IM INTERVIEW: INGO RAMESOHL UND PHILIPP ROSE

"Wir sind eine Art Tsunami-Frühwarnsystem"

Kontakte in die Start-up-Szene leisten einen wichtigen Beitrag zur Innovationskultur und Agilität - Neue, bahnbrechende Technologien sollen nicht überraschen

"Wir sind eine Art Tsunami-Frühwarnsystem"

– Warum investiert Bosch viele Millionen Euro in Start-ups?Ramesohl: Um nicht von neuen, bahnbrechenden Technologien überrascht zu werden. Wir sind eine Art Tsunami-Frühwarnsystem für Bosch. Wir schauen uns an, wo es disruptive Innovationen geben könnte, die einen Markt völlig umkrempeln können. Die wollen wir mit den Bosch-Geschäftseinheiten bekannt machen und somit den Austausch und Kollaborationen ermöglichen.Rose: Wir bieten also neben Kapital auch Know-how sowie operative Unterstützung und sind direkt in der Start-up-Szene aktiv. Dadurch erkennen wir Trends und Möglichkeiten von offener Zusammenarbeit deutlich früher als Technologieunternehmen ohne ein solches Engagement.- Wissen die Geschäftsbereiche nicht am besten, was auf ihrem Gebiet läuft?Ramesohl: Es gibt da eine gewisse Lücke. Ich war selbst mal Leiter einer Geschäftseinheit. Die Start-ups sind meist komplett unter dem Radar. Der Einkauf sieht sie noch nicht, dafür sind sie noch zu klein oder haben noch gar kein Produkt anzubieten. Die Entwickler sehen sie auch nicht, denn die arbeiten gerade an der nächsten Produktgeneration.- Wie viele Firmen schauen Sie sich an?Rose: Unser Team aus über 20 Spezialisten schaut sich jedes Jahr mehr als 2 000 Start-ups an. Davon bringen wir über 100 in Kontakt mit den Bosch-Geschäftseinheiten. Die Start-ups erhalten dadurch beispielsweise die Möglichkeit, Zulieferer, Kunde oder Technologiepartner von Bosch zu werden. Bei Investitionen gehen wir wie ein institutioneller Venture-Capital-Fonds vor. Wir fokussieren auf die finanziell vielversprechendsten Firmen und begleiten diese bis zum Exit. Momentan sind wir an 35 Firmen beteiligt.- Und um welche Technologien geht es?Rose: Unser aktuelles Portfolio umfasst Unternehmen, die sich mit Themen wie Internet der Dinge (IoT), Blockchain, künstliche Intelligenz (KI), automatisiertes Fahren oder Virtual Reality beschäftigen. Es geht dabei auch um neue Ansätze für bestehende Probleme, an denen Bosch arbeitet. Dabei investieren wir vor allem in komplementäre Technologien oder Geschäftsmodelle.Ramesohl: Wir verstehen uns als Deep-Tech-Investor. Das heißt, wir diskutieren mit den Start-ups auch sehr komplexe Technologien und sind bereit, das finanzielle Risiko einer Investition in solche Technologien einzugehen.- Ein Beispiel?Ramesohl: Die Firma Graphcore aus Großbritannien. Graphcore entwickelt und produziert KI-Hardware für maschinelles Lernen. Die ersten Chips werden bereits den Kunden vorgestellt. Sie können Anwendungen in der Cloud oder im Rechenzentrum deutlich beschleunigen.- Solche Firmen finden Sie wahrscheinlich nicht einfach im Internet.Ramesohl: Nein, auch wenn wir die Suche im Netz ausbauen wollen. Eine Quelle sind zum Beispiel Konferenzen wie der New York Venture Summit. Dort stellen sich an zwei Tagen über 400 Start-ups vor. Aber auch auf Messen wie dem Mobile World Congress und der CES gibt es ganze Start-up-Zonen. Die grasen wir systematisch ab. Andere Wagniskapitalgeber sind ebenfalls eine wichtige Quelle.Rose: Durch unser lokales Engagement können wir zudem viel aktiver in der Szene agieren. Denn wir sind an den besten Start-ups weltweit interessiert. Wir waren von Anfang an im Silicon Valley präsent. Auch Israel ist für uns immens wichtig. Dort gibt es zwar nicht so viele Start-ups wie zum Beispiel im Silicon Valley, aber sie haben eine unglaublich hohe Qualität. Die meisten Investments haben wir bisher in Europa, insbesondere in Großbritannien, getätigt.- Welche Rolle spielt China in Ihren Überlegungen?Ramesohl: China ist das Silicon Valley der Zukunft. Chinesische Start-ups kopieren nicht einfach erfolgreiche westliche Unternehmen, sondern sie entwickeln bahnbrechende Innovationen – echte Rocket-Science-Technologien. Für uns ist es genau die richtige Zeit, um in China vor Ort zu sein.Rose: Wir sind bereits seit drei Jahren mit einer eigenen juristischen Einheit in der Volksrepublik vertreten und bauen jetzt ein lokales Team auf. Als einer der wenigen ausländischen Investoren ist RBVC in der Lage, Investitionen in der lokalen chinesischen Währung Renminbi zu tätigen.- Wie lange dauert es, bis eine Investition Früchte trägt?Rose: Das Venture-Geschäft ist ein sehr langfristiges Geschäft. Neben Wagniskapital und finanziellen Zielen steht die Zusammenarbeit an technologischen Lösungen im Vordergrund. In der Regel halten wir Firmen über mehrere Jahre, bis sich ein guter Ausstieg anbietet.- Guter Ausstieg heißt: Bosch kauft die Firma auf?Rose: Die Übernahme von Bosch ist nicht das Ziel oder gar eine Vorbedingung für die Investition, sie ist lediglich eine mögliche Option für einen Exit. Weitere Möglichkeiten sind der Verkauf des Unternehmens oder ein Börsengang. Beispielsweise ist Movidius, ein Hersteller von Bildverarbeitungsprozessoren, von Intel übernommen worden und der Funktechnologieanbieter Greenpeak von Qorvo, einem Halbleiterproduzenten.- Wie eng ist der Kontakt während der Investition?Rose: Ein Investitionsexperte von uns wird meist Mitglied der Verwaltungsgremien des Unternehmens und unterstützt sie direkt bei strategischen Themen. Teilweise helfen auch Bosch-Experten, etwa bei der Fertigungsvorbereitung. Da gibt es viele Ansatzpunkte. Gleichzeitig stellen wir sicher, dass die Interessen beider Seiten, also die der Start-ups und von Bosch, gewahrt werden. Es gibt in der Hinsicht eine strikte Trennung zwischen RBVC und Bosch. Das ist auch wichtig für die Start-ups.- Lassen sich diese Firmen denn gerne in ihre Arbeit reinreden?Ramesohl: Gute Start-ups können sich in der Regel die Investoren aussuchen, weil das Interesse groß ist. Wir erklären unser Konzept genau. Die Firmen versprechen sich also etwas davon, wenn wir bei ihnen einsteigen. Wir sind mittlerweile ein sehr etablierter Venture-Capital-Investor, und ich glaube, unser Ruf in der Szene ist sehr gut.- Wer Risikokapital gibt, muss auch mit einem Totalverlust rechnen.Rose: Es ist immer ein Wagnis. Wir beteiligen uns pro Jahr an sechs bis acht ausgewählten Unternehmen mit Summen bis zu 15 Mill. Euro und einer maximalen Beteiligungshöhe von 25 %. Zusätzlich streuen wir unsere Investments über verschiedene Industrien, Regionen und Reifegrade der Unternehmen. Wir beteiligen uns nicht ausschließlich an Start-ups, die gerade erst gegründet wurden.- Fehlschläge sind also einkalkuliert.Rose: Nicht jedes einzelne Investment muss ein Erfolg werden. Unsere Investitionen sind auf drei interne, virtuelle Fonds verteilt mit einem Investitionsvolumen von maximal 420 Mill. Euro. In Summe müssen wir für jeden Fonds mehr herausholen, als wir investieren.- Manche Firmen sind zum Scheitern verurteilt. Warum?Rose: Im Fall von Tech-Start-ups kommt es zum Beispiel nicht ausschließlich auf die Technologie an. Es ist unerlässlich, auch einen genügend großen Markt zu haben, also mit dem eigenen Produkt ein konkretes Problem zu lösen. Oft sehen wir Firmen, die eine Technologie entwickeln und noch nach einem Problem suchen.- Was können Unternehmen wie Bosch von Start-ups lernen?Ramesohl: Mit unseren Kontakten in die Start-up-Szene leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Innovationskultur und Agilität von Bosch. Viele Start-ups sind mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet und können sehr schnell sein. Die Innovationen, die für die großen Herausforderungen der Zukunft notwendig sind, werden wir nicht alle allein machen können. Dazu brauchen wir Partner, und Start-ups gehören dazu.—-Das Interview führte Claudia Weippert-Stemmer.—-Ingo Ramesohl, Technischer Geschäftsführer der Robert Bosch Venture Capital GmbH (RBVC)—-Philipp Rose, Kaufmännischer Geschäftsführer der Robert Bosch Venture Capital GmbH (RBVC)