"Wir würden niemals diese Daten weiterverkaufen"
Die digitale Revolution durch Technologieunternehmen greift die Fundamente einer klassischen Retailbank an. Die Erste Bank hat diese Gefahr längst erkannt und deshalb mit “George” eine völlig neue digitale Plattform entwickelt, wie Peter Bosek, Privatkundenvorstand der Erste Bank, im Interview erklärt.- Herr Bosek, wer ist George?George ist eine digitale Plattform, die mehr ist als normales Online-Banking.- Was bedeutet das?Wir müssen uns an komplett veränderte Rahmenbedingungen anpassen. Es haben ja alle Banken um die Jahrtausendwende mit verschiedenen Formen des Online-Banking begonnen. Meine Wahrnehmung ist aber, dass das User-Verhalten – bedingt durch Plattformen aus anderen Industrien wie etwa Amazon – sich komplett verändert hat. Wir können als Bankenindustrie da nicht zurückbleiben, weil sonst andere kommen und uns das Geschäft abnehmen. Ich habe einen relativ radikalen Blick auf unsere Konkurrenzsituation. Unsere Konkurrenten sind nicht mehr die traditionellen Wettbewerber, sondern Unternehmen wie Google, Amazon oder Apple, die anfangen, sukzessive in unser Geschäft zu drängen. Wir haben schon gesehen, wie Apple mit Apple Pay in den USA angefangen hat, und jetzt kommen sie bereits nach Europa, wo sie schon in England gestartet sind. Ich nehme an, dass das auch auf den Rest von Europa ausstrahlen wird. Die Bankenindustrie ist gefordert, damit sie nicht auf Infrastruktur und Regulatorik reduziert wird. Durch Apple passiert genau das, die sind enorm smart.- Sehen Sie Apple als Vorreiter?Apple hat herausgefunden, dass viele Menschen keine Armbanduhren mehr tragen, da sie die Zeit ohnehin am Handy sehen. Jetzt besetzt Apple die Armbanduhr, mit der man bezahlen kann. Das Zahlungsverhalten der Menschen ändert sich nur langsam, aber trotzdem ist es eine unglaublich smarte Idee. Sie nehmen uns Profit weg, sind das freundliche Gesicht zum Kunden, und wir sind in der Sekunde reduziert auf Infrastruktur und Abwicklung. Das heißt: Wir haben die Kosten auf dem Tisch, und die haben die schöne Kundenbeziehung. Das war mir schon seit längerer Zeit klar, dass wir den nächsten Schritt gehen müssen. Aus strategischen Überlegungen haben wir beim Thema Zahlungsverkehr begonnen.- Warum gerade dort?Wenn die Apples und Googles dieser Welt das Bankgeschäft betreten, dann werden sie nicht anfangen, Kredite zu vergeben. Sie haben einen unglaublich guten Überblick über Informationen. Wenn ich in deren Situation wäre, würde ich das als Geschäftsmodell sehen, wohin die Zahlungsströme gehen. Das können diese komplett kommerzialisieren. Bis heute verkaufen sie Informationen an die Werbewirtschaft weiter. Wenn sie dieser Werbewirtschaft noch sagen können, wohin die Zahlungsströme fließen, also wo Menschen einkaufen gehen, dann haben wir ein ernsthaftes Problem.- Wie können Sie das abfangen mit George?Es ist unser erster Schritt in diese Richtung, indem wir eine Plattform bauen, wo wir versuchen, so etwas Ähnliches wie einen Apple Store zu reframen. Sie können nicht mehr nur Ihre täglichen Zahlungsverkehrsdinge erledigen, sondern wir bieten in George auch Zusatzservices an. Wir nennen das Plug-ins. Manche sind kostenfrei und manche zahlungspflichtig.- Wie sind Sie beim Aufbau von George vorgegangen?Wir haben unseren Zugang zu den ganzen Produktentwicklungen verändert. Früher war es so, dass sich Banken ein Produkt überlegt haben, das sie dann in den Markt gebracht haben. Wir gehen heute her und binden den Kunden in den Produktentwicklungsprozess ein. Das bedeutete für uns eine komplette Umstellung. Wir haben 1 000 Kunden und Hunderte Mitarbeiter gehabt, die uns immer wieder Feedback gegeben haben, das auch eingearbeitet wurde. Wir erhalten auch laufend weiter Rückmeldungen und lassen so George immer weiter wachsen.- Wann haben Sie mit der Konzeption von George begonnen?Wir haben 2012 begonnen. Damals habe ich gemeinsam mit meinem Generaldirektor einen Hub gegründet. Der Erste Hub ist ein Innovationslabor, das wir bewusst neben die Bank gestellt haben, weil wir uns vorgenommen haben, bei digitalen Bankprodukten weiterzukommen. Die Sorge war, wenn man das in eine große Bank hereingibt, dann ist es viel schwieriger. Deshalb haben wir es bewusst neben die Bank gestellt und sukzessive ab 2012 entwickelt. Das hat sich dann in Kooperation mit der Bank sehr gut eingefügt. Natürlich gibt es immer wieder Fälle, die verenden, denn der Hub ist so etwas wie ein Start-up. Daneben haben Sie eine traditionelle Bank, wobei wir das Glück haben, dass wir im Vertrieb, auf der Produktmanagementseite und in all den Einheiten, die rundherum mitgewirkt haben, sehr gute Mitarbeiter haben. Das war der Schlüssel, warum es überhaupt hat funktionieren können. Jetzt ist das schon eine sehr eingespielte Geschichte.- Was waren die größten Herausforderungen beim Aufbau?Wenn man junge, hungrige Entwickler engagiert und versucht, diese mit Bankprozessen und der bestehenden IT zu verheiraten, dann ist das keine leichte Übung. In einer Bank erleben Sie in der IT eine starke Welt der Dokumentation. Junge Entwickler, die für andere Branchen arbeiten, sind das überhaupt nicht gewöhnt. Das war am Anfang kulturell nicht sehr einfach, hat dann aber wunderbar funktioniert.- Was waren die dringendsten Wünsche der Kunden?In der Betaphase war es vor allem das Thema Individualisierung.- Was genau?Der Kunde kann sich die Farben aussuchen, den Konten Namen geben, Bilder einblenden. Mir persönlich gefällt am allerbesten eine Funktion bei Überweisungen. Wenn ich einen Anfangsbuchstaben eines Namens eingebe, kommen schon alle Vorschläge als Vorlagen aufgrund von Überweisungen, die ich in der Vergangenheit getätigt habe. Das ist eine semantische Suchfunktion. Es sind Kleinigkeiten, die das Bedienen erleichtern. Das können wir von den großen Technologieunternehmen lernen. Als Industrie kommen wir historisch natürlich genau aus der anderen Ecke. Mit Banken in Kontakt zu treten, war immer mühsam. Genau das wollen wir umdrehen.- Kann ein Kunde bei George umgehend auch in Kontakt mit einem “physischen” Bankmitarbeiter treten, etwa bei kurzfristig auftretenden Problemen?Es gibt eine Chat-Funktion, aber man kann natürlich auch anrufen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn was wir nie werden wollen, ist eine rein digitale Bank. Wir wollen eine sehr klare Omnikanal-Bank sein. Der Kunde kann sich den Weg, über den er sich mit uns in Verbindung setzt, aussuchen. Denn ich glaube nicht, dass man Kundenverhalten steuern kann.- Inwieweit unterscheidet sich George von anderen Online-Banking-Angeboten?George hat eine Reihe von Funktionen und Features, die einzigartig sind am Markt. Banking war noch nie so einfach, und mit George macht es erstmals auch Spaß, sich mit den eigenen Finanzen zu beschäftigen. Und das ist auch unser Ziel, weil ich überzeugt bin, dass jeder Mensch, der seine Finanzen gut im Blick hat, auch besser mit Geld umgeht. Und mit George und den ganzen Apps drum herum haben wir eine Plattform geschaffen, die das ermöglicht. Zum Beispiel der Finanzmanager in George sagt Ihnen genau, wie viel Sie für Lebensmittel ausgegeben haben oder für Kleidung. Und das auf einen Blick. Die Informationen für die Kunden so einfach und intelligent wie möglich aufzubereiten, das ist mein Anspruch. Wir geben den Kunden somit die Daten für ihr finanzielles Leben in strukturierter Form wieder zurück. Das ist auch genau das, was eine Bank von den Googles dieser Welt unterscheidet. Das einzige Gegenüber ist der Kunde selbst, seine persönlichen Daten.- Sind diese Daten sicher bei der Bank?Wir als Bank würden niemals diese Daten weiterverkaufen. Das ist eine ganz wesentliche Unterscheidung zu den großen Tech-Companies. Bei uns sind die Daten sicher in der Hinsicht, dass wir sie niemand anderem zur Verfügung stellen. Das dürften wir aus rechtlichen Gründen schon gar nicht. Aber wir können Mehrwert generieren, indem wir dem Kunden sein eigenes finanzielles Verhalten für ihn transparent machen.- Was kostet George?Das ist Teil des Kontopakets. Es gibt keine zusätzlichen Kosten, außer für manche kostenpflichtige Plug-ins.- Was kostet ein Konto bei Ihnen in Österreich?Es gibt unterschiedliche Kontomodelle, je nachdem, welche Karten beinhaltet sind. Im Schnitt sind es 75 bis 80 Euro im Jahr.- Was kosten die Plug-ins?Die meisten sind kostenlos. Daneben haben wir derzeit zwei bezahlpflichtige. Eines ist ein zusätzliches Umsatzarchiv, durch das man bis zu sieben Jahre zurückschauen kann. Das kostet im Monat 49 Cent. Bei dem anderen erhält man monatlich einen kurzen, grafisch sehr intelligent aufbereiteten Überblick über die Einnahmen und Ausgaben. Man sieht zum Beispiel, in welchen Geschäften man am meisten eingekauft hat oder welcher der teuerste Tag im Monat war. Das kostet 89 Cent einmalig.- Sind Kunden bereit, für Zusatzservices zu bezahlen?Ja, es hat begonnen. Wir sind dabei zu lernen, welche Dienstleistungen für Kunden interessant sind und ob sie bereit sind, dafür zu bezahlen.- Wie ist Ihre Erfahrung?Die ist eigentlich sehr positiv, aber das ist ein permanentes Lernen.- Können Sie das in Zahlen ausdrücken?George gibt es seit Januar dieses Jahres. Wir haben jetzt fast 350 000 registrierte Kunden in George gemeinsam mit den Sparkassen. Mit den Plug-ins haben wir später begonnen. Die hatten wir nicht seit Beginn drin. Jetzt haben wir ungefähr 3 000 zahlungspflichtige Plug-in-Nutzer mit steigender Tendenz. Der Plug-in Store wird laufend ausgebaut, es gibt auch schon erste Produkte, die man direkt online abschließen kann.- Gibt es Präferenzen der Kunden bei der Nutzung von George?Die Übersichtsseite mit dem aufgeräumten Überblick über die Kontostände und -bewegungen. Zudem ist der Finanzmanager in kürzester Zeit eines der meistgenutzten Funktionen geworden. Den gibt es erst seit ein paar Monaten, aber er wird schon von jedem vierten George-Nutzer regelmäßig verwendet.- Wie hoch waren die Investitionen für George?George selber war nicht so teuer, aber wir haben in der IT-Infrastruktur einige Dinge umstellen müssen. Die braucht man dann aber auch für anderes, insofern ist das nicht nur George zuzuordnen.- Welchen Ertragszuwachs versprechen Sie sich durch George?Im Laufe der Zeit wird er durchaus einen positiven Beitrag leisten. Das muss man gesamthaft sehen. Es gilt, Kunden zu gewinnen. Wir haben eine Marketingkampagne durchgeführt, die sehr gut angekommen ist.- Wie viele Neukunden haben Sie hinzugewonnen?Das ist nicht allein George zuzuschreiben. In den vergangenen zehn Jahren haben wir als Erste Bank jedes Jahr ungefähr 30 000 Neukunden hinzugewonnen in den drei Bundesländern Wien, Niederösterreich und Burgenland. Der Rest von Österreich wird von den Sparkassen abgedeckt; mit den Sparkassen gewinnen wir gemeinsam ungefähr 70 000 bis 80 000 Neukunden pro Jahr. Wir haben in Österreich einen einheitlichen Marktauftritt.- Woher kommen die vielen Neukunden?Von der Konkurrenz oder Jugendliche, die erstmalig eine Bankverbindung aufnehmen.- Mit George haben Sie ein Alleinstellungsmerkmal im österreichischen Markt. Wie lange können Sie diesen Vorsprung halten?Ich bin ganz sicher, dass unsere Konkurrenz nicht schläft und dabei ist, eigene Dinge zu entwickeln. Das sehe ich positiv, denn es treibt mich permanent zum Nachzudenken an, um auf weitere Innovationen für unsere Kunden zu kommen. Banking ist im Moment nicht besonders lustig, wenn man sich das ganze Umfeld anschaut, aber der Teil zu sein, der an Innovationen für unsere Kunden arbeitet, das ist etwas, was uns die nächsten zehn Jahre großen Spaß machen wird.- Was wäre passiert, wenn Sie George nicht entwickelt hätten?Kurzfristig wäre gar nichts passiert. Das ist immer das Problem unserer Branche. Mittelfristig wäre uns aber der Zug davongefahren. Ich habe wirklich die Sorge, dass wir zum reinen Infrastrukturprovider verkommen. Es muss uns als Branche gelingen, wirklicher Dienstleister zu werden. Banken sind historisch nicht wirkliche Dienstleister. Banken in Österreich sind lange sehr seriös agierende Institutionen gewesen. Dieser Teil bleibt erhalten, aber bei uns hieß es immer Kreditantrag, Kontogebühr. Von der Semantik ist das schon sehr nahe an der öffentlichen Hand. Wir hatten in Österreich lange Zeit sehr eingeschränkte Öffnungszeiten, die Filialen waren bis auf einen Tag in der Woche ab 15 Uhr geschlossen. Das war schon sehr verbeamtet. Das muss man komplett drehen. Da sind wir noch lange nicht fertig, aber es macht richtig Spaß, die Bank zu einem Dienstleister zu entwickeln. Denn wenn wir das nicht tun, dann machen es andere. Es wird immer Banken geben, doch die Frage ist, welche Rolle spielt eine Bank im Leben des Kunden. Bin ich für ihn der erste Ansprechpartner, oder bin ich derjenige, der seine Dinge abwickelt, und der Kunde spricht mit jemand anderem.—-Das Interview führte Karin Böhmert.Zuletzt erschienen:- HVB arbeitet an höherer Schlagkraft (9. September)- Konkurrenz belebt Kooperation und Innovation (8. September)