"Wir sind in Gesprächen für Zukäufe"
Die deutsche Fintech-Branche erlebt derzeit eine Sonderkonjunktur, und Frank Niehage ist mittendrin. Der Chef der Fintech Group verfolgt ehrgeizige Wachstumsziele, die er auch mit Hilfe von Zukäufen erreichen will. Für Rocket Internet soll schon bald ein Investmentprodukt auf die Beine gestellt werden.Von Björn Godenrath, FrankfurtFrank Niehage ist keiner, der die Dinge einfach laufen lässt. Nachdem er im Sommer 2014 bei der Fintech Group als CEO einstieg, zog er beim Einlagenüberhang der Tochter BIW Bank zum Jahresanfang 2016 die Konsequenzen und legte den Schalter um. Mehr als 1 Mrd. Euro an Depositen verschimmelte auf Konten der Notenbank, was ein laufendes Defizit von rund 2 Mill. Euro jährlich produzierte. Für den nach Effizienz strebenden Niehage ein unerträglicher Zustand.Und so nahm er eine Reallokation der Gelder vor und parkte diese in einem diversifizierten Bond-Portfolio, was bei einer Verzinsung von durchschnittlich 1 % Erträge von mehr als 2 Mill. Euro jährlich abwirft. Das ist zwar kein Move aus dem Handbuch für Risikomanager und analog nicht für multimilliardenschwere Einlagenbestände anwendbar, aber es zeigt, wie Niehage im Rahmen seiner Möglichkeiten Hand anlegt bei der Fortentwicklung des als operative Holding arbeitenden Konzerns. Ziel: Ein Einhorn werdenMit Fokussierung der Strukturen auf Technologie (B2B) – darin ist das Geschäft als Fintech-Enabler gebündelt – und das Brokergeschäft der Flatex (B2C) mit ihren gut 170 000 Kunden geht der gebürtige Ostfriese nun die eigentlichen Ziele an. Denn in vier Jahren will er mit Ablauf seines derzeitigen Vertrags aus dem im Frankfurter Westhafen beheimateten Emporkömmling ein Unicorn machen, also eine Börsenbewertung von 1 Mrd. Euro oder Dollar erreichen. Angetreten war Niehage bei einer Marktkapitalisierung von 100 Mill. Euro, heute sind es knapp 250 Mill. Euro.Das Ausmaß der Ambition wird auch dadurch illustriert, dass die Notiz der Fintech Group noch im Entry Standard besteht, mit der Umstellung auf IFRS-Reporting der Wechsel in den Prime Standard aber nur eine Frage der Zeit sein dürfte. Der langjährige Mehrheitsaktionär Bernd Förtsch hat seine über das Vehikel “Gesellschaft für Börsenkommunikation” gehaltene Beteiligung jedenfalls schrittweise auf zuletzt 40 % zurückgefahren, was im Gegenzug den Free Float auf 42 % erhöhte. Über den Einfluss des Herausgebers für Finanzmagazine und Fondsmanagers aus dem beschaulichen Kulmbach wird gerne spekuliert, einer wie Niehage habe sich ausreichend Beinfreiheit zusichern lassen – und von der bereits erzielten Wertsteigerung hat keiner so profitiert wie Förtsch.Dass die von Kulmbach ans Mainufer umgesiedelte Fintech Group für die Währung Aktie eine strategische Verwendung hat, das offenbart Niehage frank und frei: “Wir befinden uns in fortgeschrittenen Gesprächen für Akquisitionen. Dabei liegt der Fokus auf Deutschland und Europa.” Und für dieses externe Wachstum will Niehage neben anderen Optionen auch die Tauschwährung Aktie einsetzen. Naheliegend wäre eine Stärkung des B2B-Geschäfts, liegen die Marktchancen doch in der beschleunigten Entwicklung des Banking as a Service, aber da hält Niehage sich bedeckt.Mehr als 40 Fintechs hängen schon an Systemen der Fintech Group. Und mit Rocket Internet wurde im Sommer eine Zusammenarbeit vereinbart, die kürzlich eine erste Frucht reifen ließ. Unter der Marke Zinsgold will Rocket ein Stück vom 80 Mrd. Euro schweren Festgeldmarkt in Deutschland abgreifen – wobei die Partnerschaft zwischen Berlin und Frankfurt generell auf eine europäische Perspektive zielt, was ein Fingerzeig sein kann für die Entwicklung weiterer Produkte, für welche die Fintech Group die technische Plattform bereitstellt und Rocket den Vertrieb. Gelder auf P2P-Plätze bringen”Wir sind in einem ersten Schritt mandatiert worden, eine europäische digitale Bank für Rocket Internet aufzubauen. Nach dem Zinsprodukt für die Depositenseite kommt noch im Dezember ein Produkt für die Investmentseite. Dann sollen verschiedenen P2P-Marktplätzen Gelder zur Verfügung gestellt werden.” Das wäre ein willkommener Funding-Segen für die Marktplätze, denen solch konstante institutionelle Zuflüsse fehlen. Und für die beiden Digitalbank-Partner ergibt sich die schnöde Möglichkeit der Fristentransformation – klassisches Bankgeschäft, das mit anziehendem Zinsniveau auch wieder richtig Spaß machen könnte. Die Möglichkeiten, Rocket Internet Banking-as-a-Service-Dienste zuzuspielen, sind natürlich groß, Niehage liebäugelt mit Integration eines Robo-Advice-Moduls, er will da was ganz Besonderes aus der Flut an Angeboten herausgefiltert haben.Außerdem auf der Agenda: Der europaweite Roll-out von Flatex soll wahrscheinlich in der Schweiz beginnen. Denn dort zahlen die Kunden nach Ansicht von Niehage absurd hohe Gebühren. Da werde Flatex als Preisbrecher in den Markt gehen, kündigt Niehage eine Großoffensive an, für die ihn die Schweizer Banken hassen werden.Der 47-Jährige hat jedenfalls zusehends Spaß an der Aufbauarbeit im Fintech-Umfeld, die Ära des piekfeinen Private Banking liegt hinter ihm. Bei Sarasin hatte er von 2008 bis 2013 als Deutschland-Chef gewirkt, ohne mit den Cum-ex-Geschäften, welche über die Schweiz liefen, in Berührung zu kommen.Von den Klagen sich geprellt vorkommender Kunden der Vermögensverwaltung sei er nicht betroffen gewesen, es habe für ihn auch nach seinem Abschied keinerlei juristische Händel gegeben. Auch die für so manchen Sarasin-Kunden schmerzhafte Windreich-Insolvenz, bei der sich die neue Eigentümerin Safra nicht mit Ruhm bekleckerte, fand nach seinem Abschied statt. Aufkreuzen am MainHarley-Fahrer Niehage ist in Frankfurt gerne mit dem Fahrrad unterwegs – dieses Mobilitätsverhalten teilt er mit vielen Geschädigten des ÖPNV. Seinem Segelhobby dürfte er auf dem fürs Aufkreuzen ein wenig beengten Main kaum nachkommen können.Bei der Etablierung des Newcomers am Finanzplatz hat er ein gutes Gespür bewiesen, indem er die Fintech Group aktiv ins Geschehen einbrachte. Niehage und seine Manager zeigen Präsenz auf den einschlägigen Konferenzen, in Kooperation mit der Frankfurt School of Finance wird seit dem Herbst das bisher einzige deutsche Fintech-Studienangebot unterstützt – es geht um die Spezialisierung “Digital Innovation and Fintech” im Rahmen des Bachelor-Studiums in Business Administration. 20 Studierende werden mit Beteiligung an den Studiengebühren sowie paralleler Ausbildung durch ein dualen Studiums gefördert – die drei Jahrgangsbesten können direkt bei der Fintech Group anfangen. So macht man sich Freunde am Finanzplatz, der seine akademischen Strukturen als Brutstätte für das Unternehmertum fördert.