Wirecard vor Zerschlagung

Insolvenzverwalter will Konzernteile verkaufen - Erneute Razzia wegen ausgeweiteten Strafermittlungen

Wirecard vor Zerschlagung

Während aufgrund ausgedehnter Strafermittlungen im Bilanzskandal die Staatsanwaltschaft erneut Büros von Wirecard nach Beweismaterial durchsuchen ließ, zeichnet sich für den insolventen Zahlungsabwickler eine Zerschlagung ab. Der Insolvenzverwalter Michael Jaffé plant den Verkauf von Konzernteilen. sck München – Der insolvente Zahlungsabwickler Wirecard steht vor einer Filetierung. Der vom zuständigen Amtsgericht als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzte Fachanwalt Michael Jaffé plant, Unternehmensteile an Investoren zu veräußern. Einer Pressemitteilung seiner Kanzlei zufolge hat der Gläubigerausschuss diesem Vorhaben im Kern zugestimmt. Jaffé habe über die Lage berichtet, hieß es darin. “Demnach haben sich bereits zahlreiche Interessenten weltweit für den Erwerb von Geschäftsbereichen gemeldet. Der vorläufige Gläubigerausschuss gab daraufhin grünes Licht für einen internationalen Investorenprozess unter Einschaltung von Investmentbanken.”Jaffé zufolge soll es sich hierbei um einem “strukturierten Transaktionsprozess” handeln. Es hätten sich Interessenten “aus aller Welt” gemeldet. Diese hätten einen Erwerb des Kerngeschäfts und anderen Geschäftsbereichen im Visier. Lange VerfahrenDamit wäre das Schicksal des vor 21 Jahren gegründeten Unternehmens besiegelt. Das Insolvenzverfahren kann Jahre dauern. Jaffé wickelte zuvor die 2002 pleite gegangene Kirch Media ab. Erst 2018 – nach 16 Jahren – konnte er das Insolvenzverfahren für die Mediengruppe des vor neun Jahren verstorbenen Firmenpatriarchen Leo Kirch beenden. Das Verfahren für den Anfang 2009 insolvent gegangenen Speicherchiphersteller Qimonda dauert immer noch an. Ein langer Rechtsstreit zwischen Jaffé und der früheren Qimonda-Muttergesellschaft Infineon behindert ein Vorankommen. Aktie wieder auf TalfahrtDie Klarheit über das weitere Vorgehen Jaffés bei der Obergesellschaft, der Wirecard AG, sorgte aber nicht für ein Kursplus. Im Gegenteil: Nach Kurskapriolen in den vergangenen Tagen auf niedrigem Niveau, bei der die Aktie zeitweise um mehr als 200 % hochschnellte, reagierten Spekulanten am Mittwoch auf die jüngsten Entwicklungen recht ernüchtert. Nach einer Wiederaufnahme des Xetra-Handels für die Wirecard-Titel am Mittwochmittag ging die Aktie auf Talfahrt. Der Anteilschein brach zeitweise um 31 % ein und beendete den Handel bei 4,80 Euro (-16,2 %). Das Unternehmen bringt am Markt damit nur noch 593 Mill. Euro auf die Waage. Wirecard war einst in der Spitze 40 Mrd. Euro wert.Für die gedrückte Stimmung dürften die ausgeweiteten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München in dem Bilanzskandal gesorgt haben. Aufgrund des Strafverfahrens gegen den gesamten früheren vierköpfigen Vorstand (darunter Ex-Konzernchef Markus Braun) führten die Ermittlungsbehörden unter anderem am Unternehmenshauptsitz in Aschheim bei München abermals eine Razzia durch. Wie die Strafermittler der zuständigen Behörde mitteilten, waren daran zwölf Staatsanwälte, 33 Polizisten und IT-Spezialisten beteiligt. Sie durchsuchten Büros nach Beweismaterial. Im Rahmen eines Amtshilfeersuchens waren auch Strafermittler im Nachbarland Österreich eingeschaltet. In Wien wurde dem Vernehmen nach das Haus von Braun ebenfalls durchsucht. Die Staatsanwaltschaft München wirft den Beschuldigten mittlerweile drei Delikte in Tateinheit vor: Bilanzfälschung, Betrug und Marktmanipulation. Das Verfahren beruht auf einer Anzeige der Finanzaufsicht BaFin. Seinerzeit verdächtigte die Aufsicht die Konzernführung der Marktmanipulation. Anlass dafür gaben drei widersprüchliche Ad-hoc-Meldungen von Wirecard im Zeitraum Mitte März bis Ende April im Zusammenhang mit der Bilanzsonderprüfung von KPMG. Die Ermittler durchkämmten erstmals Anfang Juni Büros von Wirecard. Auch Ex-Chef Braun entlassenDas Resultat der Untersuchung widerlegte nicht die Zweifel – insbesondere der “Financial Times” – an den Angaben des Unternehmens vor allem in Bezug auf das strittige Drittlizenzgeschäft in Asien. KPMG fand keine Belege für diese Aktivitäten. Die Prüfer schrieben von einem “Untersuchungshemmnis”. Nach einer kritischen Durchleuchtung des Sachverhalts durch den Abschlussprüfer Ernst & Young (EY) erhärtete sich der Verdacht, dass ein Großteil der Angaben in der Bilanz auf Bilanzfälschungen beruht. So tat sich ein Loch bei angeblichen Treuhandkonten in den Philippinen von 1,9 Mrd. Euro auf. Verantwortlich dafür war der frühere Vorstand fürs operative Geschäft, Brauns Vertrauter Jan Marsalek. Der Österreicher ist vermutlich auf der Flucht, um sich den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Wirecard hatte ihn nach der aufgedeckten Bilanzlücke fristlos entlassen. Ebenfalls nachträglich gekündigt ist das Arbeitsverhältnis zum einstigen Dauer-Vorstandsvorsitzenden Braun, wie Wirecard auf ihrer Internetseite mitteilte. Allianz gibt Kooperation aufDer ebenfalls aus Österreich stammende Wirecard-Gründer und einstige Großaktionär trat vor knapp zwei Wochen von seinem Amt zurück. Offiziell gehören Finanzvorstand Alexander von Knoop und Produktvorstand Susanne Steidl dem obersten Führungsgremium des Unternehmens an, wenngleich Jaffé seit Montag kraft seines Amtes bei Wirecard die Zügel in der Hand hält. Brauns Nachfolger ist der zuvor von Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann abgeworbene Jurist James Freis. Der Amerikaner muss Entscheidungen von Jaffé absegnen lassen.Primäres Ziel des Insolvenzverwalters ist es, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. “Dies gilt sowohl für die Abwicklung von Kreditkartenzahlungen als auch für die weiteren Geschäftsbereiche, die unabhängig davon zu sehen sind. Dazu werden intensive Gespräche mit Kunden, Handelspartnern und den Kreditkartenorganisationen geführt”, ließ Jaffé mitteilen. “Die Wirecard Bank AG ist weiterhin nicht insolvent, Auszahlungen an Händler und Kunden der Wirecard Bank werden ohne Einschränkungen ausgeführt.”Derweil stellte die Allianz ihre Bezahl-App “Pay & Protect” ein. Europas größter Erstversicherer begründete dies mit dem Skandal bei Wirecard. Beide Unternehmen hatten die App, die seit August 2019 auf dem Markt ist, zusammen entwickelt.