Zank um die Altlasten der Hypo Alpe Adria
Auf der Spurensuche nach den angeblichen Bilanzfehlern der Hypo Alpe Adria gerät die Risikovorsorge in den Blick. Haben die Bayern damals bewusst Altlasten zu niedrig angesetzt? Der von den Klagenfurtern angeregte Prüfbericht kann da keine Beweise liefern – er ermöglicht aber eine Vorstellung davon, wie kaputt die Bank 2009 schon war. Von Björn Godenrath, MünchenDie Nacht der langen Messer endete am frühen Morgen des 14. Dezember 2009. Die Vertreter aus dem Aufsichtsrat der BayernLB, Georg Fahrenschon und Gerd Häusler, hatten in finaler Schlussrunde mit Österreichs Finanzminister Josef Pröll sowie seinem Staatssekretär Alfred Lesjek die Bedingungen der Notverstaatlichung der Hypo Alpe Adria (HAA) ausgehandelt. Die Bayern hatten ihr Verhandlungsziel erreicht: Sie geben eine letztmalige Kapitalspritze von 825 Mill. Euro und gewähren der Hypo Alpe Kreditlinien von bis zu 3 Mrd. Euro, die bis Ende 2013 zurückzuzahlen sind. Pröll erklärte sich damit einverstanden, dass die Republik Österreich sofort 450 Mill. Euro in die Bank gibt – und entließ die deutsche Landesbank aus künftiger Haftung für die Altlasten, indem die Republik im Aktienkaufvertrag auf jeglichen Gewährleistungsanspruch verzichtet. Unterzeichnet wurde das Dokument am 23. Dezember 2009.Drei Jahre später wollen die Österreicher dieses Vertragswerk nun nachverhandeln. Die Hypo Alpe Adria mit dem ehemaligen KPMG-Berater Gottwald Kranebitter an der Spitze hat der Landesbank kürzlich mitgeteilt, dass sie sich an die Abmachungen nicht mehr gebunden fühlt. Die Rückzahlung des Darlehens von noch 2,3 Mrd. Euro soll nicht wie vorgesehen stattfinden, man zahle auch keine Zinsen mehr. Die Begründung: Bei den Verhandlungen über die Verstaatlichung seien Altlasten bewusst oder unbewusst unterschlagen worden, die Hypo Alpe dieser Logik zufolge unterkapitalisiert gewesen und die Interbankendarlehen (nach österreichischem Recht) demzufolge als Eigenkapitalersatz zu behandeln. Daraus folge, dass diese Gelder nicht ausgezahlt werden können, sofern die Klagenfurter Bank selbst noch ein Sanierungsfall ist.Zumindest letzterer Sachverhalt ist wohl unumstritten. Im Rahmen des EU-Beihilfeverfahrens ist quasi die kapitalschonende Abwicklung des Instituts beschlossen worden, der Verkauf von Teilen der Bank kommt grad in die Gänge – bei einzelnen Assets denkt man in Wien über die Auslagerung in eine Art Bad Bank (außerhalb des Bankwesengesetzes) nach. Mit steigenden Eigenmittelanforderungen der Aufsicht hat die Hypo zudem einen weiteren Kapitalbedarf von 700 Mill. Euro angemeldet. Bereits 2012 hatte die Republik eine Kapitalerhöhung über 500 Mill. Euro gezeichnet sowie mit Staatsgarantien der Platzierung einer Nachranganleihe im Volumen von 1 Mrd. Euro den Boden bereitet. Inklusive aller Instrumente wie Partizipationskapital dürfte die Republik Österreich mit Zeichnung der bevorstehenden Tranche rund 2,8 Mrd. Euro in die Hypo Alpe Adria gepumpt haben.Hinzu kommen Staatshaftungen für Anleihen – allein beim Alteigentümer, dem Land Kärnten, stehen 15,5 Mrd. Euro im Feuer. Das war – und ist – Teil der Drohkulisse: Schmiert die Hypo Alpe ab, dann ist auch Kärnten finanziell am Ende. Einspringen müsste dann wohl die Republik. Da erscheint die Alternative, die Hypo Alpe weiter durchzufüttern, doch attraktiver. Müssten nun allerdings noch die gut 2 Mrd. Euro an Refinanzierung mit Rückzahlung an die BayernLB bereitgestellt werden, dann schlüge dies auf die Defizitquote des staatlichen Haushalts durch. Das kann Prölls Nachfolgerin Maria Fekter in einem Wahlkampfjahr gar nicht gebrauchen – irgendwann zwischen März und September 2013 findet der Urnengang statt. Ansprüche ausgeschlossenGewählt wird aber auch in Bayern, Wunschtermin der CSU ist der 15. September. In München wehren sie sich mit Händen und Füßen gegen die Forderungen der Hypo Alpe – die Republik Österreich hat ihre angedrohte Klage auf Rückabwicklung der Transaktion mit Aufweichung der Klagefrist zurückgestellt. Die Rechtsposition der Münchener erscheint unerschütterlich: Gewährleistungsansprüche sind im Vertrag ausgeschlossen, die Tilgung der Darlehen festgeschrieben. Um die Ansprüche zu untermauern, hat die Landesbank in München (Gerichtsstand laut Vertrag) eine Feststellungsklage eingereicht. Das Landgericht wird sich nun mit österreichischem Kapitalmarktrecht vertraut machen müssen, um zu beurteilen, ob die Darlehen die behauptete Eigenschaft des Eigenkapitalersatzes besitzen.Dass die Hypo Alpe drei Jahre brauchte, um festzustellen, dass die eigenen Bilanzen falsch sind, hat allgemein für Verwunderung gesorgt. Es war bekannt, dass der Eigner nach Wegen suchte, um die bayerischen Gelder in der Bank zu belassen – die Anwendbarkeit des Eigenkapitalgesetzes wurde im Hypo-Alpe-Untersuchungsausschuss vom Sommer 2011 aber noch ausgeschlossen. Wie aber ist man nun auf diesen Dreh gekommen, der Wirtschaftsprüfer und Aufsicht in die Bredouille bringen kann?Bei der Hypo Alpe heißt es, Bank und Eigner seien langsam stutzig geworden, als man feststellte, dass der Kapitalbedarf schier nicht enden wollte. Man hegte den Verdacht, dass die Hypo Alpe mit unzureichender Kreditrisikovorsorge übergeben worden sein könnte. Anfang 2012 wurde dann der Wirtschaftsprüfer Kleiner & Kleiner beauftragt, die Sache mal unter die Lupe zu nehmen. Der Prüfbericht, auf dessen Grundlage Gutachten für den Zahlungsstopp verfasst wurden, wurde am 27. April 2012 fertig gestellt, er liegt der Börsen-Zeitung in Auszügen vor.Was sich darin findet, gibt erste Anhaltspunkte für eine Anspruchsgrundlage – auch wenn sich das Werk liest wie eine Auftragsarbeit. So wird in Randziffer (Rz.) 1 677 bemängelt, dass in den Loan Agreements keine Zweckverwendung der Darlehen erwähnt werde, “wie dies wohl bei sonstigen Darlehensverträgen vorkommt. Wenn diese hohen Fremdkapitalien (. . .) der Verlustabdeckung im weitesten Sinn dienten, muss die BayernLB von diesem Finanzierungszweck gewusst haben.” Es folgt die Handlungsempfehlung: “Zu prüfen wird dieser Mittelzufluss unter dem Aspekt eines verdeckten Eigenkapitalzuschusses im Konzern sein.” Sollte sich dieser Verdacht erhärten, seien die Darlehen als verdecktes Eigenkapital auch nicht rückzugewähren.Das wird man in Wien und Klagenfurt gerne gelesen haben. Angaben der BayernLB zufolge bestand für die Interbankenkredite aber ein Rahmenvertrag, aus dem die Hypo Alpe sukzessive Mittel abrufen konnte. In dieser Vereinbarung von Mutter und Tochter sei damals der Verwendungszweck als Fremdkapital für die Expansion der Hypo Alpe deklariert worden. Diesen Sachverhalt müsste das Gericht durch Einblick in das Vertragswerk schnell klären können.Etwas komplizierter werden dürfte es bei der Frage, ob unter Regentschaft der BayernLB Wertberichtigungen unterlassen bzw. Risikovorsorge zu niedrig angesetzt wurde. Der damals als Hypo-Alpe-Chefkontrolleur fungierende BayernLB-Chef Michael Kemmer habe in einer Sitzung vom 11. September 2008 erklärt, dass eine Inventur des Kredit- und Beteiligungsportfolios vorgenommen worden sei: Es bestehe ein höherer Wertberichtigungsbedarf, eine Kapitalerhöhung sei “unumgänglich”, heißt es bei Rz. 1 676.Ein Jahr darauf, in der AR-Sitzung vom 10. September 2009 haben sich die Dinge weiter zugespitzt. Die Finanzkrise wütet immer stärker. Kemmer will vom neuen Hypo-Alpe-Chef Franz Pinkl, er folgte im Mai auf Thilo Berlin, wissen, wie es um die Bank steht – zum Halbjahr war die Risikovorsorge auf 1,3 (i. V. 1,1) Mrd. Euro hochgeschnellt. Pinkl führt dies auf “marktbedingte und bankinterne Faktoren” zurück – eine euphemistische Formulierung aus einem Protokoll, was frei übersetzt so viel heißt: Die Hypo Alpe hatte eine Menge Kredite auf dem Balkan vergeben, die sich in der Krise als schwer einbringbar erwiesen.Dem Prüfungsausschuss des Kontrollgremiums bot sich an diesem Tag ein Bild des Grauens. Per 30. Juni 2009 summierten sich die Einzelwertberichtigungen auf 1,2 Mrd. Euro, die rückständigen Forderungen (mehr als 90 Tage) im Konzern auf rund 5,9 Mrd. Euro. Dieser Posten birgt Sprengstoff, steht für diese Kredite doch als nächste Eskalationsstufe die Work-out-Abteilung bereit. Dort werden Forderungen behandelt, die als leistungsgestört gelten, Schuldner also nicht zahlen können oder wollen. Spätestens mit Übergang in diese Abteilung sind Wertberichtigungen notwendig, kann der Kreditgeber doch nicht mehr davon ausgehen, dass selbst bei Streckung des Zahlungsziels und anderer Erleichterungen die volle Summe eingebracht werden kann.Bestand an diesem Punkt ein höherer Risikobedarf? Zur Beantwortung dieser Frage müssten Einzelpositionen geprüft werden, wie weit diese abgesichert waren. Die Eckdaten der Bilanz waren gruselig: Die Hypo Alpe hatte damals eine Bilanzsumme von gut 40 Mrd. Euro, davon galten knapp 30 Mrd. Euro als risikogewichtete Aktiva (RWA) – eine Relation, bei der es jedem Banker schwindlig wird. Heutzutage wird sowieso mit einem weitaus geringeren Anteil an Risikoaktiva operiert. Schwachstellen perpetuiertVom steigenden Risikobedarf alarmiert, veranlasste Kemmer bei der Hypo Alpe im November 2009 ein Asset Screening durch PricewaterhouseCoopers (PwC). Am 10. Dezember muss Pinkl wieder zum Rapport antreten und dem Aufsichtsrat erklären, wie viel Kapital die Hypo Alpe braucht, damit der Vorstand eine positive Fortführungsprognose geben kann – so ernst ist die Lage. Pinkl nennt eine Zahl: Mindestens 2 Mrd. Euro bräuchte die Bank für die Going-Concern-Bescheinigung, ohne dass damit “die inhärenten Schwachstellen in der Bank beseitigt würden; diese würden schlicht perpetuiert”.Über die Höhe des Kapitalbedarfes war die Republik Österreich freilich informiert, saß doch seit dem Sommer immer ein Staatskommissar bei den Sitzungen des Aufsichtsrates dabei. Was folgte war bis zum 14. Dezember das Ringen um eine Auffanglösung für die Hypo Alpe via Verstaatlichung. Was dann an Kapital der Bank zukam, waren zum einen der Forderungsverzicht der BayernLB mit Wandlung von Darlehen in haftendes Eigenkapital sowie 450 Mill. Euro frisches Kapital von Wien. Das macht zusammen 1,275 Mrd. Euro – was für alle sichtbar nicht ausreichend war. Es kann also heute niemand so tun, als ob er überrascht wäre, dass die Hypo Alpe weitere Staatshilfen verschlang, bestand doch ein beträchtliches Delta zu den 2 Mrd. Euro, um überhaupt den Fortbestand zu sichern und eine Bilanz für 2009 zu erstellen.In die Erstellung dieser Bilanz war das Finanzministerium voll involviert. Zu den Verstaatlichungsverhand lungen hatte Pröll KPMG als beratenden Prüfer hinzugezogen – mit Kranebitter. Der hatte schon als Leiter der Bankengruppe von KPMG für den Berlin-&-Co-Partner Kingsbridge 2007 eine Financial Due Diligence unterzeichnet. Und ausgerechnet Kranebitter will nun als Hypo-Alpe-Chef die Bilanzen neu aufstellen lassen? Da will wohl jemand einen Fehler ausbügeln – oder einfach dem Eigner Zeit verschaffen bis zur Wahl.