestattet ist. Das Team konzentriert sich im Wesentlichen auf die Kernfunktionen eines Assetmanagers: Modellentwicklung beziehungsweise Research und Portfoliomanagement. Alles andere, wie Trading Desk oder Fondsbuchhaltung, haben wir outgesourct. Auch die enorme Rechenpower, die wir für die Entwicklung unserer Modelle brauchen, kaufen wir extern ein. An welche Zielgruppe richten Sie sich, und wo verläuft die Abgrenzung zum Geschäft Ihrer Schwestergesellschaften?Wir als HQ Asset Management wenden uns für den Bereich der liquiden Anlagen an die klassischen institutionellen Investoren wie Banken, Versicherungen, Family Offices oder Pensionskassen. Das Multi Family Office HQ Trust berät im Wesentlichen wohlhabende Privat-, aber auch institutionelle Kunden bei der Vermögensstrukturierung und -verwaltung sowie bei der Managerauswahl. HQ Capital, vielen noch besser bekannt durch die Namen Auda, Equita und Recap, investiert für ihre Kunden in Private Equity, mittelständische Unternehmen und US-Immobilien. Welches Volumen bewegt HQAM aktuell?Zurzeit bewegen wir einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag. Sie müssen bedenken: Das Team kam Mitte vorigen Jahres an Bord. Dann brauchten wir eine Weile, um die Infrastruktur und die Modellwelt hinzustellen – eine teure Investition, die sich aber gelohnt hat, wie ich finde. Erst im März dieses Jahres haben wir dann begonnen, aktiv Kunden anzusprechen. Wir liegen aber kosten- und ertragsseitig voll im Plan. Wo wollen Sie hin?Unser Ziel ist es, möglichst schnell über 1 Mrd. Euro zu kommen. Das sollten wir im dritten Jahr geschafft haben. Wir sind mit vielen potenziellen Kunden in guten Gesprächen. Sie haben kaum Assets und keinen Track Record. Wie gewinnt man trotzdem Kunden?Das Fehlen eines echten Track Record ist für uns kein Nachteil. Als quantitativer Assetmanager können wir unsere Modelle mit Backtests überprüfen oder den Kunden nach vorne gerichtet mit Monte-Carlo-Simulationen zeigen, wie die Modelle funktionieren. Das ist sogar ein Vorteil im Vergleich zu einem traditionellen Fondsmanager, der “nur” eine Idee hat, die er verkaufen muss. Inwieweit investiert die Familie Harald Quandt als Eigentümer von HQAM in Ihre Fonds?Die Familie hat in unseren Publikumsfonds, den “Global Equities DM4EM”, investiert, mit dem wir mit Aktien aus Developed Markets ein Exposure zu den Emerging Markets aufbauen. Was ist der Vorteil gegenüber direkten Investments in Schwellenmärkten?Wenn Sie an der Dynamik dieser Volkswirtschaften partizipieren wollen, tun Sie sich mit einem Direktinvestment schwer, weil die Aktienindizes die ökonomischen Strukturen und die volkswirtschaftliche Größe dieser Länder sehr unvollkommen widerspiegeln. China zum Beispiel ist von der Wirtschaftsleistung her von weitaus größerer Bedeutung, als es in der Marktkapitalisierung des MSCI Emerging Markets Index zum Ausdruck kommt. Gilt dieses Missverhältnis nicht auch für deutschen Aktienmarkt?Da haben Sie recht, aber das ist ein anderes Thema: die Aktienkultur in Deutschland. Doch zurück zu den Emerging Markets: Ein Direktinvestment birgt noch weitere Nachteile, denken Sie an Währungsrisiken oder an die geringe Liquidität, die erfahrungsgemäß problematisch sein kann. Diese Nachteile vermeiden wir bei unserem Ansatz. Wie gehen Sie konkret vor?Wir schauen uns die Ausfuhren der G8-Länder in 23 Emerging Markets an und erstellen anhand der Exportdaten für jedes der acht Länder eine Sektorallokation, die zu einem optimalen Exposure zu den 23 Schwellenländern führt. Die entstehende Matrix der G8-Länder mit ihren 24 Sektoren befüllen wir dann mit Aktien aus den Developed Markets. Das sind typischerweise Titel aus Industrien, die für den Aufbau einer Volkswirtschaft wichtig sind, zum Beispiel Grundstoffe, Investitionsgüter oder Nahrungsmittel, also vergleichsweise “langweilige” Aktien. Die Volatilität des Portfolios ist bei einer dem MSCI EM entsprechenden Rendite viel geringer als bei einem Direktinvestment. Das Alpha kommt über unsere Einzeltitelselektion hinzu. Diesen Fonds könnte ich als Privatanleger auch kaufen?Den hätten Sie schon kaufen sollen. Denn die Performance kann sich sehen lassen. Seit Auflegung des Fonds Mitte April beträgt sie 5,5 %, das ist ungefähr 1 Prozentpunkt mehr, als der MSCI World in der gleichen Zeit gebracht hat, und der MSCI EM lag sogar mit fast 3,5 % im Minus. Das macht uns schon ein bisschen stolz, wenngleich ich zugeben muss, dass der Track Record zeitlich noch recht überschaubar ist. Das ist Ihr einziger Publikumsfonds?Im Moment, ja. Wir denken aber über einen europäischen oder globalen Aktienfonds nach, der ausschließlich auf Basis künstlicher Intelligenz investiert, und zwar auch eher benchmarkfrei, um die Alpha-Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, die in dem von uns entwickelten Researchansatz steckt. Wie schätzen Sie die Aussichten für die Assetmanagement-Branche im Allgemeinen ein?Die Zuwächse sind gerade im institutionellen Geschäft nach wie vor hoch – mit einer Größenordnung von jährlich 10 % fast doppelt so hoch wie im Wealth Management -, und sie sind nachhaltig. Die Altersvorsorgeprobleme müssen zunehmend über die dritte Säule gelöst werden, davon profitieren die Kapitalmärkte und das Assetmanagement. Dieser für unsere Industrie positive Trend wird anhalten, auch wenn die Lage zwischenzeitlich schwierig sein mag. Empfinden Sie den Margendruck nicht als bedrohlich?Wenn Sie als Vermögensverwalter einen benchmarkorientierten Equity Long-only Fund managen, der mal ein bis zwei Ångström über oder unter der Benchmark investiert ist, dann kann der Margendruck für Sie in der Tat zum Problem werden. Wenn Sie aber als Anbieter eine Innovationsprämie vereinnahmen können, ist der Druck noch auszuhalten. Unser erwähnter Publikumsfonds kostet für institutionelle Anleger 0,85 % Managementgebühr. Das ist nicht so schlecht. Glauben Sie an eine Aufspaltung des Marktes in ganz große Anbieter einerseits und kleine spezialisierte Investmentboutiquen andererseits, während es mittelgroße Häuser zunehmend schwer haben dürften?Das ist schwer vorherzusagen. Deutlich absehbar ist aber, dass sich die längst in Gang gekommene Polarisierung zwischen Anbietern passiver Produkte, also ETFs, und aktiven Managern in Zukunft noch beschleunigen wird. Die Aktiven wiederum werden sich differenzieren, indem sie entweder den Return- oder den Risiko- beziehungsweise Volatilitätsaspekt in den Vordergrund stellen und ihre Portfolien entsprechend konstruieren. Die Kunst für ein Haus wie das unsrige besteht darin, den Regler zwischen diesen Variablen auf intelligente Weise so zu verschieben, wie es der Kunde haben möchte. In dieser Nische sehen wir unseren Platz. Schwierig könnte es für die Semi-Aktiven werden. Das sind die mit den ein bis zwei Ångström unter oder über der Benchmark?Genau. Denen dürfte es zunehmend schwerfallen, für die Anleger nach Kosten echten Mehrwert zu generieren. Wer sind denn diese “Semi-Aktiven” konkret?Das sind im Grunde alle stark benchmarkorientierten gängigen Produkte der großen Publikumsfondsgesellschaften. Damit will ich keineswegs sagen, dass die Institutionen mit etablierten und funktionierenden Vertriebskanälen aussterben werden. Sie werden weiter den Markt dominieren. Aber im institutionellen Bereich hat diese Art von Management auf Dauer keine Daseinsberechtigung. Und hier liegt eine große Chance gerade für bankenunabhängige Boutiquen wie HQAM. Die professionellen Anleger kombinieren verstärkt passive und aktive Elemente?Das geschieht typischerweise schon heute: Passive Module als Grundinvestment und Zumischung aktiv gemanagter Produkte, von denen man überzeugt ist, dass sie einen Mehrwert liefern. Lassen Sie uns über die Märkte sprechen.Gerne. Da sehen Sie mich genauso staunend wie alle anderen. Wir leben in verrückten Zeiten, oder?Wir hängen alle am süßen Gift der Liquidität. Die Märkte sind heute im Grunde zentralbankgetrieben. Mario Draghi und demnächst sicher auch seine Nachfolgerin an der EZB-Spitze, Christine Lagarde, die der Politik ja noch näher steht, sorgen dafür, dass den Märkten der Stoff nicht ausgeht. Kommt man aus dieser Abhängigkeit jemals wieder heraus?Extrem schwierig. Lassen Sie mich mit einem anderen Bild antworten: Beim Bergsteigen passieren die meisten Unfälle beim Abstieg. Da muss man mindestens so trittsicher sein wie beim Aufstieg, um nicht abzustürzen. Die Zentralbanken wissen nicht, ob ihr nächster Schritt ins Leere führt. Und je länger sie oben am Berg sind, desto mehr schwinden ihre Kräfte für den Abstieg. Keiner hat Erfahrung mit so einer Situation. Es ist ein Riesenexperiment, und niemand weiß, wie es ausgeht. Die Notenbanken haben ursprünglich ja das Richtige getan, sich dann aber leider von der Politik in die jetzige Situation hineinmanövrieren lassen. Sie haben aber auch nicht ernsthaft versucht, sich aus der Zwangslage zu befreien.Soweit Sie die EZB und die Bank of Japan meinen, trifft das sicher zu. Die Fed hat es immerhin versucht. Was raten Sie Ihren Kunden vor diesem Hintergrund?Solange die Situation so ist, wie sie ist, sind Aktien praktisch alternativlos. Auch wenn ich damit seit zwei Jahren falsch liege, würde ich heute niemandem empfehlen, seine Rentenquote massiv aufzustocken und bei negativen Renditen zehn- oder 30-jährige Bundesanleihen zu kaufen. Ich vermag mir immer noch nicht vorzustellen, dass diese Situation, über die wir sprechen, mit den ganzen irrationalen Verzerrungen von Konsum- und Investitionsentscheidungen wirklich auf Dauer Bestand haben kann. Ich habe mal gelernt, dass der Zins eine Zeitpräferenzrate ist. Und ich bin zudem fest davon überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen heutigen Konsum dem von morgen vorzieht und deshalb der Zins positiv sein muss. An die altbekannten Gesetze und Zusammenhänge glauben nicht mehr alle Volkswirte.Volkswirte können hinterher immer gut erklären, warum etwas passiert ist. Sie sind selbst einer!Ich räume ein, dass die Gesetze der Ökonomie, die ja keine Naturwissenschaft ist, zeitweise außer Kraft gesetzt werden können. Aber irgendwann muss auch die Gravitationskraft des Zinses wieder zum Tragen kommen. Allerdings weiß kein Mensch, wann wir in diese Normalität zurückfinden. Raten Sie noch zu Investments in Immobilien?Als Schwabe halte ich grundsätzlich eine Menge von Immobilieninvestments. Und im gegebenen Umfeld dürfte der Trend zu Immobilien anhalten. Wer wie der typische Deutsche das Risiko von Aktien nicht aushält, hat sowieso fast keine andere Wahl. Wirtschaftlich lohnen sich Immobilieninvestments heute jedoch nur noch, wenn es mit den Preisen weiter nach oben geht. Bei Einstiegsrenditen von nicht einmal 3 % vor Kosten und Steuern – von der Inflation ganz zu schweigen – bleibt nicht viel hängen. Wer nicht mit einer Fortsetzung der bisherigen Preisentwicklung rechnet, sollte nur noch dann auf Immobilien setzen, wenn er glaubt, dass – salopp gesagt – alles in die Grütze geht. Dann mögen Immobilien eine gewisse Sicherheit bieten. Aber Vorsicht: Wie der Name schon sagt, ist diese Assetklasse immobil. Der Staat könnte jederzeit darauf zugreifen, ohne dass man als Eigentümer seinen Koffer packen und das Vermögen verlagern kann. Alles schon mal dagewesen. Und wie sieht es mit anderen Alternative Investments aus?Mein Eindruck ist, dass darüber mehr gesprochen und in der Presse geschrieben wird, als in der Realität stattfindet – was im Grunde zu bedauern ist, da diese Investments im Portfoliokontext sehr diversifizierend wirken. Aber wir reden hier von zum Teil sehr komplexen und illiquiden Produkten, und ich bin mir nicht sicher, dass jeder Anleger genau weiß, ob die Anlageklasse wirklich zu ihm passt. Das ist ein schwieriges Thema, auch mit Blick auf die Produkt- und Managerauswahl. Sie haben doch die notwendige Expertise im Haus.Hier im Haus haben Alternative Investments eine lange Tradition. Die Kollegen von HQ Trust und HQ Capital können die Fonds sehr gut einschätzen, da sie schon lange mit den Managern zusammenarbeiten und wissen, wer gute Arbeit macht. Davon profitieren auch die Anleger. Aber gilt das auch für den Markt in Gänze? Da habe ich meine Zweifel. Was halten Sie von Gold?Da halte ich es mit Warren Buffett, der treffenderweise gesagt hat, wenn er Gold kaufen würde, müsste er der Meinung sein, am nächsten Tag einen noch Dümmeren zu finden, der es ihm zu einem höheren Preis wieder abnimmt. Wenn Gold, wie typischerweise in Krisenzeiten, auf Höchstpreise klettert und Sie sind als Wealth Manager nicht dabei, müssen Sie sich natürlich regelmäßig rechtfertigen: Warum nur haben wir nicht auch auf Gold gesetzt! Tut mir leid: Ich kann beim besten Willen nicht einschätzen, was der faire Wert von Gold ist. Es wirft keinen Ertrag ab und hat somit keinen inneren Wert. Die Leute kaufen es, weil sie in einer Finanz- oder Staatsschuldenkrise auf Nummer sicher gehen wollen. Dabei ist Gold eine der spekulativsten Anlagen, die man sich vorstellen kann. Nein, mit Gold kann ich wirklich nichts anfangen. Das Interview führte Bernd Wittkowski.