"Wir können nicht das Marktumfeld steuern"
Frau Peel, die Aktie der DWS hat sich als sensibel erwiesen: In der Coronakrise hat sie zeitweise mehr als die Hälfte an Wert verloren, sich aber in den vergangenen Wochen stark erholt. Was steht hinter dieser Entwicklung?Wir haben in den vergangenen Wochen eine Achterbahnfahrt an den Börsen gesehen, und diese Entwicklung schlägt sich im Kurs der DWS-Aktie nieder. Im Februar hatten wir ein Rekordhoch von 39,99 Euro erreicht, im März ist die Aktie auf ein Allzeittief von 17,30 Euro gefallen. In den vergangenen Tagen schwankte der Wert um die Marke von 34 Euro. Hinter diesem Anstieg steht nicht nur die breite Marktentwicklung, sondern auch grundlegendes Vertrauen der Investoren: Wir haben unsere Ziele im vergangenen Jahr erreicht und im ersten Quartal dieses Jahres eine gute Performance erzielt und Widerstandsfähigkeit gezeigt. Die gesamte Assetmanagement-Branche hat in der Krise ihre wichtige Rolle für die Anleger unter Beweis gestellt. Wie hat sich das Geschäft der DWS in den zurückliegenden Wochen entwickelt?Nach dem beispiellosen Einbruch des Markts im ersten Quartal haben wir im April erklärt, dass die Erträge im laufenden Jahr unter dem Niveau von 2019 liegen werden. Zugleich sehen wir nun eine Erholung an den Märkten im April und Mai. Das hat unser verwaltetes Vermögensvolumen gestützt, doch wir sind noch nicht zum Niveau zurückgekehrt, das wir Ende 2019 erreicht haben. Wir sind vorsichtig optimistisch gestimmt, dass der Lockdown in vielen Ländern langsam gelockert wird und sich die Erholung an den Börsen fortsetzt. Wir stehen aber noch ganz am Anfang der wirtschaftlichen Öffnung. Im Neugeschäft hat die DWS im März deutliche Reaktionen der Anleger verzeichnet. Investoren wie Versicherer und Pensionskassen haben im ersten Quartal Geld aus Anleihenportfolios abgezogen, aber in Geldmarktfonds angelegt. Aktien-ETFs haben Mittel verloren, während Renten-ETFs Zuflüsse verzeichnet haben.Im März haben Investoren sichere Häfen angestrebt, sie bewegten sich hin zu Cash-Produkten, hin zu Liquidität, hin zu Anlageklassen, die in der Krise gebraucht werden. Im zweiten Quartal sehen wir zum Teil eine Gegenbewegung und ETFs, die Anlagevolumen zurückgewinnen. Wichtigstes Ziel der DWS ist eine solide Kostenbasis. Die Aufwand-Ertrag-Relation soll 2021 unter die Marke von 65 % rutschen – vorausgesetzt, die Erholung an den Märkten setzt sich im zweiten Halbjahr dieses Jahres fort. Kippt also das Ziel, wenn es einen weiteren Kursrutsch gibt?Die Märkte werden natürlich schwanken, darauf müssen wir reagieren. Wir können nicht das Marktumfeld steuern, in dem wir uns bewegen, aber wir haben die Kontrolle über unsere Kosten. Deshalb sind wir entschlossen, im kommenden Jahr eine bereinigte Aufwand-Ertrag-Quote von weniger als 65 % zu erreichen. Die Einnahmenbasis ist nach dem Kursrutsch im März kleiner als zuvor. Somit müssen die Kosten stärker sinken also zunächst veranschlagt. Bleibt dafür Raum?In der Tat. Es macht sich sofort bemerkbar, dass wir wegen der Coronakrise nicht mehr physisch um den Globus unterwegs sind. Auch in unmittelbarer Zukunft werden wir Reisen vermeiden. Veranstaltungen sind nun digital, was auch Kosten spart. Darüber hinaus denken wir darüber nach, wie wir unsere Ressourcen langfristig einsetzen. Das betrifft etwa die Nutzung von Immobilien und unsere Beziehung zu Dienstleistern. Unsere bisherigen Sparanstrengungen können wir noch erweitern. Im Januar hat sich die DWS ein ehrgeizig anmutendes Ziel gesetzt: Um 150 Mill. Euro pro Jahr soll die Kostenbasis der DWS bis Ende 2021 im Vergleich zu 2019 sinken – eine Bruttogröße, bei der etwaige neue Kosten wie Investitionen nicht eingerechnet sind. Wie viele Millionen Euro lassen sich durch zusätzliche Maßnahmen realisieren?Wir können sicher zu den genannten 150 Mill. Euro noch einiges hinzufügen. Anstatt uns auf die absolute Höhe der Bruttoeinsparungen zu konzentrieren, orientieren wir uns dabei in erster Linie an einer effizienten Aufstellung des Unternehmens und am Aufwand-Ertrag-Verhältnis. Wir werden weiterhin sowohl investieren als auch sparen. Vor wenigen Tagen hat die DWS angekündigt, die Sparten Vertrieb, Investment und Produkte stärker voneinander abzugrenzen und die Struktur global auszurichten. Der Vorstand wird von acht auf sechs Mitglieder verkleinert. Warum kommt der Umbau jetzt?Die Megatrends, die wir im Rahmen unserer Unternehmensstrategie identifiziert hatten, werden unsere Branche weiterhin unverändert aus der Komfortzone herausdrängen – und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben diese Trends nur noch weiter verstärkt. Unsere Fähigkeit, auf anhaltend niedrigste Zinsen, Margenkompression, Digitalisierung und ESG die richtigen Antworten zu geben, wird der Schlüssel für unseren zukünftigen Erfolg sein. Wir vereinfachen daher unsere globale Struktur, um stärker integriert und agiler zu werden, beseitigen Silos, schaffen klarere Verantwortlichkeiten, verbessern unsere Effizienz und Kundenorientierung und führen ein weltweit konsistenteres Geschäftsmodell ein. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin ruft die Fondsbranche auf, neue Instrumente zur Sicherung der Liquidität in Fonds zu nutzen. Wie stellt die DWS sicher, dass Fonds ihre Vermögenswerte rasch verkaufen können, wenn Anleger ihre Mittel abziehen?Bereits vor den neuen Regeln, die im März im deutschen Recht verankert worden sind, haben wir die Liquidität in unseren Fonds im Rahmen eines robusten Risikomanagementsystems gesteuert. Die Erfahrungen aus vergangenen Krisen haben der Fondsbranche bereits wichtige Lehren ermöglicht, zum Beispiel, wie die Fonds strukturiert sein sollten. Wir haben sichergestellt, dass die Liquidität in den Fonds in der Stressphase im März erfolgreich gesteuert wurde. Welche der neuen Instrumente wird die DWS bevorzugt nutzen? Wird sie Fonds mit Rückgabefristen versehen, die Abflüsse in ihrer Höhe begrenzen oder die An- und Verkaufspreise von Fondsanteilen anpassen?Das hängt sehr von der Art des Fonds ab und der Fondsregulierung im jeweiligen Rechtssystem. Es ist unsere treuhänderische Verantwortung, zur Steuerung von Liquiditätsrisiken ein Rahmenwerk aufzusetzen und über alle Fonds hinweg die relevanten Parameter zu überwachen. Dabei wenden wir die geeigneten Instrumente an, wenn dies zum Schutz der Anleger erforderlich ist. Die EZB und nationale Aufseher drängen Banken dazu, auf Gewinnausschüttungen vorerst bis Oktober zu verzichten. Die DWS ist als Fondsgesellschaft nicht davon betroffen – trotzdem hat sie ihre Dividendenausschüttung verschoben. Warum?Die Entscheidung, die Hauptversammlung auf das vierte Quartal zu verschieben, wurde vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie und unter Berücksichtigung des vorherrschenden Geistes der Regulierung getroffen. Insbesondere haben wir die Pflicht, die Gesundheit und Sicherheit unserer Aktionäre, Mitarbeiter und Dienstleister zu schützen. Eine Dividende wird dann mit Beschluss der verschobenen Hauptversammlung möglich sein. Unser Aufsichtsrat hat diesem Vorschlag zugestimmt. Inmitten der Coronakrise und des turbulenten Marktumfelds war das die richtige Entscheidung. Glauben Sie, dass die Finanzaufsicht einer Dividende im vierten Quartal zustimmen wird?Wie Sie richtig angemerkt haben, gelten die Vorgaben der Aufseher für Banken und nicht für Fondshäuser. An unserem Vorschlag für eine Dividende von 1,67 Euro je Aktie haben wir festgehalten – vorbehaltlich der Zustimmung durch die Hauptversammlung. DWS-Chef Asoka Wöhrmann hat hervorgehoben, die Aktionäre und ihre Vertreter vorzugsweise auf einer physischen Hauptversammlung treffen zu wollen. Warum ist Ihnen der Kontakt wichtig?Wir würden es begrüßen, unsere Aktionäre auf der Hauptversammlung persönlich zu treffen. Es handelt sich immerhin erst um unsere zweite Hauptversammlung seit dem Börsengang im März 2018. Eine virtuelle Veranstaltung bleibt aber eine Option, denn wir wissen natürlich nicht, welche Lockerungsschritte bis zum Herbst erlaubt sein werden. Für die Belegschaft der DWS ist Präsenz derzeit nicht angesagt – viele sind immer noch im Homeoffice. Welche Erfahrungen hat die DWS damit gemacht?Als das Virus zunächst in China ausbrach, haben wir in Hongkong mit Homeoffice angefangen. Im März haben wir in Europa zunächst mit geteilten Teams gearbeitet, aber nach nur anderthalb Wochen haben wir die Mehrheit ins Homeoffice geschickt. Dieser Übergang vollzog sich sehr schnell. Danach folgten die USA. Wir machen einige Ausnahmen, insgesamt waren aber mehr als 90 % der Mitarbeiter im Homeoffice. Wir fangen jetzt an, die Regeln an einigen Orten, darunter in unserer Zentrale in Frankfurt, langsam zu lockern. Mit Ausnahme Asiens sind wir aber noch sehr vorsichtig, die Türen wieder zu öffnen. Hat sich die Arbeit verändert?Die Umstellung hat gut funktioniert. Am Anfang gab es viele Skeptiker. Unsere technischen Teams haben aber eine phänomenale Arbeit geleistet, unsere Erfahrung mit der neuen Technologie ist der größte Gewinn. Das wird ein Katalysator dafür sein, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Wir beschäftigen Mitarbeiter auf der ganzen Welt, die sich gut von zu Hause aus abgestimmt haben. Welche Vor- und Nachteile der Heimarbeit sehen Sie?Die durchgehende Arbeit am Bildschirm zu Hause ist sehr intensiv, es fehlen Gemeinschaft und die Möglichkeit, eine Idee schnell am Schreibtisch zu diskutieren. Zugleich ist die neue Arbeitsform für die Work-Life-Balance gut: Wenn die Anfahrtszeit wegfällt, bleibt etwas mehr Zeit für das Privatleben, während die beruflichen Aufgaben nicht zurückgestellt werden. Gerade an Standorten wie New York, London oder Tokio mit langen Pendelzeiten. Wachstum erhofft sich die DWS künftig gerade in Asien. China verschärft mit einem Sicherheitsgesetz die Kontrolle über Hongkong, die Spannungen zwischen den USA und China nehmen zu. Wie beeinflusst das Ihr Geschäft?Wir sind in Asien an fünf Standorten präsent, neben Hongkong auch Japan, Korea, Taiwan und Singapur. Mit umgerechnet rund 40 Mrd. Euro ist das verwaltete Vermögen in der Region im Vergleich zum Gesamtkonzern aber noch gering. Auf dem chinesischen Festland in China sind wir darüber hinaus am Assetmanager Harvest mit 30 % beteiligt. Das ist eine Beziehung, die wir weiter ausbauen wollen, ob über neue Produkte und Lösungen oder über Vertriebsmechanismen. Was also folgt aus den politischen Spannungen?Wir sehen eine turbulente Zeit in Hongkong, aber das war schon vor der Pandemie zu Jahresbeginn so. Wir arbeiten weiterhin mit unseren Kunden und mit unseren strategischen Partnern zusammen, so wie wir es schon früher getan haben. Die politischen Spannungen haben in dieser Hinsicht keinen Einfluss auf unsere Arbeitsweise. Die DWS hat schon vor Jahren erklärt, in Asien und in den USA stärker wachsen zu wollen. Daraus ist nicht viel geworden.Wir haben in den vergangenen Quartalen viel erreicht. Die strategische Partnerschaft mit der japanischen Nippon Life trägt ähnlich wie die Kooperation mit Harvest Früchte und schlägt sich positiv in unserem Neugeschäft in Asien nieder. In den USA konzentrieren wir uns darauf, die Profitabilität des Geschäfts zu verbessern. Wir kontrollieren die Kosten sehr genau, was sich bereits positiv auswirkt. Das Neugeschäft in den USA war im Gesamtjahr 2019 positiv. Setzen Sie in den Regionen auf Übernahmen?Wir ziehen stets die Möglichkeit von Fusionen und Übernahmen in Betracht und gehen dabei vorsichtig vor. Die DWS befindet sich in einer privilegierten Stellung, sie ist mit einer breit diversifizierten Vermögensbasis global aufgestellt. Bei möglichen Gelegenheiten werden wir prüfen, ob eine Gesellschaft zu unserer Firmenkultur passt. Wir wollen in jedem Fall eine aktive Rolle in der laufenden Konsolidierungsphase spielen. Steht die starke Rolle der Deutschen Bank, die 79,5 % der Anteile besitzt und über die Rechtsform einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) Kontrolle ausübt, einer Fusion mit anderen großen Fondsgesellschaften im Weg?Wir betrachten Fusionen immer unter dem Maßstab, ob der neue Partner die Fähigkeiten der DWS bereichert, ob er Zugang in neue Regionen oder zu neuen Kundengruppen ermöglicht. Wenn es sich um eine groß angelegte Konsolidierung handelt, dann ist es ganz normal, dass wir mit unserem Mehrheitsaktionär genau evaluieren. Das sehe ich auch unabhängig von der Rechtsform. Ist eine Fusion mit UBS Asset Management, worüber im vergangenen Jahr spekuliert worden war, an der Frage der Eigentumsverhältnisse gescheitert?Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich zu Gerüchten und über Wettbewerber nicht äußern werde. Christian Sewing, der Chef der Deutschen Bank, hat im Dezember 2019 die Erwartung geäußert, die DWS könnte unter die Top 10 der weltweiten Vermögensverwalter aufsteigen. Das verwaltete Vermögen von 700 Mrd. Euro per Ende März müsste dazu auf deutlich über 1 Bill. Euro steigen. Ist das ohne Fusionen möglich?Wir konzentrieren uns auf organisches Wachstum und verfolgen mittelfristig das Ziel, einen Nettomittelzufluss von 3 bis 5 % pro Jahr gemessen an unserem verwalteten Vermögen zu erreichen. Wir haben es aber nicht eilig, einen bestimmten Wert beim verwalteten Vermögen zu erreichen. Das Ziel ist die Schaffung von Shareholder Value. In Ihrem Bonussystem üben Sie Distanz zur Deutschen Bank. Die Bezahlung orientiert sich nun stärker an der konkreten Rolle, weniger am Titel, wie die DWS im vergangenen Jahr ankündigte.Für die DWS ist eine Entlohnung wichtig, die auf Regeln für Vermögensverwalter basiert. Wir haben gesehen, dass die Vergütungsstruktur eines Kreditinstituts nicht so sehr an den Bedürfnissen einer Fondsgesellschaft ausgerichtet ist. Neben einem festen Element in der Vergütung gibt es einen variablen Teil, der stark leistungsbezogen an die individuellen Vorgaben und die Ziele des Unternehmens gebunden ist. Wir sind auch in der Lage, die Vergütung an die Entwicklung eines DWS-Fonds zu knüpfen oder an den Börsenkurs unseres Unternehmens. Wie praktisch! Wenn die Kurse fallen, sinkt die Entlohnung Ihrer Mitarbeiter, wie im ersten Quartal zu beobachten war.Das System geht aber in beide Richtungen, und das ist auch das, was wir erreichen wollen. So koppeln wir die Entlohnung an den langfristigen Erfolg des Unternehmens. Im vergangenen Jahr hat ein Mitarbeiter der DWS im Durchschnitt einen sechsstelligen Eurobetrag verdient, im Vergleich zu anderen Branchen auffällig viel. Ist eine so hohe Entlohnung angemessen?Wichtig ist doch vielmehr die Frage, ob die Gehaltsstruktur unsere Ziele als treuhänderischer Assetmanager unterstützt. Die Entlohnung ist an Leistungen geknüpft, die im Kern unseren Kunden dienen. Eine starke Leistung wird belohnt, doch nicht jedes Jahr endet mit einem sehr guten Ergebnis. Daher ist ein Großteil der Entlohnung variabel. Wir belohnen und bezahlen für Leistung. Das Interview führten Jan Schrader und Silke Stoltenberg.