"Wir müssen smarter und ökologischer bauen"
Vor kurzem warnte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser, dass sich die Schwäche in der Industrie wie ein Ölfleck nach und nach in andere Wirtschaftszweige ausbreite. Brexit und Handelsstreitigkeiten, die Pleite von Thomas Cook und nicht zuletzt mangelnde Auftragseingänge bei der Industrie und strauchelnde Zulieferer machen der Wirtschaft immer mehr zu schaffen. Herr Szeidl, hat sich das auch auf die Stimmung der größten Immobilienmesse, der Expo Real in München, niedergeschlagen?Vor allem hat sich auf der Expo für mich das zweigeteilte Bild bestätigt, das sich seit geraumer Zeit abzeichnet. Einerseits sorgen die historischen Niedrigzinsen und fehlende Rendite in anderen Anlageformen noch immer für einen enormen Anlagedruck, auch seitens internationaler Investoren, wovon einige Immobilien-Assetklassen derzeit sicher mehr als andere profitieren. Dazu gehört der Bereich Logistik, auch durch den stetig wachsenden E-Commerce. Unbestritten ist ja außerdem der massive Bedarf, was Wohnen angeht. Damit er derzeit gedeckt wird, müssten allein dieses und nächstes Jahr mindestens noch 500 000 neue Wohnungen entstehen. Das sind also die Faktoren, die zumindest derzeit stabilisieren. Was die zweite Bildhälfte angeht, betreffen die zunehmend schlechter werdende Auftragslage bei Industrie und Mittelstand und nicht zuletzt die strukturellen Probleme der Automobilindustrie natürlich auch uns. Das war auf der Expo ein viel und heftig diskutiertes Thema der Branche. Mit dem Ergebnis, dass die Krise bald auch stärker auf die Bau- und Immobilienwirtschaft durchschlagen wird?Als Optimist gefällt mir der griechische Ursprung des Begriffs Krise. Dort bezeichnet das Wort Krisis nicht eine aussichtslose Situation, sondern vielmehr den Wendepunkt einer gefährlichen Lage. Letztere gibt es gerade in der Branche Automotive. Doch es ist noch nicht zu spät! In der Autoindustrie, bei Herstellern wie Zulieferern, kann der Umstieg auf E-Mobilität und autonomes Fahren sowie das Einführen neuer Mobilitätskonzepte erfolgreich gelingen. Davon bin ich überzeugt. Jedes dritte Patent zum Thema alternative Antriebe und E-Mobilität kommt derzeit aus Deutschland. Industrie und Mittelstand werden dabei vor allem in innovative Gebäude und Produktionshallen investieren müssen, die nicht nur in Sachen digitale Prozesse und Industrie 4.0 fit sind, sondern die auch klug konzipiert sind, was Klimaneutralität und Ressourceneinsatz angeht. Wie Gebäude das Kerngeschäft unterschiedlicher Industrien und Herstellungsprozesse optimal unterstützen, das ist eines unserer absoluten Spezialgebiete. Das andere ist dabei Ökologie und Wirtschaftlichkeit sinnvoll zu verbinden. Daher sehe ich uns gut aufgestellt, auch wenn der Markt dreht. Vor allem, weil wir uns seit Jahren auf die Bereiche konzentriert haben, auf die es jetzt ankommt: Wie plant und baut man Gebäude digital, flexibel und effizient, betreibt sie intelligent und stellt zugleich ihre Umweltfreundlichkeit sicher. Es geht also darum, nicht nur die Risiken zu bewerten, sondern vor allem auch die Chancen zu sehen und zu nutzen. Und wie stellen Sie die Umweltfreundlichkeit sicher?Dafür arbeiten wir beispielsweise sehr eng mit der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen zusammen, die hier ja hervorragend aufgestellt ist. Wenn wir für Industriekunden Bauvorhaben begleiten, dann entwickeln wir Green-Building-Konzepte und beraten zu Strategien für klimaneutrale Produktion, Gebäude und Infrastruktur – sowohl im Bestand als auch im Neubau. Wir begleiten unsere Kunden aber auch in der grünen Finanzierung, beispielsweise beim Aufsetzen von Green Bonds. Kurzum: Energieeffizienz, CO2-Einsparung und der Einsatz erneuerbarer Energien zählen seit vielen Jahren zu wichtigen Kriterien, um Nachhaltigkeit für die Bauvorhaben unserer Kunden sicherzustellen. Das ist schon mal die eine Hälfte der Miete. Und wo kommt die andere Hälfte der Miete her?Womit wir uns in den vergangenen zehn Jahren immer stärker befassen, das ist die Frage nach den Unmengen an Ressourcen, die das Bauen verschlingt und dem Müll, der beim späteren Abriss entsteht. Die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland machen derzeit Bau- und Abbruchabfälle aus. Ein erheblicher Teil davon fällt in giftiger Form an. Hier muss man innovative Lösungen verfolgen. Dazu zählt das Konzept Cradle to Cradle, das von dem Chemiker Prof. Dr. Braungart mitkonzipiert wurde und mit dem wir bereits seit 2013 eng zusammenarbeiten. Anfang des Jahres haben wir uns dann an dem von ihm gegründeten Hamburger Umweltberatungsinstitut EPEA beteiligt, wo vor allem interdisziplinäre Forschungsteams, darunter Chemiker, Ökologen oder Materialspezialisten, arbeiten. Was verbirgt sich hinter dem Cradle-to-Cradle-Ansatz?”Cradle to Cradle” bedeutet sinngemäß “von der Wiege zur Wiege”. Gängig ist mittlerweile die Abkürzung C2C. Im Kern geht es darum, Rohstoffe für Produkte, Prozesse und Gebäude so einzusetzen, dass sie entweder in gleicher Qualität erhalten bleiben oder komplett abbaubar in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können. C2C wird verstärkt auch in anderen Branchen nachgefragt, beispielsweise Textil, mit denen wir ebenfalls zusammenarbeiten. Auf die Baubranche angewendet heißt es vereinfacht: Der Abriss muss zur Rohstoffquelle werden. Aber Bauabfälle werden doch bereits wiederverwertet?Ja, aber nur teilweise und dann meist in minderwertigerer Form. So wird der Schutt abgerissener Häuser und aufgerissener Straßen vor allem zur Verfüllung verwendet – und wird damit zum Down-cycling-Produkt. Kreislauffähiges Bauen nach C2C bedeutet hingegen, die Ressourcen so einzusetzen, dass sie in gleich- oder sogar höherwertigen Baumaterialen neue Verwendung finden. Bei einem solchen Re- beziehungsweise Upcycling erweitern Eigentümer und Investoren auch den Nutzwert. Die Gebäude verwandeln sich gewissermaßen zum Rohstoffdepot und Materiallager, was sich langfristig auszahlen wird. Gibt es Beispielprojekte in Baden-Württemberg?Ein kleines, aber feines Projekt begleiten wir gerade für die Gemeinde Straubenhardt im Enzkreis. Mitte September wurde hier für das neue Feuerwehrhaus der Grundstein gelegt. Als erste Modellkommune in Baden-Württemberg folgt Straubenhardt dem C2C-Ansatz bei den Neubauten. Das ist deswegen besonders hervorzuheben, weil die Gemeinde damit als Vertreterin der öffentlichen Hand eine echte Vorbildfunktion einnimmt. Für Mittelständler oder Industrie sind solche Investitionen in Nachhaltigkeit doch extrem teuer, gerade jetzt, wo die Rezession um sich greift.Gerade dann müssen Unternehmen in die Zukunft investieren. Innovative, nachhaltige Lösungen reduzieren den Ressourcenverbrauch, senken die Kosten, machen das Arbeiten effizienter und erhöhen die Qualität. In Summe führt das zu besseren Produkten und Dienstleistungen, mal abgesehen davon, dass es die angeschlagene Reputation so mancher Unternehmen verbessert und qualifizierte Mitarbeiter anzieht. Umweltbewusst und klimafreundlich zu agieren, ist ein echtes Zeichen, dem stetig steigenden Umweltbewusstsein der Bevölkerung glaubwürdig Rechnung zu tragen. Langfristig gehen Ökonomie und Ökologie immer Hand in Hand, statt ein Widerspruch zu sein. Ein weiteres Projekt, das Drees & Sommer derzeit begleitet, unter anderem mit Digitalisierungsberatung, ist das Bürogebäude Cube, das sich inmitten Berlins neben dem Hauptbahnhof befindet. Steht mehr Digitalisierung zum Nachhaltigkeitsbestreben nicht im Widerspruch?Es geht ja nicht darum, ein digitalisiertes Gebäude beliebig mit neuester Technik vollzustopfen oder möglichst oft mit dem Smartphone das Licht an- und auszuschalten. Stattdessen muss eine intelligente Immobilie als selbstlernendes System, mit einer Künstlichen Intelligenz, also KI, ausgestattet, beispielsweise erkennen und darauf reagieren können, dass zu verschiedenen Tages- und Wochenzeiten unterschiedlich viele Personen im Gebäude beschäftigt sind. Mit entsprechenden Sensoren erkennt die KI, welche Räume ungenutzt sind und fährt den Energieverbrauch selbständig herunter. Das spart nicht nur Kosten, sondern ist auch umweltfreundlich. Auch wenn die Immobilie künftig als hochwertiges Rohstoffdepot dienen soll, wird das nur mit digitalen Planungsmethoden wie Building Information Modeling, kurz BIM, einfacher und wirtschaftlicher möglich. Denn so sind die Daten über die eingesetzten Materialien und Baustoffe des Gebäudes genau hinterlegt, um sie nach Abriss in gleichbleibender Qualität für neue Immobilien wiederzuverwenden. Wir müssen also insgesamt smarter und ökologischer bauen. Das Interview führte Claudia Weippert-Stemmer.