Wirecard-Kronzeuge belastet erneut Hauptangeklagten Markus Braun
„EY-Prüfung wäre noch schlimmer als bei KPMG gewesen“
Kronzeuge im Wirecard-Prozess belastet erneut Hauptangeklagten Markus Braun
Von Stefan Kroneck, München
Im Betrugsprozess um den Kollaps von Wirecard stand nach langer Zeit abermals der Kronzeuge Rede und Antwort. Am 75. Verhandlungstag vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München räumte Oliver Bellenhaus ein, bereits Monate vor der Prüfung des Konzernabschlusses für 2019 gefälschte Datensätze und manipulierte Simulationen über Zahlungstransaktionen im Drittpartnergeschäft (TPA) vorbereitet zu haben, um Ernst & Young (EY) erneut zu täuschen.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Markus Födisch, warum er dies bereits so frühzeitig getan habe, antwortete der frühere Dubai-Statthalter von Wirecard: „Die EY-Prüfung wäre noch schlimmer als bei KPMG gewesen.“ Seinerzeit sei zu erwarten gewesen, dass EY „alles sehen“ wollte. „Die wollten uns in die Systeme schauen.“ Deshalb brauchte Bellenhaus nach eigenen Angaben eine lange Vorlaufzeit, um bestens auf Fragen von EY reagieren zu können.
Zur Erinnerung: Den Abschluss 2018 testierte EY damals nur kurz vor Fristablauf. Nach den kritischen Ergebnissen der Sonderprüfer von KPMG verweigerte EY im Juni 2020 das Testat für 2019. Wirecard ging pleite infolge eines Finanzlochs von 1,9 Mrd. Euro auf Treuhandkonten bei zwei philippinischen Banken. Die TPA-Aktivitäten erwiesen sich als Luftschloss. Bellenhaus` Diensteifer hatte damals also nichts mehr genutzt.
Ex-Chefbuchhalter als Bindeglied
Seit Juli 2020 sitzt der heute 50-Jährige in Untersuchungshaft, so wie der Hauptangeklagte, Ex-Vorstandschef Markus Braun (54). Während Braun die Tatvorwürfe der Staatsanwaltschaft abstreitet und sich als Opfer von kriminellen Machenschaften stilisiert, gestand Bellenhaus bereits zum Prozessauftakt im Dezember vergangenen Jahres sämtliche Anklagepunkte ein. Die Strafermittler werfen ihnen gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor. Sie sollen seit 2015 Bilanzen manipuliert und kreditgebende Banken um 3,3 Mrd. Euro geschädigt haben.
Der Prozess hat sich zu einem Schlagabtausch zwischen Braun und Bellenhaus entwickelt. Bellenhaus belastet Braun schwer. Aus Sicht des Kronzeugen war der Ex-CEO der Kopf der Betrugsbande gewesen. Dies bekräftigte er am Mittwoch. Von Stephan von Erffa habe er, Bellenhaus, erfahren, dass Braun diese Datenmanipulationen so wollte. Nach Rücksprache mit Braun habe Erffa dann dies ihm gegenüber kommuniziert. Bellenhaus manipulierte nach dieser Version also Transaktionen im Auftrag von Braun. Erffa fungierte nach dieser Darstellung als Bindeglied zwischen Braun und Bellenhaus. Der ehemalige Konzernchefbuchhalter Erffa sitzt ebenfalls auf der Anklagebank.
Wortgefechte
Brauns Verteidiger beschuldigen stattdessen Bellenhaus, zusammen mit dem flüchtigen Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek ein firmeninternes kriminelles Netzwerk betrieben zu haben, um von Wirecard hunderte Millionen Euro für eigene Zwecke abzuziehen. Bellenhaus habe nach dem Wirecard-Zusammenbruch unzählige Daten gelöscht oder zerstört, um die Spur zu verwischen. Der Kronzeuge widersprach dieser Darstellung.
Beide Seiten bezichtigen sich der Lüge. Am Montag hatte Bellenhaus vor Gericht die Aussagen von Brauns Rechtsbeiständen als „abwegig“ bezeichnet. Belege dafür fänden sich nicht. „Hier wird vor allem ein Krieg um die öffentliche Meinung geführt“, erklärte der Kronzeuge.
In seiner Stellungnahme warf Bellenhaus den Anwälten Brauns vor, vielfach falsch gerechnet zu haben. „Worin läge das Motiv, eine solche Schattenstruktur aufzubauen und über ein Jahrzehnt am Laufen zu halten?“, fragte der Kronzeuge vor Gericht.
Für den Mittwoch hatte das Gericht ursprünglich einen Manager des japanischen Technologie-Investors Softbank zur Zeugenvernehmung geladen. Softbank habe bislang auf die Ladung nicht reagiert, heißt es. Wirecard hatte Softbank im Frühjahr 2019 angelockt. Sie sollte damals 900 Mill. Euro in eine Wandelanleihe von Wirecard investieren. Dazu kam es aber nicht mehr.