"Wir suchen Wachstum, wir suchen Volumen"
Francisco Fernandez hat mit Avaloq in rund zwanzig Jahren einen der führenden Schweizer Bankensoftware-Anbieter aufgebaut. Seit einigen Jahren bearbeitet Avaloq auch den deutschen Markt – der Vorstandschef nimmt im Interview der Börsen-Zeitung Stellung dazu und erklärt, warum in der Digitalisierung Banken mit dem Outsourcen von Prozessen besser fahren.- Herr Fernandez, in Deutschland wird diskutiert, Backoffice-Funktionalitäten der Großbanken auszulagern. Avaloq steht im deutschen Markt also Wettbewerbern anderer Größe und Schlagkraft gegenüber. Macht Ihnen das Bauchschmerzen?Größe ist nicht gleich Innovationskraft, große Errungenschaften der Menschheit sind nicht unbedingt nur von den Großen gekommen. Diskutiert wird die Transaktionsbank-Geschichte seit zwanzig Jahren. Wir haben in der Schweiz fünfzehn Jahre lang vergeblich einen großen Player gesucht, der das mit uns umsetzen würde. Inzwischen sind wir allein genügend groß und stark, um das selbständig anzubieten. Geschwindigkeit und Innovationsfähigkeit ist wichtiger als schiere Größe. Alibaba, Google, Uber waren vor 15 Jahren noch kein Begriff. Man muss die Technologie und Risikobereitschaft und die Know-how-Dichte in der gesamten Breite des Bankgeschäfts haben.- Andere haben das auch.Abwickler wie Clearstream oder in der Schweiz SIS übernehmen einen Teil der Wertschöpfung, gewisse Fintechs ebenso. Die Frage ist, kann eine Bank sich nur um ihre Kunden kümmern, die ganze operative Abwicklung aber macht ein industrieller Player? Bei den meisten Anbietern ist das Anlage-, Produkt- und Serviceuniversum zu eingeschränkt. Sie sind meist nur lokal unterwegs. Wenn eine Bank zur Beraterbank werden und das Backoffice outsourcen will, kann sie einen Teil davon heraustrennen und etwa an Clear-stream geben, den Rest muss sie aber im Haus behalten. Meist gibt es dann so viele Schnittstellen, dass es keinen klaren Business Case mehr gibt.- Die Diskussion um eine sogenannte Superbank ist also eine Totgeburt, weil sie gar nicht den Ansprüchen genügt?Nein. Ab einem gewissen Volumen lässt sich auch ein Einzelprozess profitabel gestalten. Wir haben ja für die Raiffeisen Schweiz vor einigen Jahren den Zahlungsverkehr als Transaktionsbank automatisiert und zentralisiert. Das hat funktioniert, weil die fast 300 Raiffeisenbanken knapp vier Millionen Kunden haben und in der Spitze 4 Millionen Zahlungen pro Tag verarbeitet werden. Aber im Wealth Management sind dort in den einzelnen Prozessen nicht die Volumina gegeben, damit sich das rechnet. Dort entsteht der Business Case erst, wenn die hohe Komplexität über alle Assetklassen und Regionen abgedeckt wird, über Kreditfazilitäten mit Exportgarantien und beliehenen kuranten Wertpapieren.- Warum hat sich das BPO-Geschäft – das Business Process Outsourcing – von Avaloq bisher nicht stärker entwickelt? Warum konnte kein großer Player ins Boot geholt werden?Das Geschäft hat sich außerordentlich erfolgreich entwickelt, das Volumen der verwalteten Vermögen auf unserer Outsourcing-Plattform hat sich weltweit seit 2011 von 70 Mrd. sfr auf 700 Mrd. sfr verzehnfacht. Warum sich das nicht vorher durchgesetzt hat? Das Internet, die Technologie fehlte. Heute hat jede Bank, jeder Kunde einen mobilen Computer zur Hand. Dann braucht es auch die Bereitschaft der Banken, dem Anbieter zu vertrauen, dass dieser die Bankdienstleistung oder Teile davon vielleicht sogar besser erbringen kann.- Ihre Erfahrungen damit?Wir haben hier sehr gute Erfahrungen gemacht. Bisher haben Banken dieses Geschäft ihren Wettbewerbern, also anderen Finanzinstituten, angeboten oder IT-Häusern, die nicht banktypische Erfahrung haben. Dies war nur wenig erfolgreich. Erst mit dem Kostendruck kommt nun langsam die Bereitschaft, Backoffice-Funktionen gebündelt auszulagern, vor 2008 standen die Banken nicht unter diesem Kostendruck.- Sind deutsche Häuser konservativer, was das Auslagern betrifft?Der deutsche Markt war sehr früh dabei mit einer gemeinsamen Finanzierung von IT-Software, etwa im Bereich der Genossenschaftsbanken. Aber ein Breitband-Outsourcer, der nicht nur die Software anbietet, sondern auch betreibt, fehlte. Im Software- und im Bankgeschäft aus der Steckdose ist man nicht so weit. Die Finanzindustrie hat ein großes IT-Problem, weil sie als Erste verstanden hat, dass sie in IT investieren muss. Darum hat sie auch am meisten Legacy – also Altlasten. Irgendwann muss man diese Komplexität, die über drei Jahrzehnte entstanden ist, vereinfachen.- Was ist mit BPO an Kostenersparnis möglich?Bei einer Bank mit globalem Wealth Management, die eine Länder- oder Gegenparteiendiversifikation haben möchte, betragen die operativen Kosten durchschnittlich zwischen 3 bis 27 Basispunkten. Wir kommen im Durchschnitt auf 10 Basispunkte. Wir führen zwar das Konto für den Endkunden, aber im Namen und Auftrag der Bank, der Endkunde hat keine Vertragsbeziehung mit uns.- Welche Erfahrungen hat Avaloq mit Projekten gemacht, in denen ein radikaler Schnitt mit dem Alten vorgesehen war?In der Regel sind die radikaleren Schnitte die besten Business Cases. Die Kosten wachsen exponentiell mit der Komplexität. Wenn die Kosten hoch sind, lassen sie sich nicht mit einer kleinen Komplexitätsreduktion nachhaltig zurückdrehen, indem da und dort eine Komponente erneuert wird.- Beim Vorzeigeprojekt mit Raiffeisen standen im Frühjahr die Ampeln auf Rot.Das Projekt ist auf gutem Weg. Ein Ampelsystem ist ein Managementsystem, das anzeigt, wo etwas zu tun ist. In einem solchen Projekt gibt es dauernd etwas zu tun – das ist wie im Flugzeug, wo die Anzeigen alle auch einen Warnbereich haben. Es gibt keinen einzigen Flug, wo nicht ein Warnsignal aufleuchtet. Das bedeutet noch keinen Absturz, sondern dass die Aufmerksamkeit des Piloten erforderlich ist. Verzögerungen können Mehraufwand mit sich bringen, aber um wirklich weiterzukommen, um innovativ zu bleiben, braucht es große, zum Teil radikale Projekte, und da lässt sich nicht alles perfekt vorausplanen, zumal große Migrationsprojekte 24 Monate dauern können. Trotzdem lässt sich ein solches Projekt managen.- Gibt es einen Königsweg? Julius Bär hat Ihrem Wettbewerber Temenos den Zuschlag für die Kernbankensoftware gegeben, mit dem Argument, die Software ließe sich modulartig einführen. Andererseits war von einer Kostenexplosion im Zusammenhang mit dem Outsourcing auf Ihren BPO-Hub in Berlin zu hören.Julius Bär Europe ist im Outsourcing unser Kunde, darüber bin ich sehr glücklich. Von einer Kostenexplosion ist mir nichts bekannt. Lediglich die Integration des Europageschäfts von Merrill Lynch, das die Bank erworben hat, hat zu Zusatzaufwänden im Projekt geführt. Was die Modularität anbelangt – wir sehen den größten Mehrwert bei den Banken, welche die Avaloq Banking Suite gesamthaft einsetzen. Doch unsere Software ist sehr modular aufgebaut. Die Zürcher Kantonalbank nutzt etwa nur die Wertschriften- und Fondsadministrationsfunktionalitäten, bei Raiffeisen liefen erst der Zahlungsverkehr, dann die Zentralbankfunktionalitäten, und jetzt erst lösen wir die Kreditgeschäfte ab.- Wie ist der Status des BHF-Projekts?Das ist ein laufendes Kundenprojekt, wir haben Stillschweigen mit dem Kunden vereinbart.- Wo liegt Avaloqs Potenzial in Deutschland?Ich bin sehr zuversichtlich für den deutschen Markt. Wenn man vor der Finanz- oder Euro-Krise einem Franzosen oder Briten gesagt hätte, sie sollten ihr Geschäft nach Deutschland outsourcen, hätte man kein Gehör gefunden. Heute ist das anders: Wer ist erfolgreich in Europa? Die Deutschen. Ich glaube, eine französische Bank würde heute eher operative Funktionen nach Deutschland auslagern als eine deutsche Bank nach Frankreich. Unser Outsourcing-Center in Berlin hat eine europäische Dimension. Auch ist der Vermögenszuwachs in Deutschland relevant. Das Potenzial für Bankdienstleistungen ist sehr groß. Angesichts zum Teil veralteter Prozesse und Strukturen rechnen wir uns viel Potenzial aus.- Julius Bär hat in Luxemburg eine Commerzbank-Niederlassung gekauft, die auf der Temenos-Kernbankensoftware läuft. Hat das Konsequenzen für den BPO-Hub?Im Moment hat Julius Bär einen laufenden Vertrag mit uns, und wir schätzen die Zusammenarbeit sehr.- Wie entwickelt sich das Volumen auf dem Hub in Berlin?Wir haben 30 Mrd. Euro Assets under Management auf der Plattform.- Das ist zu wenig, um wirtschaftlich arbeiten zu können.Wir sind langsam an der Profitabilitätsschwelle. Ein gut geführtes Wealth Management einer Bank braucht, um profitabel zu sein, mindestens 15 Mrd. Euro verwaltete Vermögen. Wir leben von der Automatisierung, und wir sind interessiert, unsere Dienstleistungen wachsen zu lassen. Bisher haben sich andere ausländische Anbieter die Zähne ausgebissen in Deutschland, an der Komplexität der Jurisdiktion, am Geschäft und an der Art, wie man die Geschäfte führt. Wir haben es geschafft, in Berlin einen Hub aufzubauen, das eröffnet Opportunitäten.- Wie sieht Ihre Pipeline aus?Die deutschen Vorstände und Aufsichtsräte sind schon vorsichtig, vielleicht, weil sie teilweise auch persönlich haften. Bevor man das BPO-Zentrum nicht live sehen konnte, ist es schwierig gewesen, etwas vorzuzeigen. Jetzt können wir etwas vorzeigen und intensivieren die Dialoge.- Vor allem über BPO oder auch über Software?Wir können drei Stufen anbieten: Erstens die Technologie wird von Avaloq gestellt, zweitens auch betrieben, als Software as a Service. Oder es gibt nicht nur Software aus der Steckdose, sondern auch das verarbeitete Bankgeschäft, also Business Process Outsourcing. Das hängt von der industriellen Reife der Bank und von ihrer Bereitschaft ab, welche Stufe der Industrialisierung sie will. Ich glaube, wir werden immer mehr Unternehmen sehen, die sich nur auf die Kernkompetenz beschränken.- Mit der Übernahme der Tessiner Bank BSI durch EFG geht der wichtige Outsourcing-Kunde verloren. Was bedeutet das für Avaloq?In der Schweiz haben in den letzten Jahren rund 60 Banken ihr Geschäft eingestellt, es ist eine Transformation in der Bankindustrie im Gang. Bei einer M & A-Transaktion muss meistens der Gekaufte – in diesem Fall die BSI – die Plattform des Käufers übernehmen. Aber es gibt auch einen umgekehrten Weg, dass später die gesamte Gruppe wieder zu uns zurückkommt. Das haben wir bei Coutts und der Bank von Ernst gesehen.- Wohin geht die Reise noch?Wir suchen Wachstum, wir suchen Volumen. Das BPO ist ein Volumengeschäft, wir haben ein skalierbares Software- und Geschäftsmodell, da können wir günstigere Preise an den Kunden weitergeben. Wenn das Angebot so attraktiv ist, wie wir es sehen, wird es auch in Deutschland wachsen. Die Deutsche Bank arbeitet mit Avaloq zusammen, das Institut hat nicht nur die Schweiz, sondern auch Großbritannien und verschiedene Standorte in Asien auf die Plattform gebracht, und es geht weiter. Wir sind dort eines der Heilmittel für die IT.- Wie viel Umsatz machen Sie da?Das kann ich im Detail nicht offenlegen. Als Gruppe machen wir rund 500 Mill. sfr Umsatz, das ist eine Vervielfachung in den letzten fünf Jahren, inklusive Outsourcing. Die Integration von Avaloq Sourcing – früher B-Source – bringt Synergieeffekte und ein sehr reifes Geschäftsmodell mit internationaler Kundschaft, wovon auch unsere anderen BPO-Zentren in der EU und Asien profitieren.- Dabei bleibt es?Wir werden weitere BPO-Zentren in Europa aufbauen. Wir denken – erst recht nach dem Brexit -, dass Großbritannien ein weiteres BPO-Zentrum braucht, und sind auf der Suche nach weiteren Projektpartnern. Wir haben auf der Insel RBS, Barclays und HSBC als Software-Kunden, das ist eine gute Startbasis, und mit Canaccord ein kanadisches Haus, das in London auf unserer Plattform ist.- Welche Arten der Kooperation ziehen Sie mit Fintechs in Betracht?Wir selbst sind seit über zwanzig Jahren ein Fintech. Es gibt welche, die Technologie anbieten, andere bieten in einem engen Segment vom Endkunden bis zum Produkt alles integriert an. Hier kommt die Industrialisierung ins Spiel: Wer kann mir als Endverbraucher das Steuerreporting machen, wer kann mir die Performance-Entwicklung über alle Fintech-Angebote hinweg zeigen? Dieses Thema ist noch nicht gelöst. Zweitens haben viele Fintechs noch keine Krise überstanden. Viele Banken hingegen sind krisenerprobt. Der Regulator hat bei jeder Krise nachgezogen, um den Konsumentenschutz zu verbessern. Das gibt es bei den Fintechs noch nicht. Wenn das erste Mal 20 Mill. Euro mit einem Fintech verloren wurden, werden Rufe nach Regulation laut. Ich hoffe aber, dass die Regulation mit Augenmaß vorgeht und nicht die – wertvolle – Innovation erstickt. Mehr und mehr sehen wir auch, dass Fintechs nicht die Banken stören, sondern erfolgreich mit Banken kollaborieren.- Was haben Fintechs von Avaloq?Sie suchen Kunden – das kann zu sehr symbiotischen Situationen kommen. Wir bieten eine Plattform, die den Banken Raum zur Differenzierung lässt, die aber auch attraktiv für Fintechs ist. Wir haben bisher einen hohen zweistelligen Millionenbetrag investiert, um dieses Ökosystem zur Verfügung zu stellen, haben eine Austauschplattform gestartet, bauen Sandboxes, Developer Kits, gehen mit Fintechs auf Roadshows bei unseren Kunden. Das funktioniert nur, wenn alle drei davon profitieren – und auch der Endkunde.- Der Bankensoftware-Anbieter Misys geht an die Börse. Und Sie?Das ist eine der Optionen, um langfristig einen weiteren Zugang zum Kapitalmarkt zu erhalten, aber wir haben keine Eile damit. Wir sind über die Raiffeisen-Beteiligung sowie durch Bankkredite solide finanziert. Ich möchte dies erst ab etwa 1 Mrd. sfr Umsatz in Erwägung ziehen. Das ist in drei bis vier Jahren der Fall, nach unserem Plan.—-Das Interview führte Dietegen Müller.