Wirecard droht Anleger-Klagewelle
Von Stefan Kroneck, MünchenNach dem Desaster mit der Sonderprüfung von KPMG könnte Wirecard weiterhin eine ungemütliche Zeit bevorstehen. Neben einer etwaigen Anzeige der deutschen Finanzaufsicht BaFin infolge der angekündigten Untersuchungen droht dem Zahlungsabwickler eine Klagewelle von Investoren in Zivilverfahren aufgrund seiner strittigen Kapitalmarktkommunikation. Das kann für das Unternehmen teuer werden, sind doch solche Verfahren langwierig. Zudem könnte das jenen Hedgefonds und Fondshäusern Munition liefern, die die Absetzung von Vorstandschef Markus Braun fordern.Die Anwaltskanzlei Tilp lieferte bereits einen Vorgeschmack auf die für Wirecard abzusehenden Auseinandersetzungen. Die Kanzlei reichte Klage gegen den Zahlungsabwickler ein und stellte einen Antrag auf Einleitung eines Musterverfahrens, wie sie am Mittwoch mitteilte. “Das Maß ist jetzt voll”, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Tilp-Anwalt Maximilian Weiss. “Wir haben nunmehr alle rechtlich erforderlichen Fakten beieinander und können diese belegen – daher messen wir der von uns eingereichten Klage hohe Erfolgschancen bei.” Er gehe davon aus, dass institutionelle Anleger wie Fondsgesellschaften zu den Klägern gehören.Wirecard habe falsche, unterlassene und unvollständige Kapitalmarktinformationen gegenüber den Aktionären gegeben und sich damit schadenersatzpflichtig gemacht, sagte Weiss. Betroffen seien alle Aktienkäufe vom 24. Februar 2016 bis zum 27. April 2020. Allein durch die Kommunikation rund um die KPMG-Sonderprüfung sei zeitweise ein Börsenwert von mehr als 5 Mrd. Euro vernichtet worden. Der mögliche Verstoß des Konzerns gegen Publizitätspflichten hatte auch die BaFin auf den Plan gerufen (vgl. BZ vom 13. Mai). In der Tat wirken die insgesamt drei aufeinanderfolgenden Ad-hoc-Mitteilungen in Bezug auf die Sonderprüfung (12. März, 22. April und 28. April) im Kontext inhaltlich fragwürdig. Insbesondere die Unternehmensmeldung vom 22. April (21.03 Uhr) könnte als Irreführung von Investoren ausgelegt werden. In dieser Meldung – nur sechs Tage vor Veröffentlichung des KPMG-Abschlussberichts – weist Wirecard nochmals darauf hin, dass keine Belege für die Vorwürfe der Bilanzmanipulation gefunden worden seien und daher kein Korrekturbedarf für die untersuchten Bilanzen 2016, 2017 und 2018 bestehe. Substanziell Neues enthielt diese Meldung im Vergleich zu jener vom 12. März (23:01 Uhr) allerdings nicht. Am darauffolgenden Tag, dem 23. April, jubelten die Anleger. Die Aktie schoss um mehr als 11 % auf fast 141 Euro nach oben. Der Markt hoffte, dass Wirecard das Gröbste in der Sache hinter sich gelassen habe und einem einwandfreien Gütesiegel durch die beauftragten Prüfer wohl nichts mehr im Wege stehe (vgl. BZ vom 24. April). Denn bis dahin war ursprünglich deren Abschlussbericht erwartet worden.Die Gründe für die Verzögerungen erwähnte Wirecard in jener Ad hoc aber nicht mehr, Hinweise dazu gab der Konzern in seiner Mitteilung vom 12. März, als er seinerzeit kurz über die Prüfschwierigkeiten im strittigen Drittlizenzgeschäft berichtete – das war aber schon zu dieser Zeit sechs Wochen her. Am 28. April kam es dann zum großen Knall, als Wirecard den Abschlussbericht veröffentlichte. Nach der Schelte aufgrund eines “Untersuchungshemmnisses” (KPMG) infolge fehlender Daten von Geschäftspartnern brach der Titel um 26 % auf 97,60 Euro ein. Seitdem ging es weiter bergab. Am Mittwoch notierte die Aktie bei etwa 86 Euro. Wirecard: Rechtsform gewahrtWirecard streitet ab, Regeln verletzt zu haben. Auf Nachfrage der Börsen-Zeitung merkte Wirecard dazu an, nicht gegen Ad-hoc-Publizitätsvorschriften verstoßen zu haben. Am 12. März sei ad hoc bekannt gegeben worden, dass der KPMG-Bericht bis zum 22. April veröffentlicht werden würde, so der Konzern. “Am 22. April mussten wir bekannt geben, dass sich der Termin noch einmal verschiebt (. . .). Wirecard ging bis zur Ad-hoc-Meldung am 28. April davon aus, dass der Jahresabschluss – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – bis zum 30. April veröffentlicht werden kann.” Der neue erwartete Termin für die Veröffentlichung des Jahresabschlusses sei “in der dafür rechtlich vorgesehenen Form einer Hinweisbekanntmachung am 30. April 2020 bekannt gemacht worden, eine Ad-hoc-Meldung erfolgte dazu nicht”.