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"Wir sehen den Beginn einer Trendwende"

Interview mit Claus Born

"Wir sehen den Beginn einer Trendwende"

Herr Born, die Spekulationen auf eine weitere Zinserhöhung durch die US-Notenbank sind abgeebbt und die Rohstoffbaisse ist zum Stillstand gekommen. Bestehen Chancen auf einen Turnaround? Die Positionierung der Investoren in den Emerging Markets war zuletzt sehr negativ, insbesondere im vergangenen Jahr. Erst im Mai war sie leicht positiv. Viele Fondsmanager sind weiterhin in den Schwellenländern untergewichtet. Nach dem Ausverkauf waren in den vergangenen Wochen eine Gegenreaktion und wieder leichte Zuflüsse zu beobachten. Die Investoren haben erkannt, dass die Bewertungen gegenüber den Industrieländern relativ günstig sind. Im historischen Vergleich bewegen sich die Schwellenländer absolut weiter am unteren Ende ihrer Bewertungsbandbreite. Außerdem besteht weniger Angst vor einer ganzen Reihe von Zinserhöhungen durch die US-Notenbank. So gab es jüngst einige Signale der Fed, die Zinsen doch nicht so schnell zu erhöhen, wie noch kürzlich vom Markt befürchtet wurde. Zudem hat man wohl erkannt, dass diese kleine Zinswende so gut wie keine Auswirkungen hat, weil die Fed von einer neutralen Zinspolitik weit entfernt ist. Können die Emerging Markets eine der “Major Stories in 2016” werden? Auf jeden Fall und insbesondere im Vergleich zu den Industrieländern. Ich denke, dass wir den Beginn einer Trendwende sehen. Das Sentiment ist immer noch schwach, negative Nachrichten über die Schwellenländer überwiegen in den Medien. Aber Devisen und Aktien erscheinen nach der Korrektur der letzten Jahre günstig bewertet. Auch die Abwertungen der Emerging-Markets-Währungen haben den Einstieg in die Aktienmärkte günstiger gemacht. Wir erwarten aber im laufenden Jahr zunächst eher einen langsamen Anstieg. Warum haben der brasilianische Aktienmarkt und die Währung Real in den vergangenen Monaten trotz der politischen Krise zu den Gewinnern gehört? Anfang des Jahres waren die Bewertungen vieler brasilianischer Aktien auf ein extrem niedriges Niveau gefallen. Darüber hinaus war die brasilianische Währung unter extremen Druck geraten. Bankaktien waren zum Beispiel so günstig wie zuletzt in 2002, vor über 10 Jahren. Die Anleger haben dann auf ein Ende der bisherigen Regierung und auf die seit langem überfälligen Reformen durch eine neue Führung spekuliert. Ein vergleichbares Verhalten der Börse hat man in den vergangenen Jahren auch in Argentinien gesehen. Der Merval hat 2014 und 2015 zu den Gewinnermärkten gehört, trotz ziemlich schlechter Wirtschaftsdaten während des gesamten Zeitraums. Wie bewerten Sie die Situation in China?China weist im Vergleich zu Industriena­tionen immer noch hohe Wachstumsraten auf. Wir rechnen im laufenden Jahr mit 6 % bis 7 %. Das ist enorm. Es entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung der Türkei pro Jahr. Wir glauben, dass die Konjunkturprogramme der chinesischen Regierung für ein entsprechend hohes Wirtschaftswachstum sorgen. Positiv ist auch, dass es beim chinesischen Renminbi zu einer Stabilisierung gekommen ist. Die leichte Abwertung Anfang des Jahres war der große Aufreger an den Kapitalmärkten. Jetzt besteht kein Druck mehr. Der Markt erwartet derzeit keine starke Abwertung mehr. Welche Schwellenländer sind aussichtsreich? Indien ist attraktiv trotz des langsamen Reformprozesses, und die Bewertungen haben etwas nachgegeben. In Lateinamerika sehen wir eine Rückkehr zu moderatem Wachstum durch entsprechende Reformen. Hier kann es weiter positive Überraschungen geben. Mittelfristig gute Perspektiven hat auch der russische Markt. Russland besitzt ein niedriges Bewertungsniveau und wird insbesondere von einer Erholung des Ölpreises profitieren. Falls es zu Erleichterung der Sanktionen durch die EU kommt, könnte der Markt weiter an Attraktivität gewinnen. Zu unseren Favoriten gehört wegen des hohen Wachstums Vietnam. Das Land profitiert von geringen Lohnkosten, insbesondere im Vergleich zu China. Internationale Unternehmen nutzen das Land verstärkt als Produktionsstandort, beispielsweise Samsung für die Herstellung von Mobiltelefonen. Chancen hat in Europa auch Rumänien. Die Reformen der letzten Jahre scheinen zu greifen. Die Binnennachfrage ist stark, das Wachstum vergleichsweise hoch.Bei welchen Märkten überwiegen ­Gefahren? Risiken sehen wir wegen des politischen Umfelds und der schwachen Währung bei der Türkei und wegen der politischen Krise auch in Südafrika. Wie sieht es bei den Fontiermärkten aus? Frontiermärkte sind attraktiv. Die Bewertung ist günstig, und sie sind derzeit noch weniger in Mode als die Schwellenländer. In vielen Fällen hinken sie der wirtschaftlichen Entwicklung der Schwellenländer hinterher und haben ein sehr hohes Aufholpotenzial. Darüber hinaus weisen sie eine Dividendenrendite von ca. 5 % auf. Das ist deutlich höher als die der Unternehmen in Schwellenländern und Industrieländern. Positiv ist zudem, dass die Frontiermärkte auf Portfolioebene eine geringere Korrelation untereinander und zu anderen Anlageklassen aufweisen.Claus BornInstitutional Portfolio Manager & Investment Analyst, Templeton Emerging Markets Group