Zarte Annäherung in einem unlösbaren Streit
Von Angela Wefers, BerlinDas Format war ungewöhnlich in einer Zeit, in der öffentlicher Auftritt und mediale Inszenierung wichtige Geschäftsstrategien sind. Hinter Klostermauern diskutierten im Herzen von Frankfurt einen ganzen Tag lang Befürworter und Gegner über den Einsatz von Finanzinstrumenten im Agrarrohstoffhandel. Auch der Gastgeber war ungewöhnlich. Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen hatte an einen runden Tisch geladen. Er steht als Aushängeschild des in diesem Handel tätigen Kreditinstituts im Feuer der Kritik. Die Debatte wird hochgradig emotional geführt. Schließlich geht es um den Hunger in der Welt, um vom Tod bedrohte Menschen, um die Gesundheit von Kindern. Das Hauptargument der Kritiker lautet: Der Terminhandel mit Agrarrohstoffen treibt die Lebensmittelpreise. Deshalb soll die Deutsche Bank aus dem Handel aussteigen.Die Auswahl der Gäste lag beim Gastgeber. Auch die Spielregeln hatte die Deutsche Bank gesetzt: Gesprochen wurde unter der sogenannten Chatham House Rule. Diese erlaubt über Inhalt zu berichten, nicht aber die Identität der Teilnehmer preiszugeben oder Informationen Rednern zuzuordnen. Deshalb blieb die öffentliche Erklärung der Bank am Ende dieses intensiven Tages dünn: Sie legte nur offen, dass das Treffen in Frankfurt sieben Stunden gedauert habe und fast 40 Teilnehmer aus Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft die Frage “Preisentwicklung bei Agrarrohstoffen – Wer ist wie in der Verantwortung?” diskutiert haben.Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode, Oxfam-Geschäftsführerin Marion Lieser, der Welthungerhilfe-Generalsekretär Wolfgang Jamann und Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel machten dagegen selbst öffentlich, dabei gewesen zu sein, und zogen ein “ernüchterndes Fazit”. Die Deutsche Bank sei mit leeren Händen gekommen. Sie sei nicht bereit, von der Finanzspekulation abzulassen. Für Aktivisten der Zivilgesellschaft gilt noch stärker als für Unternehmen: Ohne Öffentlichkeit haben sie nur wenig Macht.Anders als der öffentliche Eindruck es vermitteln mag, ging es hinter den verschlossenen Türen äußerst pfleglich zu. Das ist schon der erste Gewinn einer solchen Veranstaltung. In Abwesenheit von Kameras und gespitzten Bleistiften war der Austausch von Argumenten möglich. Befürworter und Kritiker kamen zu Wort und hörten sich zu, ohne dem anderen ins Wort fallen zu müssen, um den Eindruck allzu großer Harmonie zu vermeiden. Preisspitzen im AgrarhandelNachvollziehbar ist die ebenfalls von den in die Öffentlichkeit gegangenen Kritikern gemachte Feststellung, sie seien nach wie vor überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen Preisspitzen und exzessiver Spekulation mit Nahrungsmitteln gebe. In der Tat stehen sich Wissenschaftler beider Lager unversöhnlich gegenüber. Sie blieben – wen überrascht dies – bei ihrer schon vielfach ausgetauschten konträren Meinung.Einigkeit bestand aber darüber, dass die Ursachen von Preissteigerungen bei Lebensmitteln vielfältig sind: die wachsende Weltbevölkerung, mangelnde Produktivität der Landwirtschaft, fehlende Infrastruktur für den Transport, Dürren, Überschwemmungen, geopolitische Krisen wie derzeit in der Kornkammer Europas, der Ukraine. Spekulation, so die These der zivilgesellschaftlichen Organisationen, führe aber zu kurzfristigen Preisspitzen. Diese hätten gleichwohl dramatische Auswirkungen, da auch Menschen mit sehr wenig Einkommen regelmäßig essen müssten und nicht darauf warten könnten, bis Preise wieder fallen. Konsens bestand auch darin, dass Erzeuger, Verarbeiter und Händler von Nahrungsmitteln finanzielle Absicherungsinstrumente benötigen. Die jüngsten EU-Richtlinien Emir und Mifid tragen nun auch in Europa zu Regulierung und mehr Transparenz bei. Letztere geht zwar nicht allen weit genug, wird aber durchweg als Plus befürwortet. Wäre die scharfe Trennung zwischen nützlichen Sicherungsgeschäften und unnützer Spekulation leichter zu ziehen, wäre der Dissens kleiner. Fortsetzung soll folgenEnttäuschung ist auch eine Frage der Erwartung. Es war kaum zu erwarten, dass alle geläutert mit einer einheitlichen Meinung die Klostermauern verlassen. Aber der Gesprächsfaden ist geknüpft. Es ist gut, wenn sich die Protagonisten nicht nur aus dem Fernsehen kennen. Es lässt sich leichter ein Dissens aus dem Weg räumen, wenn dazu nur ein Telefonhörer in die Hand zu nehmen ist. So war in Pausen die eine oder andere Paarung von Gesprächspartnern zu sehen, die bislang nie ein Wort miteinander gewechselt haben dürften. Auch ein gelegentlich versunkenes Nicken bei Ausführungen eines Erzfeindes zeigte, dass es durchaus Schnittmengen gibt. Die können noch wachsen. Das Treffen am runden Tisch war ein erster Schritt dazu. Vertreter aus beiden Lagern machten deutlich, dass es nicht bei einem Mal bleiben sollte. ——–Deutsche Bank Co-Chef Jürgen Fitschen lud seine Kritiker zur Debatte über Agrarspekulationen ein.——-