Zäsur im Hause Arag
Von Antje Kullrich, KölnEs ist ein Generationswechsel, der es in sich hat: Nach 20 Jahren gibt Paul-Otto Faßbender am 4. Juli beim Versicherungskonzern Arag die operative Führung ab. Der größte deutsche Versicherer in Privatbesitz wird künftig nicht mehr von einem Manager aus der Eigentümerfamilie geleitet.Es ist eine Zäsur, auch weil Faßbender in seiner Art, seinen Konzern zu führen, sich von anderen Vorstandsvorsitzenden in der Assekuranz deutlich abhob. Faßbender agierte im besten Sinne als wohlwollender Patriarch. Um die Unternehmenskultur besorgt und engagiert, blieb er doch immer auf Distanz zu seiner Belegschaft, die sich dennoch – so ist zu hören – mehr als üblich mit ihrem Arbeitgeber identifiziert.Faßbender duzt sich mit keinem, auch nicht seinen anderen Vorstandsmitgliedern. Er gilt als stur, aber gleichzeitig frei von jeder Eitelkeit. Und er verfolgte seine ganz eigene Strategie. Die Arag ist, obwohl sie im deutschen Versicherungsmarkt eher ein größerer Mittelständler ist, so international wie kaum eine andere Gesellschaft. Mit dem Kerngeschäft Rechtsschutzversicherung expandierte das Unternehmen breit ins europäische Ausland und in die USA. Rund 42 % der Beitragseinnahmen generiert die Arag mittlerweile international.Für den Erfolg – sein letztes volles Geschäftsjahr als Vorstandschef war das beste der Firmengeschichte – hat Faßbender viel auf sich genommen und sich dabei mit Teilen seiner Familie überworfen. Seinen Vetter Ludwig drängte er nach einem Finanzskandal Ende der 90er Jahre aus dem Unternehmen, mit seiner Schwester führt er seit mehr als drei Jahrzehnten einen Erbstreit um die Bewertung von Firmenanteilen. Digitalisierung forciertAls Faßbender im Jahr 2000 den Vorstandsvorsitz der Arag übernahm, folgten zunächst schwierige Jahre. Die Arag hatte Kapitalbedarf, außerdem verlor sie im deutschen Rechtsschutzmarkt kontinuierlich Marktanteile. Es dauerte länger als erwartet, den Trend zu drehen. Doch der promovierte Jurist erkannte oft früher als seine meist jüngeren Vorstandskollegen in anderen Häusern die Zeichen der Zeit. Faßbender trieb die Digitalisierung der Arag voran. Angesichts des anhaltenden Niedrigzinsumfelds und hohen Kapitalbedarfs stieß er 2016 die kleine Lebensversicherungstochter ab und verkaufte sie an die Run-off-Plattform Frankfurter Leben.Der Arag-Lenker hat seinen Abschied lange hinausgezögert. Mittlerweile ist er 74 Jahre alt. Das jahrelange Schaulaufen seiner Riege ausschließlich männlicher jüngerer Vorstandsmitglieder um den künftigen Chefsessel hatte durchaus Unterhaltungs- und Spannungswert. Entschieden hat sich der schwergewichtige Hobbypilot und Tennisfan schließlich für seinen beruflichen Ziehsohn und Jüngsten in der aktuellen Vorstandsbesetzung. Renko Dirksen (43), ebenfalls promovierter Jurist, fing 2005 als Vorstandsassistent bei Faßbender an und machte dann steile Karriere im Konzern. 2015 wurde er in den Konzernvorstand berufen. Der Hockeyspieler und Vater von zwei Kindern wird sich an der Spitze der Arag jedoch mit dem Amt als Vorstandssprecher begnügen müssen. Präsenter KontrolleurFaßbender wird im Konzern wohl ziemlich präsent bleiben. Sein Büro in den oberen Etagen des Arag-Turms im Düsseldorfer Norden behält er und bleibt Vorstandsvorsitzender der Arag Holding SE, die über der operativ tätigen Konzerngesellschaft Arag SE thront. Außerdem strebt er den Aufsichtsratsvorsitz der Arag SE an und will auch Chefkontrolleur der Kranken- und Kompositversicherungstöchter bleiben. Angesichts der Coronakrise beginnt auch für Dirksen seine Amtszeit mit Herausforderungen. Das ursprüngliche Wachstumsziel der Arag für 2020 dürfte in weite Ferne gerückt sein. Sein Verhältnis zur Belegschaft wird der künftige Chef ganz anders definieren müssen. Allerdings dürfte ihm das nicht allzu schwerfallen, da Dirksen unprätentiös wie sein Mentor, aber viel zugänglicher auftritt.