Wirecard steht fürs Prinzip "nicht zuständig"

Für Geldwäscheaufsicht will keiner verantwortlich gewesen sein - Prüfung Deutschlands durch Regulierer FATF fällt in eine heikle Zeit

Wirecard steht fürs Prinzip "nicht zuständig"

Für den havarierten Dax-Konzern waren viele Aufsichtsinstanzen zuständig und damit letztlich niemand, vor allem, was die Geldwäscheaufsicht angeht – Rekonstruktion eines Geflechts von Verantwortlichkeiten, das als Paradebeispiel für das Phänomen der Verantwortungsdiffusion gelten kann.Von Tobias Fischer und Bernd Neubacher, FrankfurtWenn viele zuständig sind, ist oft am Ende keiner zuständig. Der Fall Wirecard ist ein Paradebeispiel für dieses Phänomen, das Psychologen als Verantwortungsdiffusion beschreiben. Je mehr Menschen oder Instanzen involviert sind, desto eher verlässt sich der eine auf den anderen, und desto wahrscheinlicher, dass schließlich keiner eingreift. Ob Finanzaufsicht BaFin, Financial Intelligence Unit (FIU), Bezirksregierung Bayern, EZB, Wirtschaftsprüfer wie EY und Bilanzpolizei DPR, Staatsanwaltschaft – man muss nicht einmal bösen Willen unterstellen, um das Versagen bzw. Nichteingreifen verschiedener staatlicher und privatwirtschaftlicher Stellen in der Causa zu erklären. Auch wenn, wie Experten mutmaßen, der Wunsch mancher Politiker, einen nationalen Champion der Digitalökonomie zu pushen, trotz aller Warnsignale angestrengtes Wegsehen befördert haben mag.Von den vielen Vorwürfen gegen Wirecard ist Geldwäsche nur einer, aber die Vielzahl der Stellen, die hier involviert oder eher gesagt nicht involviert sind, verdeutlicht anschaulich das Phänomen der Verantwortungsdiffusion. Hinweise zuhaufHinweise auf Unregelmäßigkeiten gab es zuhauf. Schon 2016 wurden Betrugsvorwürfe laut, denen die BaFin auch nachging. Ohne Konsequenzen für das Unternehmen. Ein Whistleblower spielte der Behörde Anfang vergangenen Jahres Informationen zu, dass in der Bilanzierung nicht alles mit rechten Dingen zuging, die “Financial Times” berichtete beharrlich über Unregelmäßigkeiten. Stattdessen gerieten Shortseller und die Journalisten des Blattes ins Visier von Aufsicht und Staatsanwaltschaft – und dies auf Basis von Indizien, die, wie ein Ende vergangener Woche erschienener Bericht der “FT” nahelegt, so handfest gewesen sein dürften wie die Bankguthaben des Konzerns auf den Philippinen. Die BaFin erklärte sich jenseits der Wirecard Bank für die von ihr als Technologieunternehmen eingestufte AG nicht zuständig. Zwar habe sie sich auch Wirecard als Ganzes angeschaut, erklärte Präsident Felix Hufeld jüngst bei einer Tagung, doch habe sie sich zu lange auf die formal korrekten Verfahren verlassen: “Wir haben vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehen.” Dass Mitarbeiter mit Wirecard-Aktien handelten, ist dem Vertrauen in die Behörde nicht gerade zuträglich.Angesichts des Trommelfeuers der Kritik, unter dem die BaFin als Bankaufsichts- und Wertpapieraufsichtsbehörde nun steht, geht in der öffentlichen Wahrnehmung fast unter, dass auch andere Aufsichtsinstanzen ihren Teil zum Desaster beigetragen oder den Dingen zumindest ihren Lauf gelassen haben: Die Deutsche Bundesbank war wie die BaFin an der Entscheidung beteiligt, die Wirecard-Gruppe als Technologieunternehmen einzustufen. Europas Bankenaufsicht war hingegen zwar nicht direkt involviert. Dem bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelten Single Supervisory Mechanism (SSM) steht es als indirekte Kontrollinstanz über die Masse der Institute jenseits der Großbanken gleichwohl grundsätzlich frei, die Aufsicht über ein von den nationalen Behörden kontrolliertes Institut bei Bedarf jederzeit an sich zu ziehen. Und ohne Plazet der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA wäre auch das Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien kaum Realität geworden.Was Geldwäscheprävention angeht, so fiel die Wirecard-Aufsicht letztlich der für Nichtfinanzunternehmen zuständigen Bezirksregierung Niederbayern zu, in deren regionalem Verantwortungsgebiet sich der Konzernsitz aus Aschheim befand. Dass die für Schmuckhändler, Immobilienmakler und Autoverkäufer verantwortliche Behörde hoffnungslos überfordert gewesen sein dürfte, eine im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zum verschachtelten, global aktiven Konzern gewachsene Wirecard AG zu beaufsichtigen, liegt auf der Hand.Es dauerte bis zum 25. Juni, also exakt bis zum Tag des Insolvenzantrags von Wirecard, bis Bayerns Innenministerium BaFin und Bundesfinanzministerium mitteilte, dass der Freistaat im Falle Wirecards nicht für die Geldwäscheaufsicht zuständig sei. Hintergrund: An der Umsetzung des Geldwäschegesetzes sind der Bund und die Länder beteiligt. Für den “Nichtfinanzsektor” sind die Länder zuständig, allerdings zählen zum Nichtfinanzsektor auch einige Finanzunternehmen, die weder als Bank noch als Finanzdienstleister eingestuft sind. Zuständige Behörde in dieser Hinsicht für Ober- und Niederbayern ist die Regierung Niederbayerns. Laut Innenministerium zählte aber Wirecard nicht zu den Finanzunternehmen, für die eine Geldwäscheaufsicht des Landes in Betracht käme.Fachleute erklären die Kontrolllücke damit, dass Gesetze für neue Akteure in der Finanzindustrie nicht Schritt gehalten haben mit der Bankenregulierung. Während die Wirecard Bank als kleiner Teil innerhalb des Konzerns allen Regeln der Aufsichtskunst der BaFin unterlag, fiel alles andere durchs Raster. Anti-Geldwäsche-Aufsicht funktioniere in Deutschland, solange es um die Kontrolle von Banken gehe. Die werden beaufsichtigt. Kommen aber Anbieter ins Spiel, die nicht das Label “Bank” tragen, Technologiefirmen etwa, die einzelne Finanzdienstleistungen anbieten, gerate das System an seine Grenzen, erklärt ein Finanzkriminalitätsexperte, der ungenannt bleiben will. Im Fall Wirecard hat sich seiner Einschätzung zufolge gezeigt, dass die Bank aus Schmuddeleien herausgehalten wurde, eben weil sie der Aufsicht unterlag und damit die Gefahr hoch gewesen sei, dass der Schwindel auffliegt. Die Finanzmanipulation habe außerhalb der Bank stattgefunden. Altbackenes ModellDieses altbackene Aufsichtsmodell entstamme Zeiten, in denen die Geschäftsmodelle weniger Risiken bargen. Wirecard nahm 1999 als Zahlungsdienstleister ihren Anfang. Die Idee dahinter sei gewesen: Was mehr oder minder risikolos sei, bedürfe nicht der Aufsicht durch Experten und könne von einer Landesbehörde geregelt werden.Um Abhilfe zu schaffen, empfiehlt der Experte eine Flurbereinigung der Geldwäscheaufsicht im Land, eine zeitgemäße Neudefinition von Bankgeschäft und eine Harmonisierung der Standards auf europäischer Ebene. Denn die EU-Geldwäscherichtlinien ließen den Nationalstaaten viel Spielraum bei der Implementierung der Vorgaben. In Frankreich etwa, so der Geldwäsche-Fachmann, seien die Anforderungen, um eine Banklizenz zu erhalten, wesentlich geringer als in Deutschland.Eine weitere Institution, die so oft gescholtene, beim Zoll angesiedelte Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU), mag im Fall Wirecard hier und da nicht schnell oder sorgfältig genug gewesen sein, hat aber offenbar nach aktuellem Stand ihren Job im Großen und Ganzen gemacht. Sie prüft, sortiert und leitet gegebenenfalls Verdachtsmeldungen an die Strafverfolger weiter, die nach dem Geldwäschegesetz Verpflichtete wie Banken, Notare oder Immobilienmakler ihnen melden. So zeigte sich dieser Tage, dass die FIU 2019 zwei als höchst relevant eingestufte Verdachtsmeldungen weiterreichte, die dann aber von der Staatsanwaltschaft München I verschludert worden sein sollen. Dass die vom SPD-Abgeordneten Jens Zimmermann als “Smoking Gun” titulierten Hinweise dort untergegangen seien, weist die Staatsanwaltschaft von sich.BaFin-Chef Felix Hufeld selbst spricht von einer “Schande” und einem “totalen Desaster”, sieht also eigenes Versagen. Ob er wirklich Spielraum gehabt hätte, die Geldwäscheaufsicht über den kompletten Konzern an sich zu ziehen, bezweifeln Experten aber. Sie sehen eher die Politik in der Verantwortung, weniger die BaFin. Die organisierte Verantwortungslosigkeit sei Folge der Spielregeln, die der Gesetzgeber, sei es in Berlin, sei es in Brüssel, gesetzt hat, heißt es. Und deren Konstruktionsmängel in der Aufsicht beließen Schlupflöcher. Finanzminister Olaf Scholz will nun nachbessern und die Aufsicht reformieren. Ihn wird der Fall noch eine Weile begleiten. So könnte noch im September der parlamentarische Untersuchungsausschuss zu Wirecard seine Arbeit aufnehmen. Das Verfahren dürfte sich weit ins nächste Jahr hinziehen. Zudem rückt die Evaluation der Geldwäscheprävention in Deutschland durch die internationale Financial Action Task Force (FATF) näher. Die Prüfer des internationalen Regulators in der Geldwäschebekämpfung werden im Februar und März vor Ort vorstellig, unter anderem bei der BaFin. Die FATF unterzieht ihre Mitgliedsländer alle zehn Jahre einer Evaluierung.Nötigte die Prüfungsrunde, die mit einer eingehenden Durchleuchtung der Institutionen und rechtlichen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Geldwäsche im Finanz- wie im Nichtfinanzsektor einhergeht, den Verantwortlichen schon vor dem Wirecard-Zusammenbruch höchsten Respekt ab, so dürfte die Nervosität seitdem noch deutlich gestiegen sein. In der letzten Prüfung 2010 entging die Bundesrepublik einer Blamage. Die Aufnahme auf eine FATF-Liste sei – vor allem wegen Mängeln im Nichtfinanzsektor – nicht weit entfernt gewesen, hieß es. Dies hätte einen Aktionsplan zur Folge gehabt, der unter Aufsicht der Prüfer abzuarbeiten gewesen und einer Schmach gleichgekommen wäre.Diesmal soll es strenger zugehen als vor zehn Jahren, so die BaFin. Die FATF vergibt eine aus 51 Einzelbewertungen bestehende Note. Als besonders heikel gilt dabei die mit elf Noten beurteilte Effektivität bei der Einhaltung von Standards und Regeln. Beurteilt werden Justiz, Strafverfolgungsbehörden, FIU, BaFin sowie Verbände und Institute des Finanzsektors. Die Bundesregierung misst dem Verfahren höchste Relevanz bei. Die Ergebnisse beeinflussten das wirtschaftliche und politische Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, hat etwa das Bundesjustizministerium mitgeteilt. Lücken seit langem bekanntAuf europäischer Ebene sind die Kontrolllücken in der Geldwäschebekämpfung lange bekannt. Die Zersplitterung der Verantwortlichkeiten in nationale und EU-Aufsicht mit jeweils Finanzaufsichtsbehörden und FIU in den 27 Mitgliedstaaten, zudem EZB und EBA, hat sich als nicht effektiv erwiesen. Zumindest sind seit dem Danske-Bank-Skandal ernsthafte Anstrengungen unternommen worden, um den unbefriedigenden Zustand zum Besseren zu wenden. Die Schlupflöcher auf bundesdeutscher Ebene sind hingegen im Zuge des Wirecard-Zusammenbruchs offenbar geworden, wenngleich Deutschland seit Jahr und Tag als Geldwäscheparadies, besonders im Immobiliensektor, gilt. Dennoch war Deutschland lange Zeit ein Ruf als ein Ort innerhalb der EU vorausgeeilt, an dem es besser läuft als etwa auf Malta, in Estland, Lettland und eben Dänemark. Das war einmal.