Strafprozess

Wirecard-Kronzeuge als „Lügner“ bezeichnet

Im Wirecard-Strafprozess haben die Anwälte des Hauptangeklagten Markus Braun ihre Attacken gegen den Kronzeugen verschärft.

Wirecard-Kronzeuge als „Lügner“ bezeichnet

sck München – Im Strafprozess um den Bilanzbetrug bei Wirecard haben die Anwälte des Hauptangeklagten, des Ex-Vorstandschefs Markus Braun, ihre Gegenangriffe auf den Kronzeugen verstärkt und auch das Landgericht München I attackiert. In seiner Erklärung sprach Anwalt Al­fred Dierlamm in Bezug auf den geständigen Mitangeklagten Oliver Bellenhaus von einer „Lebenslüge“. Der ehemalige Dubai-Statthalter des Zahlungsabwicklers habe „systematisch betrogen und getäuscht“. Es sei ein lebenslanges Lügen, auch nach den im Frühsommer 2020 aufgeflogenen Machenschaften bei Wirecard, so Brauns Verteidiger am zwölften Tag der Hauptverhandlung vor der vierten Wirtschaftsstrafkammer des Gerichts. „Die Geschichte von Herrn Dr. Braun als Bandenanführer ist eine Gefälligkeitsaussage ohne jeden Realitätsbezug“, schlussfolgerte er.

Brauns Rechtsbeistände beantragten ein Verwertungsverbot für Bellenhaus’ Aussagen vor Gericht. Der Kronzeuge soll laut Verteidigung einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ausgehandelt haben.

Die Strafermittler werfen Braun und seinen mutmaßlichen Komplizen gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Diese hätten jahrelang Kreditkartenzahlungen von Kunden im sogenannten Drittpartnergeschäft (TPA) gefälscht, um Investoren und Wirtschaftsprüfer vorsätzlich zu täuschen. Die Angeklagten hätten mit erfundenen Umsätzen und Gewinnen Wirecard-Kreditgebern einen Schaden von 3,1 Mrd. Euro zugefügt.

Bellenhaus ist bisher der einzige der drei Angeklagten, der vor Gericht ein Geständnis ablegte. Er bestätigte die Tatvorwürfe der Strafermittler. In seinen Vernehmungen durch den Vorsitzenden Richter Markus Födisch und drei Juristen von der Staatsanwaltschaft München I belastete Bellenhaus den Ex-CEO mehrmals schwer. Auf der Anklagebank sitzt auch der frühere Konzern-Chefbuchhalter Stephan von Erffa.

Braun selbst wird voraussichtlich am kommenden Montag erstmals zur Anklage öffentlich Stellung nehmen. Er und Bellenhaus sitzen seit Juli 2020 in U-Haft; von Erffa ist unter strengen Auflagen auf freiem Fuß.

Vor Dierlamms Rede gab Brauns zweiter Verteidiger, Nico Werning, vor Gericht eine Stellungnahme ab. Der Anwalt bekräftigte, dass sein Mandant sich „zu der Sache“ äußern werde. Werning nahm dabei den Kern von Brauns Haltung bereits vorweg: Es sei „allgemein bekannt, dass Herr Braun die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vollumfänglich bestreitet“, sagte er. Braun sieht sich in der Rolle des Opfers, welches von den beiden anderen Mitangeklagten und dem flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek ebenso hintergangen worden sei. Seit dem aufgeflogenen Bilanzbetrug befindet sich Marsalek auf der Flucht. Er soll sich Medienberichten zufolge in Russland versteckt halten.

Am Hauptverhandlungstag zuvor griff Dierlamm bereits Bellenhaus an. Mit seinen vorgetragenen umfangreichen Fragen streute Brauns Anwalt Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit (vgl. BZ vom 9. Februar).

Brauns Verteidiger sowie von Erffas Rechtsbeistände stören sich derweil am Prozessablauf, was einer Kritik an Födisch gleicht. Ihre Verwertungswiderspruche in Bezug auf die Aussagen des Kronzeugen begründen sie damit, dass das Konfrontationsrecht verletzt worden sei. Ein „faires Verfahren“ sei nicht möglich, da Bellenhaus von seinem Schwei­gerecht Gebrauch mache. Werning zufolge ist dieser das „einzige Beweismittel“, welches Braun belaste. Urteile auf Basis einer einzigen Zeugenaussage seien zweifelhaft.

Tags zuvor bestätigte Bellenhaus auf Nachfrage von Födisch, dass er die Fragen der Verteidiger der beiden anderen Angeklagten nicht beantworten werde. Im Prozess dürften geschätzt rund 150 Zeugen geladen werden. Zu erwarten ist, dass Födisch die beantragten Verwertungsverbote als unbegründet ablehnen wird. Zuvor wies er schon Anträge, den Prozess auszusetzen, ab.

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