Wirecard-Aufsicht hat strukturelle Schwächen
Von Stefan Kroneck, MünchenWirecard ist ein Beispiel dafür, was einem Unternehmen blüht, wenn die Organisationsstruktur mit einem rasanten Wachstum nicht Schritt hält. Die Bilanzsonderprüfung von KPMG hat die Schwächen des Zahlungsabwicklers in der Compliance und in der Corporate Governance offengelegt. Den Nachholbedarf des Dax-Mitglieds auf diesen Feldern geht der neue Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Eichelmann beherzt an.Die Ende voriger Woche verkündete Neuordnung des Vorstands ist aber für den 55-Jährigen nur ein Zwischenschritt, um Wirecard in Bezug auf die Anforderungen an eine gute Unternehmensführung 21 Jahre nach der Firmengründung ins Lot zu bringen (vgl. BZ vom 9. Mai). Der engagierte Chefaufseher setzt das um, was er kurz nach seinem Amtsantritt Anfang dieses Jahres angekündigt hatte: den Ausbau des Vorstands und des Aufsichtsrats mit kompetenten Fachleuten, um die bisherige Verwaltung grundlegend zu reformieren. Erinnerungen an SiemensEichelmann vermarktet sich in diesem Sinne nach außen gerne als der Saubermann des zu Recht in die Kritik geratenen Fintechs, welches im September 2018 in die deutsche Börsenoberliga aufgestiegen ist. Der Ökonom und frühere Finanzvorstand der Deutschen Börse (2007 bis 2009) platziert zum 1. Juli mit dem Deutsche-Börse-Manager James Freis (49) einen Topmanager für die eigens geschaffene Vorstandsposition des Compliance Officer. Ein US-Amerikaner und Jurist rückt in den auf fünf Personen ausgeweiteten Vorstand bei einem in eine tiefe Vertrauenskrise geratenen Dax-Konzern. Das erinnert an Siemens. Der in einen Schmiergeldskandal verwickelte Münchner Mischkonzern hatte 2007 im Vorstand ein neu eingerichtetes Ressort für Recht und Compliance (Überwachung der Einhaltung von Regeln) eingerichtet und dafür seinerzeit den US-Justiziar Peter Solmssen installiert. Der Amerikaner begleitete fortan den damaligen Konzernchef Peter Löscher bei den Aufräumarbeiten.Nach einem ähnlichen Muster geht auch Eichelmann bei Wirecard vor. Sein Amtsvorgänger war mit dieser Aufgabe überfordert gewesen. Der in die Jahre gekommene Langzeit-Gremiumsleiter Wulf Matthias konnte dem jetzt unter Druck geratenen Vorstandsvorsitzenden und Großaktionär Markus Braun (51) nie das Wasser reichen. Der gebürtige Wiener konzentrierte die ganze Macht in seinen Händen. Im Januar trat der 76-jährige Volkswirt zugunsten des entschlossen agierenden Eichelmann zurück. Gesetz vernachlässigtDer deutsche Manager stutzt nun den Wirtschaftsinformatiker aus Österreich auf das zurück, was er am besten beherrscht: strategische Visionen und deren technische Umsetzung auf dem Gebiet der Zahlungsdienstleistungen. Er entzog Braun die Verantwortung für Investor Relations. Der Schlüsselbereich für die Kommunikation mit den Investoren liegt nun in der Hand von Finanzvorstand Alexander von Knoop (48).Was Eichelmann im obersten Topmanagement derzeit wirkungsvoll über die Bühne bringt, lässt er an anderer Stelle an nötigem Elan aber leider fehlen. Bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats rangiert Wirecard im Dax an der untersten Stelle. Mit derzeit fünf Personen besteht das Kontrollgremium ausschließlich aus Vertretern der Kapitalseite, Arbeitnehmervertreter gibt es nicht. Das ist unter den deutschen Blue Chips einmalig. Dringender Reformbedarf besteht im Aufsichtsrat seit Jahren.Mit der nominierten Deutsche-Börse-Managerin Hauke Stars (52) soll mit der Neuwahl in den Aufsichtsrat zur diesjährigen Hauptversammlung eine sechste Person hinzukommen. Das ist unzureichend. Stars mag zwar unstreitig in das Organ passen und die Frauenquote aufbessern, allerdings dürfte ihre damit verbundene Ämterhäufung – sie gehört den Aufsichtsräten von Fresenius und Kühne + Nagel an – spätestens auf dem Aktionärstreffen am 2. Juli bei den Streubesitzaktionären Kritik hervorrufen. Kleinaktionärsvertreter und institutionelle Investoren reagieren auf solche Konstellationen nachvollziehbar allergisch.Eichelmann könnte sich stattdessen eleganter in den eigenen Reihen bedienen. Mit rund 1 600 Mitarbeitern in Deutschland und einem weiterhin hohen Wachstum trotz Coronakrise arbeitet sich die AG an die Schwelle von 2 000 Beschäftigten heran, ab der das Mitbestimmungsgesetz greift. Die Verwaltung könnte zusammen mit dem Betriebsrat den Aufsichtsrat vorausblickend freiwillig paritätisch besetzen. Wirecard hat es bisher bereits versäumt, das ab 500 Mitarbeiter geltende Eindrittelprinzip einzuführen. Dabei dürfte auch Eichelmann bekannt sein, dass das Mitbestimmungsgesetz ein bewährtes Konstrukt der sozialen Marktwirtschaft ist. Das kann dazu beitragen, die Reihen zu schließen. Das weiß auch Eichelmann.