IM INTERVIEW: CHRISTIANE NEUMÜLLER, SIA

"Zahlungsabwicklung geht auf Echtzeit"

Ein Teil traditioneller Abwicklung wird in Instant-Payment-Systeme umgewandelt - Es werden eher Bar- als Kartenzahlungen ersetzt

"Zahlungsabwicklung geht auf Echtzeit"

Die Infrastruktur des Zahlungsverkehrs wird mit Freischaltung des EZB-Systems TIPS weiter für Echtzeit-Zahlungen ertüchtigt. Die Instant-Payment-Expertin Christiane Neumüller von SIA erwartet, dass Echtzeit-Payment insbesondere auf mobilen Endgeräten integriert wird – und im Handel Barzahlungen ersetzt.- Instant Payments sind seit November auf dem europäischen Markt verfügbar. Sind die deutschen Privatbanken hinsichtlich ihrer IT-Landschaft und ihrer allgemeinen Payment-Strategie bereit für dieses Angebot?Technisch werden wohl Ende des Jahres die meisten deutschen Banken so weit sein, Echtzeitüberweisungen problemlos abwickeln zu können. Ich bin davon überzeugt, dass jede Bank eine klare Vorstellung davon hat, wie die sich wandelnden, neuen Kundenbedürfnisse und der Markt den Zahlungsverkehr verändern werden. Jeder von uns wird Tag für Tag damit konfrontiert, bezahlen zu müssen, und wünscht sich, es möge schnell, sicher, einfach und jederzeit funktionieren.- Sind Instant Payments eher eine B2C-Lösung oder richten sie sich vorwiegend an den Interbankenmarkt?Ich sehe die Echtzeitüberweisung künftig als eine Standardfunktion, die jedem Kunden zu jeder Zeit und überall zur Verfügung steht. In unserer heutigen digitalen Welt sind wir es gewohnt, Ergebnisse umgehend zu erhalten. Wenn wir beispielsweise eine Anfrage bei Google starten, sehen wir sofort die Suchergebnisse. Auch E-Mails kommen in der Regel sofort beim Empfänger an. Die Frage ist also: Warum wird ein digitaler Geldtransfer nicht sofort ausgeführt? Aus diesem Grund reicht eine reine Bank-zu-Bank-Instant-Payment-Infrastruktur nicht aus. Wir müssen sie in das Ökosystem des Massenzahlungsverkehrs integrieren, insbesondere für mobile Endgeräte.- Was ist der technologische und strategische Vorteil von Instant Payments gegenüber anderen Zahlungsmethoden? Dem Privatkunden ist es ja in der Regel egal, ob es eine Zahlungsgarantie oder eine sofortige Abrechnung gibt.Es gibt Situationen, in denen Kunden schnelle und einfache Zahlungen benötigen. Wenn Sie etwa eine Bestellung in einem Online-Shop aufgeben, stehen Ihnen verschiedenste Zahlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Abhängig von der gewählten Zahlungsart wird die Ware dann sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt in den Versand gegeben, sobald der Zahlungseingang erfolgt ist. Dabei gibt es eine Vielzahl von Einkäufen, bei denen Sie das Produkt unmittelbar nutzen wollen: zum Beispiel elektronische Bücher, Musik und Filme. Und in genau solchen Fällen muss die Zahlung sofort be- und verarbeitet werden. Darüber hinaus ermöglichen Echtzeitzahlungen die volle Kontrolle über den aktuellen Kontostand. Denn man muss nicht auf den nächsten Werktag warten, um zu sehen, ob eine Zahlung durchgeführt wurde.- Wie kann das im Alltag stattfinden?Vor einigen Wochen hat ein Freund von mir ein neues Auto gekauft. Bei Vertragsabschluss fragte er das Autohaus, ob er via Instant Payments bezahlen könne, da seine Bank diese Methode bereits anbietet. Der Verkäufer war erstaunt und antwortete, dass es wohl besser sei, er überweise den Betrag mindestens drei Tage vor Abholung, damit der Zahlungseingang geprüft und die Ausgabe des Fahrzeugs freigegeben werden kann. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass eine Echtzeitüberweisung allen beteiligten Parteien nur Vorteile bringt, durch maximale Transparenz und Schnelligkeit.- Welche Prognosen haben Sie für die Einführung von Instant Payments für die nächste Zeit? EBA Clearing ist bereits mit seiner Instant-Payment-Infrastruktur live gegangen und die EZB folgt in diesen Tagen. Wie wird der Markt Instant Payments Ihrer Meinung nach aufnehmen?Ich gehe davon aus, dass die Einführung von Instant Payment sich beschleunigen wird. Ein Jahr nach dem Start von Instant Payments wurde jetzt die Schwelle von fünf Millionen Transaktionen überschritten. Es gibt inzwischen 32 teilnehmende Institute mit über 1 000 PSPs (Payment Service Provider) in zwölf Ländern. Ich gehe davon aus, dass sich das Expansionstempo beschleunigen wird, sobald der Target Instant Payment Service (TIPS) der EZB eingeführt wird. Auch bin ich davon überzeugt, dass in wenigen Jahren Instant Payment als Standard-Service im Markt implementiert und akzeptiert sein wird.- Bilden EBA Clearing mit RT1 und die EZB mit TIPS nicht quasi eine Doppelstruktur, weil sie denselben Markt bedienen? Brauchen wir wirklich Wettbewerb auf diesem Teil der Infrastruktur?Eine der wichtigsten Anforderungen an jedes europäische Zahlungsverkehrssystem ist die uneingeschränkte Erreichbarkeit. Die Koexistenz von zwei paneuropäischen Plattformen, die auf inländischen Automated Clearing Houses aufbauen, wird die breitere Akzeptanz von Instant Payments sicherlich befördern. Zugleich wird es eine reibungslose Interoperabilität zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern gewährleisten. Der Wunsch der Nutzer nach Echtzeit-Zahlungen wird auch von den sich neu abzeichnenden Vertriebskanälen wie etwa dem Mobiltelefon vorangetrieben. Folglich wird mittelfristig ein Teil der traditionellen Zahlungsabwicklung in Instant Payments umgewandelt werden. Um das bereits vorhersehbare Wachstum bewältigen zu können, sollten technische Infrastrukturen skalierbar sein. Darum wurde die RT1-Plattform von EBA Clearing auch mit Tausenden von Transaktionen pro Sekunde getestet. Das zeigt ihr Potenzial, eine zentrale Rolle in der europaweiten “Massenmigration” hin zu Instant Payments zu spielen.- Wie sieht es mit der Preisdifferenzierung aus?Die Preispolitik ist schlicht von den erzielten Skaleneffekten abhängig, da sie logischerweise die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur ausgleichen muss. Wir erwarten allerdings, dass sich der laufende Konsolidierungsprozess weiter beschleunigen wird, was zu einer führenden Marktpositionierung der stärksten europäischen Akteure führen wird.- Auf dem italienischen Markt wurden Instant Payments viel schneller angenommen als in vielen anderen europäischen Märkten, mit Ausnahme von Schweden. Warum ist das so? Macht die Regulierung oder der Wille zur Innovation den Unterschied?Die Regulierung wirkt sich positiv auf die Entwicklung von Instant Payments aus, insbesondere durch die im letzten Januar verabschiedete Zahlungsdienstrichtlinie PSD2. Diese EU-Regel ermöglicht Zahlungen durch den direkten Zugriff auf Girokonten. Ihr größter Vorteil wird jedoch erst durch die Einführung von Instant Payments erzielt. Der Wille zur Innovation ist ein Schlüsselfaktor für eine schnelle Implementierung der neuen Zahlungsmethode. Die schnellere Annahme von Instant Payments auf dem italienischen Markt hängt auch mit der guten Zusammenarbeit zwischen den Banken sowie der sehr hohen Nutzung von Barzahlungen (86 %) im Handel zusammen, denn dies bietet eine gute Möglichkeit, Barausgaben in mobile Instant Payments umzuwandeln. In dieser Hinsicht ist Italien Deutschland tatsächlich sehr ähnlich. Denn auch wir in Deutschland ,lieben` unser Bargeld, das sehen Sie daran, dass noch immer 75 % unserer Zahlungen im Handel mit Bargeld beglichen werden.- Einige Marktteilnehmer gehen davon aus, dass Instant Payments der Tod der Kreditkarte sein könnten. Ist eine disruptive Wechselwirkung möglich? Wie Sie wissen, sind Kreditkarten im deutschen Einzelhandel nicht sehr willkommen, und die Händler sind preissensibel. Es gibt also einen Anreiz für Sie, auf Instant Payments umzustellen.Das ist nicht so einfach zu beantworten. Aus meiner Sicht gibt es hier kein Schwarz oder Weiß, es wird wohl eher verschiedene Grautöne geben. Sie haben recht, wir Deutsche bevorzugen es, wenn wir sofort sehen, was unserem Konto belastet wird. Hier spreche ich allerdings von den täglichen Einkäufen und Erledigungen. Sehen wir uns aber mal die Autovermietungen an, hier wird üblicherweise eine Kaution verlangt, und dafür wird meist eine Kreditkarte vorausgesetzt. Die Kaution wird eingebucht, aber dem Konto nicht sofort belastet. Das Gleiche gilt beispielsweise auch für Hotels. Und ich gehe nicht davon aus, dass wir diesen Reservierungsbetrag direkt auf dem Konto gebucht haben wollen. Wie Sie an diesen Beispielen sehen, gibt es kein klares Ja oder Nein. Vielmehr glaube ich, dass Instant Payments einen größeren Anteil an Bargeldzahlungen als an Kartenzahlungen ersetzen werden. Zudem bin ich davon überzeugt, dass die disruptiven Veränderungen aus ganz anderen Bereichen kommen werden, wie zum Beispiel aus dem Gesundheitswesen, der Verkehrstechnik und der Automobilindustrie.- Für SIA sind Akquisitionen nichts Neues. Sehen Sie weitere Möglichkeiten für Akquisitionen, und auf welchem Marktsegment streben Sie Wachstum an?Der Markt für elektronischen Zahlungsverkehr befindet sich aktuell in einer Konsolidierungsphase. Vor zwei Jahren haben wir die Übernahme der E-Money-Processing-Aktivitäten in Italien, Deutschland und Österreich von Unicredit abgeschlossen. Vor kurzem haben wir nun das Karten-Processing-Geschäft von First Data in Teilen Mittel- und Südosteuropas übernommen. Diese Aktivitäten sind für die SIA-Gruppe, die insgesamt ihren internationalen Wachstumskurs fortsetzt und die Führungsrolle auf europäischer Ebene im Bereich des elektronischen Zahlungsverkehrs bestätigt, von entscheidender Bedeutung. Zusätzlich sind wir auf der Suche nach weiteren möglichen Deals in ganz Europa: Wir interessieren uns für unterschiedliche Bereiche, vor allem aber für Unternehmen, die auf digitale Zahlungsdienste spezialisiert sind und uns helfen, unser Angebot an Hightech-Lösungen zu erweitern.- Sind Instant Payments an Ihre Sepa-Strategie oder mehr an SIAs PSD2-Plattform gebunden?Die Antwort ist: sowohl als auch. Instant Payments spielen sowohl für unsere Sepa-Strategie als auch für unsere PSD-Plattform eine zentrale Rolle. Es ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung unseres Angebots zur Zahlungsabwicklung, das alle Sepa-Transaktionen sowie Nicht-Euro- oder High-Care-Zahlungen umfasst. Gleichzeitig passt es perfekt zu unserer Open-Banking-Plattform, die es Banken, Finanzinstituten und Drittanbietern ermöglicht, die Vorteile von Sofortzahlungen ihren Kunden und Händlern zur Verfügung zu stellen.—-Die Fragen stellte Björn Godenrath.