"Wir müssen kühlen Kopf bewahren"
Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) verteidigt das Festhalten des Standardsetzers IASB an den umstrittenen Bilanzierungsvorgaben zur Risikovorsorge in der Coronakrise. Es gehe darum, die wirtschaftliche Lage zutreffend abzubilden und nicht zu verschleiern, sagt Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann.bn Frankfurt – Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) rechtfertigt das Festhalten an dem in die Kritik geratenen Bilanzstandard IFRS 9 zur Bildung von Risikovorsorge in der Coronakrise. “Wir gehen gemeinsam mit dem IASB, der ESMA sowie auch der deutschen Bundesregierung und Bankenaufsicht davon aus, dass die internationalen Vorgaben zur Wertminderung einen geeigneten Rahmen bilden, um auch die aktuellen Entwicklungen angemessen abzubilden”, erklärt IDW-Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann der Börsen-Zeitung mit Bezug auf den internationalen Bilanzstandardsetzer sowie die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde.Deutschlands Banken haben die Norm seit Einführung Anfang 2018 als prozyklisch wirkend kritisiert. Nach Beginn der Coronakrise dann intervenierte die Deutsche Kreditwirtschaft (DK), die Interessenvertretung der fünf kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände hierzulande, beim internationalen Bilanzrat IASB und forderte eine Aussetzung von IFRS 9 für die Zeit der Krise. Liquiditätslinien würden vollständig gezogen, Zahlungsverzüge deutlich zunehmen und Kreditvereinbarungen gebrochen, schrieben Marija Kolak, Präsidentin, und Gerhard Hofmann, Vorstandsmitglied des in der DK momentan federführenden Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) am 20. März dem IASB: “Von daher können Krisen und Insolvenzen großer Unternehmen für die kommenden Quartale nicht ausgeschlossen werden.” Es gibt SpielraumÄnderungen an IFRS 9 habe das IASB aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt, sagt Naumann: “Es geht doch darum, dass die wirtschaftliche Lage zutreffend abgebildet und nicht verschleiert wird”, argumentiert er. Würde der Standard ausgesetzt, könnte der Eindruck erweckt werden, die wirtschaftliche Lage wäre tatsächlich noch schlechter, als sie nach dem IFRS darzustellen sei. Berichtsadressaten könnten das Vertrauen in die Unternehmensberichte verlieren, was sich verschärfend auf die Krise auswirken könnte.Der Bilanzrat IASB und die im IDW zusammengeschlossenen Prüfer räumen Banken in der momentanen Situation allerdings einiges an Spielraum ein. So erklärte IASB-Chair Hans Hoogervorst der DK, Verlustschätzungen der Institute müssten gemäß IFRS 9 auf “vernünftigen und haltbaren” Informationen basieren, um hinzuzufügen: “Momentan ist es unwahrscheinlich, dass eine Einheit eine vernünftige und haltbare Basis hat, um den spezifischen Effekt von Covid-19 vorherzusagen.” Wider einen AutomatismusDas Institut der Wirtschaftsprüfer wiederum hielt vor Wochenfrist fest, in der momentanen Ausnahmesituation könne “ein automatischer Transfer” von Forderungen auf eine Bewertungsstufe, der zufolge sich nach IFRS 9 das Kreditrisiko signifikant erhöht hat, in den Quartalsberichten per Ende März “dazu führen, dass die tatsächlichen wirtschaftlichen Risiken wesentlich überzeichnet werden”.Dem Eindruck, die Prüfer drückten damit ein Auge zu, tritt Naumann entgegen: “Weit gefehlt”, sagt er. “Aber: Wir müssen in der jetzigen Situation einen kühlen Kopf bewahren. Uns ist bewusst, dass die implementierten Bewertungsmodelle an die neue Situation anzupassen sind. Das geht nicht von jetzt auf gleich.” Es seien nun sogenannte Management Adjustments erforderlich, die sich der Wirtschaftsprüfer “natürlich genau, aber vor dem beschriebenen Hintergrund” ansehe. Risiken dürften nicht überzeichnet, aber auch nicht heruntergespielt werden.Auch müssten Unternehmen bei allen Unsicherheiten transparent über die wesentlichen Annahmen und über die möglichen Folgen der Coronavirus-Pandemie berichten, betont er. Adressaten müssten in die Lage versetzt werden, “die Überlegungen und Einschätzungen des Managements nachvollziehen zu können, so dass sie sich ein eigenes Bild der Lage machen können.” Risikomodelle verändern sichFür Naumann steht fest: “Die Risikomodelle der Banken werden sich jetzt ändern, nachdem die Krise real geworden ist. Ich sehe allerdings keinen Grund, das Expected-Loss-Modell jetzt auszusetzen, nur weil die Herausforderungen schlagartig so groß geworden sind. Ich würde so etwas sogar für fahrlässig halten. Eine Änderung der Rechnungslegungsregeln verbessert nicht die wirtschaftliche Situation der betroffenen Unternehmen.” IFRS 9, der auf die Abbildung der erwarteten anstatt der schon zum Abschlussstichtag eingetretenen Verluste abstellt, sei “eine der wichtigsten Lehren aus der letzten Finanzmarktkrise und seitdem ein weltweit akzeptiertes Verfahren”. Naumann: “In weiten Teilen entspricht dieses Modell dem deutschen Vorsichtsprinzip, wie es im HGB verankert ist.”Eine Änderung der Vorgaben auf EU-Ebene wiederum wäre seinen Angaben zufolge aus zwei Gründen abzulehnen. “Ein europäischer Eingriff im Sinne eines Carve-out von internationalen Regelungen – sofern dieser rechtlich überhaupt zulässig ist – könnte zu einem Vertrauensverlust gegenüber europäischen Unternehmen führen und somit die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gefährden. Dies gilt gerade für die Exportnation Deutschland”, sagt er. Zum anderen würde jeder Einstieg in gesonderte europäische IFRS-Anwendungen die Akzeptanz der internationalen Rechnungslegung gefährden.