"Wir können nicht alles machen"
Herr Vollert, die Bedeutung von Axa auf dem deutschen Markt nimmt ab. In den vergangenen zwei Jahren hat der Konzern hierzulande Marktanteile verloren. Das war nicht das, was Sie eigentlich wollten.Für uns ist wichtig, dass wir in unserer Transformation in den richtigen Marktsegmenten wachsen. Wir wollen weg von Kapitalmarktrisiken stärker hin zur Abdeckung von versicherungstechnischen Risiken. Wir sind 2018 in der Schaden- und Unfallversicherung um 3,3 % gewachsen und damit auch etwas über dem Markt. Wir haben im Firmenkundengeschäft deutlich zugelegt. Wir haben die Mehrheit am Rechtsschutzversicherer Roland zusammen mit der Gothaer übernommen. Wir sind in der Krankenversicherung um 2,4 % und in unserem bevorzugten Lebensversicherungsgeschäft mit Biometrie und neuen Altersvorsorgeprodukten um 5 % gewachsen. Gleichzeitig sind wir in dem bestehenden Geschäft mit klassischen Garantien, das immer noch groß ist, um 4,7 % geschrumpft. Dadurch und durch den Verkauf unserer Pensionskasse Pro bAV kommt im Lebengeschäft ein Minus von 3,7 % heraus. War die Mehrheitsübernahme von Roland ein Einzelfall oder sind Zukäufe weiter ein Thema?Der Versicherungsmarkt in Deutschland ist in Bewegung und den Wandel wollen wir aktiv mitgestalten. Wir sehen uns gut aufgestellt in der jetzigen Marktsituation. Wir treiben unsere Transformation voran, und es stellt sich für uns die Frage, was uns dabei hilft. Zukäufe können langjährige Integrationsprozesse bedeuten. Bei Roland war das anders, weil wir lange Jahre schon verbunden und Anteilseigner waren. Sie haben ihre breit aufgefächerte Digitalstrategie mit teilweise sehr weit vom Versicherungsgeschäft entfernten App-Angeboten begründet mit “Wir wollen relevant im Leben unserer Kunden sein”. Gemessen an den Marktanteilen funktioniert das ja nicht so gut. Müssen Sie die Strategie ändern?Erst einmal: Für uns ist relevant, dass wir in den Bereichen, die wir für zukunftsträchtig halten, besser sind als der Markt. Und das sind wir. Darüber hinaus stehen wir absolut zu unserer Strategie, uns in Richtung Ökosysteme weiterzuentwickeln und dabei über die Grenzen des klassischen Versicherungsgeschäfts hinauszugehen. Wir können natürlich nicht alles machen, sondern fokussieren uns zunächst auf bewusst gewählte Themenfelder: Gesundheit, alles rund um kleine und mittelständische Unternehmen und das Thema Haus und Wohnen. Hier sind wir dabei, unsere Kundenbeziehungen auszubauen und auch sehr viel präsenter im Leben unserer Kunden zu werden. Wie geht das?Wir wollen mehr als Leistung im Schadenfall bieten. Wir wollen deutlich intensivere Kundenbeziehungen haben – durch mehr Kontakte und durch Services. Damit generieren wir auch in Zukunft für uns neue Marktchancen. Dafür brauchen wir mehr Partnerschaften. Mit den Services machen wir heute natürlich noch nicht unseren Hauptumsatz. Den machen wir noch längere Zeit in unserem angestammten Versicherungsgeschäft. Aber wir haben uns auf den Weg gemacht. Ein konkretes Beispiel bitte.Unsere Begleit-App WayGuard zählt inzwischen mehr als 260 000 Nutzer. Jetzt haben wir WayGuard weiterentwickelt und gemeinsam mit dem auf Fahrradbeleuchtung spezialisierten Hersteller Litecco eine smarte Fahrrad-Rückleuchte konzeptioniert. Ergebnis der Zusammenarbeit ist der erste E-Call für Radfahrer in Deutschland, der bei einem Sturz einen Notruf startet und mit einer professionellen Leitstelle verknüpft ist. Dies ist ein konkreter Schritt zur Monetarisierung von Diensten wie WayGuard. Denn um das Sicherheitspaket abzurunden, ist im Kauf der Rückleuchte eine Fahrrad-Unfallversicherung von Axa enthalten, die der Nutzer optional via App aktivieren kann. Die Rückleuchte ist bereits ab Mitte Juli im deutschen Fahrrad-Fachhandel erhältlich. Das generiert aber keine großen Prämieneinnahmen.Das sind Dinge, die relativ langsam wirken. Wir fangen mit vielen Services ja erst an – zum Beispiel auch in der Krankenversicherung und für kleine und mittlere Unternehmen. Junge Digitalversicherer drängen an den Markt, gerade ist das US-Start-up Lemonade mit viel Tamtam an den deutschen Markt gekommen. Axa Deutschland ist der Rückversicherer. Ist das die Strategie, auf diese Weise die jungen Wilden unter Kontrolle zu halten?Ein Kollege hat mal gesagt: Opportunity meets Prepareness. Wir waren über Axa XL schon lange und sehr früh Anteilseigner von Lemonade und hatten damit schon den Kontakt. Wir sind offen für Partnerschaften. Der Markt wird sich sehr schnell bewegen und wir tun gut daran, nicht zu glauben, wir könnten alles allein. Ziehen Sie damit nicht den jungen Konkurrenten groß?Wir finden das Geschäftsmodell von Lemonade sehr spannend, weil sie versuchen, die Gewinnorientierung mit einem gemeinnützigen Gedanken zu verbinden. Wenn eine Schadenquote nicht erreicht wird, wird der Überschuss gespendet. Das ist erst mal eine sehr gute Idee. Lemonade richtet sich an ein junges, sehr digitalaffines Kundensegment, agiert im umkämpften Direktmarkt und wird nicht auf Vergleichsportalen sein. Insofern wird die Überlappung mit unserem Geschäft sogar im Direktvertrieb begrenzt sein. Es ist für uns auch interessant, von Lemonade zu lernen. Ich glaube, dass die Zusammenarbeit für uns eine Menge Opportunitäten birgt. Vor einem Jahr hat die Axa eine große länderübergreifende Kooperation mit der ING bekannt gegeben – einige sprachen schon von Bancassurance 2.0. Wie weit sind Sie in Deutschland mit der Entwicklung von Produkten und dem Vertrieb?Wir sind in Deutschland gerade sehr intensiv damit beschäftigt, Produkte an den Markt zu bringen. Sie können davon ausgehen, dass das noch in diesem Jahr passiert. Das dauert ganz schön lange.Im Gegenteil, das ging schneller als üblich bei solchen Vorhaben. Die Ausgangslage ist die, dass wir eine globale Vereinbarung geschlossen haben. Das haben wir erst auf die lokale Ebene heruntergebrochen und vertraglich und juristisch einen Rahmen für den einzelnen Markt geschaffen. Teams wurden organisiert, Arbeitsweisen abgestimmt, Prozesse definiert, Konzepte entwickelt – das braucht Zeit. Wir wollen auch eine Kundenerfahrung erreichen, die etwas anders ist als das, was man kennt. Welches wird das erste Produkt sein?Das sagen wir zu gegebener Zeit. Axa Deutschland hat sich von ihrer Pensionskasse getrennt und sie an den Abwickler Frankfurter Leben gegeben. Ist das Thema für Sie jetzt durch oder könnten auch noch weitere Bestände an Run-off-Plattformen verkauft werden?Das Thema steht nicht auf der Agenda. Die Leben-Bilanz ist nach dem Verkauf der Pro bAV gesund, das Asset-Liability-Management ist ausbalanciert. Ihre Mutter hat im vergangenen Jahr den Industrie- und Rückversicherer XL übernommen. Welche Auswirkungen hat das auf Ihr Geschäft hierzulande?In der Zusammenarbeit mit Axa XL können wir unser Angebot komplettieren und Spezialitäten anbieten, was wir mit Axa Deutschland allein so nicht machen könnten. Konkrete Beispiele für die Zusammenarbeit sind D&O und Cyber. Auch vertrieblich gibt es Synergien. Wir haben mit Axa Deutschland Kontakt zu einer Menge Großunternehmen, zu denen Axa XL heute noch keinen Kontakt hat. Ich bin mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden. Die Verweildauer der Axa-Vorstände ist auch unter Ihrer Führung eher kurz. Woher kommt das und führt das nicht zu viel unproduktiver Unruhe?Wir haben eine Organisationsstruktur geschaffen, die unsere Transformation maximal unterstützt. Das ist im Kern eine funktionale Organisation, dafür haben wir einige Veränderungen vorgenommen: Wir haben ein Operationsressort und ein Vertriebsressort geschaffen sowie die Verantwortung für die Personenversicherung zusammengelegt. Wir haben ein Ressort Kundenmanagement geschaffen, um die Stimme des Kunden am Tisch des Vorstands zu haben. Jeder muss für sein Ressort auch eine klare Vision haben. Der jüngste Vorstand ist 38, der älteste 53. Das ist ein Vorstandsteam, das nah an jüngeren Zielgruppen dran ist, aber auch schon viel Expertise gesammelt und strategischen Weitblick hat. Ich fühle mich mit meinem Team sehr wohl. Wie sind die Aussichten für das Geschäft von Axa Deutschland für dieses Jahr?In Summe sehen Sie mich entspannt. Ich bin optimistisch, dass wir unsere gesteckten Ziele 2019 erreichen werden. In den von uns fokussierten Geschäftsfeldern wollen wir über dem Markt wachsen. Das Interview führte Antje Kullrich.