Wirecard-Kronzeuge schildert Betrugssystem
Am zehnten Hauptverhandlungstag im -Strafprozess hat sich der Kronzeuge erneut sehr auskunftsfreudig gezeigt. In der Befragung durch die Staatsanwaltschaft berichtete Oliver Bellenhaus von einem konzernintern abgeschotteten Betrugssystem in Bezug auf das angebliche Drittpartnergeschäft (TPA). „TPA war generell abgeschottet. Da haben wir niemanden rangelassen“, so der frühere Konzernstatthalter in Dubai. Mit „wir“ meint er die beiden Mitangeklagten, Ex-Vorstandschef Markus Braun und den einstigen Chefbuchhalter Stephan von Erffa, sowie den auf der Flucht befindlichen ehemaligen Vorstand Jan Marsalek.
Bellenhaus verfügte nach eigenen Angaben über einen direkten Draht zu Marsalek und zu von Erffa und agierte innerhalb des Konzerns autark. So habe er Anfragen der Wirecard-Bank über Geldwäscheverdachtsmomente und der Marketing-Abteilung über TPA-Umsätze generell nicht oder nur ausweichend beantwortet. Letztes habe konzernintern „niemanden wirklich interessiert“.
Faktisch sei Bellenhaus als Geschäftsführer von Wirecard Systems Middle East für die operative Bearbeitung der Drittpartneraktivitäten des Konzerns allein zuständig gewesen. Der Hinweis auf mehr als 50 Mitarbeiter diente demnach nach außen nur zur Täuschung. Tatsächlich hätten diese für den Konzernbereich Wirecard Processing gearbeitet. Auch sei die IT von TPA nie in die des Konzerns integriert gewesen. Bellenhaus sprach in diesem Zusammenhang von einer „IT-Parallelwelt von TPA“.
Die Fälschung von Vertragsdokumenten und Transaktionen verlief solange in weiten Teilen einigermaßen unbemerkt, bis der Aufsichtsrat im Herbst 2019 KPMG mit einer Sonderprüfung beauftragte. Nach den aufgeflogenen Bilanzbetrügereien kollabierte Wirecard im Juni 2020.
Wie das Landgericht bereits am Mittwochabend bekanntgab, wurden die Anträge der Verteidigung auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen. Der Mammutprozess vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I unter Vorsitz des Richters Markus Födisch wird daher fortgeführt. Am (vgl. BZ vom 26. Januar). „Nach Überzeugung der Kammer sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung (…) nicht gegeben. Eine effektive Verteidigung der Angeklagten sei auch ohne Aussetzung möglich“, teilte die Justiz mit. Die zum Prozessauftakt von Brauns Rechtsbeistand angekündigten Anträge waren mit der Staatsanwaltschaft übermittelten Aktenflut begründet worden. Diese sei nicht effizient zu bearbeiten (vgl. BZ vom 9.12.2022). Zugleich kündigte die Kammer jedoch eine Verhandlungspause an. Födisch führt die Hauptverhandlung deshalb erst am 8. Februar fort. Als Grund für die Unterbrechung gab die Strafkammer an, dass Brauns Anwälte angekündigt hätten, „keine Fragen der Verteidiger der weiteren Angeklagten zu beantworten.“
Hierfür plante das Gericht ursprünglich die kommenden drei Verhandlungstage ein. „Zudem soll allen Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit gegeben werden, zuletzt eingegangene Aktenbestandteile durchzuarbeiten“, ergänzte die Kammer. Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten vor allem „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“ vor. Ein Urteil ist frühestens 2024 zu erwarten.