Zahlungsverkehr ist längst am Wendepunkt angekommen

Im Firmenkundengeschäft gewinnt der Anbieter, dem es gelingt, kleine und große Datenmengen über Grenzen hinweg schnell und kostengünstig zu verarbeiten

Zahlungsverkehr ist längst am Wendepunkt angekommen

Der Zahlungsverkehr steht vor einschneidenden Veränderungen. Und noch stehen die Sieger des neuen Wettbewerbs um Firmenkunden und Systeme nicht fest. Nur Banken, die sich schnell genug weiterentwickeln, haben gute Chancen, sich ganz vorn zu positionieren.Im ersten Boom der New Economy galt der Spruch: “Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.” Heute, zwanzig Jahre später, rollt die nächste Welle der “Disruption” auf die Finanzbranche zu und bringt Umwälzungen mit erheblichen Auswirkungen. Wieder geht es um die Frage, wer dabei zu den Gewinnern zählen wird: Die kleinen, aufstrebenden Fintech-Unternehmen, die mit neuen Ideen und schnellen Lösungen ganze Geschäftsbereiche umkrempeln wollen, oder die großen, etablierten Anbieter, die mit großem Vertriebsnetzwerk, Erfahrung im Markt und starker Investitionskraft den Sprung in die neue Zeit schaffen?Eines zumindest steht heute schon fest: Nicht alles wird im Zahlungsverkehr so bleiben, wie es ist. Und das gilt weit über das Privatkundengeschäft hinaus: Gerade im komplexen Geschäft mit Firmenkunden wird die Digitalisierung gewaltige Umbrüche auslösen. Grund ist nicht allein die technische Entwicklung, sondern eine ganze Reihe von Faktoren.Eine große Rolle spielen die Gesetzgeber, die länderübergreifend die Märkte verändern. Eines der wichtigsten Beispiele ist die europäische “PSD2”-Richtlinie. Diese “Payment Services Directive 2” soll den Wettbewerb im europäischen Zahlungsverkehr fördern und Anfang 2018 in Deutschland in nationales Recht umgesetzt werden. Sie verpflichtet Banken dazu, Drittanbietern wie Fintechs den Zugriff auf Konten und Daten ihrer Kunden zu ermöglichen. Das geschieht über einheitlich definierte Schnittstellen für den Datenaustausch, sogenannte “APIs”, die jeder Anbieter nutzen kann.Die Auswirkungen für die Banken sind folgenschwer: Sie verlieren den alleinigen Zugriff auf die Konten ihrer Kunden. Zugang erhält jeder, der vom Kunden dafür ausgesucht wird. Im Firmenkundenbereich bedeutet das: Auch die Verbindungen in die Computersysteme der Unternehmen werden bald einer Fülle neuer Anbieter offen stehen und Gegenstand eines harten Konkurrenzkampfs werden. Dabei entsteht nicht nur mehr, sondern auch ein anderer Wettbewerb: Neue Anbieter klinken sich mit Spezialangeboten in alle Bereiche der Wertschöpfungskette ein, wie es heute schon bei den sogenannten “B2B2C”-Dienstleistern wie etwa Paypal ist, die sich im Zahlungsverkehr zwischen Kunden und Verkäufer schieben. Alte GrößenvorteileWeitere Herausforderungen ergeben sich aus der wachsenden Regulierung: Neue Transparenzpflichten bei grenzüberschreitenden Zahlungen, immer höhere Sicherheitsstandards und weitere Vorgaben für Unternehmen wie Kundenüberprüfungen unter dem Stichwort “Know Your Customer, KYC” führen zu nie dagewesener Komplexität. Gleichzeitig werden im neuen Umfeld Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes immer wichtiger. All diese Themen bergen für Unternehmen erhebliche Risiken, weshalb hier nicht die schnelle, sondern die gründliche Lösung gefragt ist. Da sind die großen, etablierten Banken mit ihrer umfassenden Regulierungserfahrung klar im Vorteil.Hinzu kommt die zunehmende Technisierung gerade im Firmenkundenbereich: Wer zukünftig vom Front- bis zum Backend umfassende Zahlungsverkehrslösungen bieten will, muss rechtzeitig investieren. Banken haben die nötige Größe und können Systeme aufsetzen, die kleine und auch große Transaktionsvolumen abwickeln können.Hinzu muss die Bereitschaft kommen, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Akkreditiv- und Avalgeschäft werden immer noch Dokumente zwischen Bank und Unternehmen ausgetauscht und per Hand bearbeitet. Das ist zeitaufwendig und fehleranfällig.Schon heute setzen Banken “künstliche Intelligenz” ein, um Fehler im Tagesgeschäft zu reduzieren und die Bearbeitungszeit von Transaktionen zu beschleunigen. Ein Beispiel: Mit Hilfe des maschinellen Lernens können Daten aus dem Tagesgeschäft schnell ausgewertet und Transaktionen mit einer Geschwindigkeit überprüft werden, die Menschen schlichtweg nicht erreichen können. Selbstverständlich sind Banken auch von der Idee angetan, Kosten durch künstliche Intelligenz zu senken.Was bedeutet das für das Zahlungsverkehrsgeschäft der Banken? Die etablierten Anbieter werden von zwei Seiten angegriffen. Einerseits von den kleinen, hochinnovativen Fintech-Unternehmen, Robo-Advisors, Blockchain-Spezialisten – sie können ohne Banklizenz und die damit verbundene Regulierung arbeiten und sind teils Partner, teils Herausforderer der etablierten Banken. Andererseits von immer komplexeren gesetzlichen und technischen Anforderungen, die zu einer Konsolidierung der großen Anbieter führen. Angesichts der erforderlichen Investitionen in Technologie und Know-how wird sich mancher Anbieter fragen, ob er so noch nachhaltige Erträge er-wirtschaften kann. Zum eigenen Vorteil nutzenBanken können dieses Umfeld durchaus zum eigenen Vorteil nutzen, wenn sie es schaffen, vom Getriebenen zum Treiber der digitalen Revolution zu werden. Auch im Zahlungsverkehr einer digitalisierten Welt werden die breit aufgestellten Banken eine zentrale Rolle spielen, sofern sie sich rechtzeitig auf das neue Umfeld einstellen und die Regeln mitgestalten. Es sind vor allem vier Bereiche, in denen sie ihre Stärken ausbauen können.Erstens: Banken müssen ihre Rolle als Plattform-Anbieter ernst nehmen. Die Zahl der Transaktionen wird in Zukunft weiter wachsen – umso mehr brauchen Unternehmen zuverlässige Anbieter, deren Systeme auch größere Belastungen aushalten. Doch zu echtem Erfolg gehört mehr. Schon die Liberalisierung der Strom- oder Telekommunikationsmärkte zeigte: Zwar kann auch der reine Netzbetrieb für Unternehmen ein Geschäftsmodell sein – die entsprechende Größe und Bereitschaft zum Preiskampf vorausgesetzt. Aber die eigentlichen Sieger der Liberalisierung waren die, die aus einer Position der Stärke heraus ein ganzes Ökosystem für ihre Kunden aufbauten.Zweitens: Nicht die Zahlung, sondern die Plattform steht im Mittelpunkt der neuen Welt. Je komplexer das Angebot, umso wichtiger ist für Kunden Einfachheit und Orientierung – die Zukunft gehört deshalb nicht dem einzelnen Anbieter mit seiner guten Idee, sondern der Plattform mit einem intelligenten Gesamtangebot. Da die Banken bereits über die Plattformen verfügen, können sie gemeinsam mit Fintechs und anderen Partnern ein attraktives Gesamtpaket als “One-Stop Shop” schnüren.Drittens: Der Zugang zum Kunden ist dabei ihr wertvollstes Gut. Im Zahlungsverkehr ist das Bezahlen nur der Kern, um den herum eine ganze Angebotswelt aufgebaut wird – von der Betrugsprävention bis zur Compliance-Steuerung. Auch im Wettbewerb um die Kundendaten spielen die Banken von Anfang an vorn mit, denn sie haben die Vertrauensbeziehung bereits aufgebaut. Die Daten sind oft schon vorhanden, es fehlen häufig nur das Wissen und die Technologie, um aus diesen Daten intelligente Zusatzleistungen zu erbringen, um etwa gleich bei der Überweisung zum Fremdwährungsgeschäft oder zur Liquiditätssteuerung überzuleiten. Hier kommt es darauf an, mutig in innovative Lösungen zu investieren. Gewinnen wird derjenige, der maßgeschneiderte Lösungen bei gleichzeitiger Automatisierung anbieten kann.Viertens: Es wird viel darüber diskutiert, welche Vorteile Unternehmen haben, die Kundendaten nutzen können. Wer dauerhaft erfolgreich sein will, muss aber eine andere Frage stellen: Welche Vorteile hat der Kunde, wenn er seine Daten abgibt? Sind seine sensiblen Informationen bei einem Anbieter besser aufgehoben, weil der ein Identifizierungsportal bietet? Bekommt das Unternehmen eine übersichtliche Darstellung seiner Zulieferer, am besten gleich mit Vorschlägen für einfachere Zahlungsströme? Erledigt die Bank die regulatorischen Anforderungen automatisiert gleich mit? Hier gewinnt derjenige, der sich am engsten mit dem Kunden vernetzt und dabei Sicherheit und Zuverlässigkeit garantieren kann.Manche Banken waren zu sehr mit den Folgen der Finanzkrise beschäftigt, um die tektonischen Veränderungen zu bemerken, die sich vor ihren Augen vollzogen. Spät, aber umso kraftvoller gehen viele jetzt das Thema an. Sie wissen: Banken können nur die Voraussetzung für neues Wachstum schaffen, wenn sie sich den rasanten Veränderungen anpassen.Es geht nicht darum, mit schnellen Lösungen überall der Erste zu sein. Nicht der Große frisst den Kleinen und auch nicht der Schnelle den Langsamen. Gerade im Zahlungsverkehr mit Firmenkunden wird der Anbieter gewinnen, dem es gelingt, fehlerfrei kleine und große Datenmengen über Ländergrenzen hinweg schnell und kostengünstig zu verarbeiten – das ist dann eher ein Marathon und kein Sprint.—Lothar Meenen, Leiter Corporate Cash Management Sales der Deutschen Bank