Im InterviewBVR-Präsidentin Marija Kolak

BVR sieht kein Ende der Konsolidierung

Fachkräftemangel, die schwache wirtschaftliche Entwicklung und die steigenden Regulierungskosten stellen die genossenschaftlichen Banken vor Herausforderungen. BVR-Präsidentin Marija Kolak rechnet daher auch weiterhin mit rund 40 Fusionen im Jahr.

BVR sieht kein Ende der Konsolidierung

Im Interview: Marija Kolak

„Wir rechnen weiterhin mit bis zu 40 Fusionen im Jahr“

Zusammenschlüsse von Instituten sind regulierungsgetrieben, sagt BVR-Präsidentin Marija Kolak – Künstliche Intelligenz gegen Fachkräftemangel

Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) plant die Gründung eines KI-Kompetenzzentrums, das der gesamten genossenschaftlichen Finanzgruppe zugutekommen soll. Künstliche Intelligenz werde auch verstärkt zum Einsatz kommen, um den Fachkräftemangel zu kompensieren, sagt BVR-Präsidentin Marija Kolak. Für dieses Jahr rechnet sie erneut mit bis zu 40 Fusionen unter den knapp 700 Genossenschaftsbanken.

Frau Kolak, dank Zinswende ist 2023 für viele Volks- und Raiffeisenbanken rekordverdächtig gut verlaufen. Wie sind Ihre Erwartungen für das laufende Jahr?

Das Umfeld ist weiterhin anspruchsvoll, weil die gesamtwirtschaftliche Entwicklung schwach ist. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts liegt nahe null. Damit bleibt es bei der verhaltenen Kreditnachfrage insbesondere bei den Wohnungsbaukrediten. Für dieses Jahr gehen wir davon aus, dass sich das Zinsergebnis noch auf einem hohen Niveau befindet, aber wir sehen auch, dass die Aufwendungen für die Passivseite weiter steigen.

Rechnen Sie angesichts der Flaute auch mit mehr Insolvenzen?

Wir merken, dass das Insolvenzgeschehen anzieht. Das passt zu der konjunkturellen Situation.

Es ist also auch ein Anstieg der Risikovorsorge zu erwarten?

Der Abschreibungsbedarf im Kreditbereich wird hoch bleiben, weil das Insolvenzgeschehen anzieht. Und das verläuft immer spiegelbildlich zur konjunkturellen Situation, in der wir uns befinden.

Viele Familien haben ihre Eigenheim-Pläne zurückgestellt, weil ihnen das wegen der gestiegenen Zinsen und Baukosten zu teuer wurde. Das hat zu einem starken Einbruch geführt, trotzdem ist der Bedarf hoch. Glauben Sie, dass der Markt jetzt wieder auf die Beine kommt?

Ich glaube, dass es sukzessive zu einer Belebung kommt, wenn die EZB erste Zinssenkungen vornimmt, also voraussichtlich am 6. Juni. Der Wunsch nach den eigenen vier Wänden ist ungebrochen groß, aber es wird Zeit brauchen.

Mit dem Zusammenschluss der Volksbanken in Frankfurt und Aschaffenburg entsteht im Herbst voraussichtlich ein neuer Größenprimus unter den genossenschaftlichen Primärinstituten. Sein Geschäftsgebiet reicht über zwei Bundesländer, vom Hintertaunus bis nach Bayern. Passt das noch mit dem Regionalprinzip zusammen?

Was wo zusammenpasst, entscheiden die Anteilseigner vor Ort. Wichtig ist, dass das Institut noch einen regionalen Bezug hat. Damit geht immer auch die Fragestellung einher, kann ich in einer neuen Struktur den Bedarf meiner Mitglieder und Kunden bestmöglich bedienen? Fusionen sind auch regulierungsgetrieben. Aufgrund der demografischen Entwicklung sind manche Experten für die Erfüllung regulatorischer Anforderungen in der Fläche schlicht nicht mehr verfügbar. Dann ist es gut, wenn sich unsere Banken zusammen mit den Eigentümern damit auseinandersetzen und sich fragen, wie ein Haus zukunftsfähig bleiben kann.

Fusionitis als Folge des Fachkräftemangels?

… und Fachkräftemangel aufgrund von Regulatorik: Die Regulierungsdichte und bürokratische Belastung nehmen stetig zu. Das führt zu steigenden Kosten und einem hohen Personalbedarf. Und das wiederum führt dazu, dass kleinere Banken wegreguliert werden.

Ihr Vorstandskollege Daniel Quinten spricht von 30 bis 40 Instituten pro Jahr, die dieses Schicksal erleiden. Wird sich der Trend in diesem Tempo fortsetzen?

Ja. Wir rechnen auch weiterhin mit bis zu 40 Fusionen pro Jahr.

Sehen Sie jenseits der Primärinstitute noch Raum für eine weitere Konsolidierung im genossenschaftlichen Finanzsektor?

Nein, da erkenne ich momentan nicht mehr viel Raum. Wir sind mit unserer Struktur gut aufgestellt. Potenzial sehe ich aber bei der besseren Abstimmung der strategischen Zusammenarbeit der Genossenschaftsbanken und ihrer Dienstleister. Ich denke da weniger in Kästchenlogik, sondern es geht um Gleichklang. Das Angebot und die Unterstützung unserer Dienstleister müssen konsistent sein mit den Strategien unserer Genossenschaftsbanken. Da geht noch was, und daran arbeiten wir intensiv.

Die Genossenschaftsbanken verzeichnen einen Rückgang der Mitgliederzahlen. Zeichnet sich eine Bodenbildung ab?

Es gelingt uns zumindest, sukzessive den Trend zu verlangsamen. Wir sind Spiegelbild der Gesellschaft, was die Demografie anbelangt. Wir müssen dagegen arbeiten und tun das auch.

Was machen Sie konkret?

Nur zwei Beispiele aus einem ganzen Bündel: Zum Abschluss einer Mitgliedschaft war es in der Vergangenheit notwendig, eine Filiale aufzusuchen. Seit letztem Jahr können Kunden die Mitgliedschaft auch digital abschließen. Außerdem führen wir im Moment ein neues Tool in der VR Banking App und im Online Banking ein, mit dem Mitglieder bei Ideen und Vorhaben digital mit abstimmen können. Das macht die Mitgliedschaft stärker erlebbar.

Wie erleben Sie derzeit die Stimmung im Finanzsektor insgesamt und in der genossenschaftlichen Gruppe?

Die Stimmung in der Finanzbranche ist durchwachsen. Wir gehen nicht davon aus, einen mehrjährigen Konjunkturaufschwung zu sehen. Die Schwächen des Wirtschaftsstandorts Deutschland werden ja gerade rauf- und runterdiskutiert. Das ist schön, aber man muss natürlich auch anpacken. Mein Appell an die Politik ist, eine Roadmap vorzulegen, was 2030 das Zielbild für dieses Land sein soll und den Weg dorthin ehrlich aufzuzeigen.

Bis 2030 sind noch einige Wahlen zu gewinnen.

Wenn sich die Politik allein auf Wahlzyklen konzentriert, dann spielt das nicht in die Hände von Demokraten, von vernunft- und sachorientierten Menschen, die Politik machen wollen. Es kommt den Rändern zugute. Das können wir nicht gebrauchen. Die Politik wird hoffentlich die Kraft und den Mut aufbringen, ehrlich in den Zukunftsprognosen zu sein.

Worauf spielen Sie an?

Auf die demografische Entwicklung. Das Thema ist nicht neu. Was wir derzeit sehen, ist ein doppelter Weniger-Effekt: Weniger Menschen, die weniger arbeiten wollen. Damit wird es nicht gelingen können, das gesamte Sozialstaatsgefüge in allen Facetten aufrechtzuerhalten.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Politik. Der Kanzler wird auf der Bankwirtschaftlichen Tagung erwartet. Was werden Sie ihm sagen?

Vor allem sind wir gespannt zu hören, was der Bundeskanzler uns zu sagen hat. Das wichtigste Thema der genossenschaftlichen Finanzgruppe ist, dass die europäische Politik aufhört, unser mittlerweile über 90 Jahre bestehendes Modell der Institutssicherung mit immer neuen Vorschlägen zu unterminieren – zuletzt im Europaparlament.

Sie beziehen sich auf die Debatte um Edis, die gemeinsame europäische Einlagensicherung?

Ja. Wir sind als dezentrale Finanzgruppe auf eine leistungsfähige Sicherungseinrichtung angewiesen – genauso wie eine dezentrale Wirtschaft auf dezentrale Banken angewiesen ist. Diese Symbiose funktioniert für Deutschland seit Jahrzehnten.

Ohne die Banken- und Kapitalmarktunion wird die grüne Transformation der europäischen Wirtschaft aber nicht gelingen.

Natürlich sind die Kapitalmarktunion und die Bankenunion wichtige Themen, bei denen Europa vorankommen muss. Eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung hat damit aber nichts zu tun. Das ist falsch und leider eher kontraproduktiv, schürt es doch Unsicherheit, wo eigentlich Zuversicht nötig wäre. Die Bundesregierung wissen wir hier an unserer Seite.

Kommen wir noch mal auf den Fachkräftemangel zurück. Wie sehr betrifft das Problem den genossenschaftlichen Sektor?

Das ist ein sehr wichtiges Thema für uns. Bis 2032 werden 25% der heutigen Beschäftigten die Regelaltersgrenze erreichen. Das heißt, wir müssen digitalisieren, automatisieren und den Einsatz moderner Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) noch viel stärker nutzen als heute, um den Fachkräftemangel zu kompensieren. Und wir versuchen darüber hinaus Menschen zu gewinnen und zu qualifizieren, bis hin zu Quereinsteigern. Dafür steht uns ein breites Spektrum an Rekrutierungsmaßnahmen zur Verfügung. Und das Thema Arbeitgeberattraktivität ist essenziell.

Wo setzt die genossenschaftliche Finanzgruppe denn künstliche Intelligenz schon ein?

Es gibt sehr viele Anwendungsfälle sowohl im Bereich der deskriptiven KI als auch im Bereich der generativen KI – von Compliance über Fraud Detection und Chatbots im Kundenservice bis hin zum Auslesen von Dokumenten im Backoffice oder im Bereich des Informationsmanagements.

Experimentieren Sie damit bloß, oder gibt es schon Bereiche, in denen das tatsächlich zur Anwendung kommt?

Insgesamt stehen unseren Banken bereits heute mehr als 60 KI- und Smart-Data-Lösungen der zentralen Dienstleister der genossenschaftlichen Finanzgruppe zur Verfügung, und es wird an zahlreichen weiteren Lösungen gearbeitet. Es gibt aber auch Einsatzgebiete, wo wir gerade in der Pilotierung sind oder über Proof of Concepts Ideen verproben, bevor sie in die Breite gebracht werden. Wir beobachten intensiv die Entwicklungen am Markt und führen Marktstudien durch, aus denen wir den Reifegrad von KI-Modellen ableiten können.

Ist zu beziffern, welcher Anteil der Dienstleistungen KI-gestützt laufen kann?

Die Frage, wie KI systemisch werden kann, lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Um die Potenziale von KI als Schlüsseltechnologie bestmöglich zu heben, wird im BVR ein KI-Kompetenzcenter für die gesamte Gruppe gegründet, so wie es bereits ein Nachhaltigkeits-Kompetenzcenter gibt. Denn KI ist eine Querschnittsfunktion, die in viele Anwendungsbereiche hineinwirkt. Im KI-Kompetenzcenter können wir die Kräfte bündeln und somit unsere Genossenschaftsbanken besser unterstützen.

Wie kommt denn die im vergangenen Jahr ins Leben gerufene Digitaltochter Amberra voran?

Mit unserer Beteiligung Amberra kommen wir gut voran. Der Fonds hat jetzt den Registrierungsprozess bei der BaFin durchlaufen. Seit dem 1. März dieses Jahres ist er die Grundlage für alle künftigen Start-up-Beteiligungen und Eigenentwicklungen von Amberra. Über den Fonds können sich nun die Mitgliedsbanken und Unternehmen der genossenschaftlichen Finanzgruppe einfach an den Geschäftsmodellen der Zukunft beteiligen. Der Zuspruch ist sehr gut. Bereits in den ersten Wochen haben mehr als ein Drittel der fast 700 Institute ihr Interesse signalisiert. Die ersten Zeichnungen sind bereits getätigt. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir die Breite der Gruppe aktivieren und das Fondsvolumen von 100 Mill. Euro bis zum ersten Quartal 2025 erreichen.

Dieses Drittel Ihrer Mitgliedsinstitute möchte sich beteiligen und Geschäftsmodelle über das klassische Bankgeschäft hinaus für sich selbst entwickelt haben?

Ja. Es handelt sich um strategische Beteiligungen, nicht um reines Venture-Geschäft, bei dem die Investoren auf einen Exit fokussieren. Es geht um neue Geschäftsansätze, die unsere Genossenschaftsbanken nutzen können. Wenn es in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, Nachhaltigkeit und regionale Wirtschaft Start-ups gibt, die relevante Lösungen bieten, dann streben wir dort strategische Beteiligungen an. Mit diesen neuen Geschäftsmodellen können die Genossenschaftsbanken dann zukünftig ihr Leistungsportfolio erweitern und neue Lösungen für ihre Mitglieder und Kunden anbieten.

Gibt es denn schon ein Portfolio von Start-up-Unternehmen, in die Sie investieren?

Eins nach dem anderen. Erst wurde die Firma gegründet, jetzt ist mit dem Fonds die Basis geschaffen, um zu investieren. Das Interesse der Banken ist groß. Das Amberra-Team schaut sich bereits potenzielle Start-ups an und prüft, welche ersten Investments in Frage kommen – nicht nur externe, sondern auch in interne Lösungen der Finanzgruppe.

Die Fragen stellten Anna Sleegers und Tobias Fischer.

Welche Erträge versprechen Sie sich von den bankfernen Tätigkeiten bezüglich Wohnen, Gesundheit, Nachhaltigkeit und regionale Wirtschaft? Lässt sich das in Zahlen gießen?

Nein, zuerst muss man ja wissen, wo man investiert. Und diese zarten Pflänzchen benötigen Zeit, um zu wachsen. Jedes Start-up braucht mindestens fünf bis sieben Jahre, bis es die Profitabilität erreicht. Natürlich müssen wir auch schauen, dass die Themen tragen, wir strategisch sinnvolle Anknüpfungspunkte haben und die Banken daraus zusätzliche Angebote etablieren können. Ziel ist es, neue Kundenschnittstellen aufzubauen und unsere bestehenden Kundenbeziehungen bestmöglich mit neuen Lösungen zu verknüpfen. Das hilft uns, als Finanzgruppe relevant und attraktiv zu bleiben für unsere Mitglieder und Kunden – und das nicht nur als Finanzpartner, sondern darüber hinaus.

Wie wollen Sie das bewerkstelligen?

So, wie es in anderen Industrien selbstverständlich ist: mit dem Angebot zusätzlicher Services und Produkte, die über das Kerngeschäft hinausgehen. Wenn man heute etwa einen Flug bucht, bekommt man auch gleich Angebote für Mietwagen, Reiserücktrittsversicherung und Hotelzimmer. Ebenso können wir als Finanzgruppe zukünftig banknahe und bankferne Leistungen anbieten – und so exzellente und ineinandergreifende Customer Journeys anbieten. Das schaffen wir, indem wir selbst neue Geschäftsmodelle bauen und gleichzeitig auf starke Kooperationen und Beteiligungen an Start-ups setzen.