Zeit für ein neues Prädikatssiegel "Made in Europe"

Der Wandel hin zu Nachhaltigkeit und Ökologie bedeutet nicht nur einen gesellschaftlichen Umbruch - Er bringt neben Herausforderungen viele Chancen mit sich

Zeit für ein neues Prädikatssiegel "Made in Europe"

Die drei Buchstaben “ESG” werden die wirtschaftliche Zukunft Europas prägen: “E” steht für “Environment” (Umwelt), “S” für “Social” (Soziales) und “G” für “Governance” (Unternehmensführung). Zuerst liegt der Fokus auf der Umwelt. Denn wenn die nicht mehr funktioniert, braucht man sich auch nicht mehr um die anderen Bereiche zu kümmern. Bis spätestens 2050 soll sich das Klima verbessern, bis dahin möchte die EU klimaneutral sein – und damit auch Bayern. Der Alpenraum, Mittelgebirge und die großen Flusstäler sind vom Klimawandel besonders betroffen, im Freistaat sitzen viele große und mittelständische Unternehmen. Der Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität ist hier wie in ganz Europa die große Herausforderung der kommenden Jahre – und eine große Chance. Nachhaltig beeindrucktDie Kosten für ein klimaneutrales Europa schätzt die EU-Kommission allein bis 2030 auf rund 3 Bill. Euro. Sie plant dafür ein öffentlich finanziertes Investitionsprogramm von 1 Bill. Euro. Und die fehlenden 2 Bill. Euro? Sollen aus der Wirtschaft kommen. Und die ist bereit: Das britische Carbon Disclosure Project (CDP) hat die Investitionen und Klimapläne von 882 börsennotierten Unternehmen analysiert. 2019 investierten diese 124 Mrd. Euro in klimaschonende Produktion, Forschung und Entwicklung sowie in kohlenstoffarme Produkte. Dadurch wollen sie 2,4 Gigatonnen Emissionen vermeiden – mehr als Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Polen zusammen im Jahr ausstoßen. Aber das wird noch nicht reichen.Für den nächsten Schritt müssen sich Unternehmen von überholten Denkmustern lösen und Experten hinzuziehen, die den Weg in die Klimaneutralität begleiten. Zu diesen Experten gehören neben Spezialisten für innovative ESG-orientierte Wertschöpfungsketten auch Experten, die den Wandel finanziell begleiten und helfen, den immensen Kapitalbedarf zu decken. Hier bietet sich eine echte Chance für die Banken: Finanzierungsinstrumente wie Green Bonds oder ESG-linked Loans, aus denen Geld in ökologisch und nachhaltig orientierte Wirtschaftszweige und Projekte fließt, verzeichnen seit Längerem hohe Wachstumsraten. In Europa wurden im vergangenen Jahr grüne Anleihen im Volumen von 110 Mrd. Dollar herausgegeben. Dies war knapp die Hälfte des globalen Volumens und 64 % mehr als noch 2018.Auf Deutschland entfielen davon rund 18 Mrd. Dollar. Emittenten sind meist staatliche und halbstaatliche Institutionen oder Finanzunternehmen. Doch allmählich entdecken auch Unternehmen der Realwirtschaft grüne Anleihen zur Finanzierung grüner Projekte für sich. In Bayern hat im zurückliegenden Jahr zum Beispiel die BayWa, begleitet unter anderem durch die HypoVereinsbank (HVB), Fremdkapital von 500 Mill. Euro mit einem grünen Bond aufgenommen.Auch relativ junge Segmente wie ESG-linked Loans oder Social Bonds zur Finanzierung sozialer Projekte stoßen auf immer mehr Interesse bei Unternehmen und öffentlichen Schuldnern. ESG-linked Loans finanzieren dabei keine speziellen nachhaltigen Einzelprojekte, sondern dienen der allgemeinen Unternehmensfinanzierung, wobei die Konditionen an ein Nachhaltigkeitsrating oder die Erfüllung bestimmter ESG-Kennzahlen des Unternehmens gebunden sind. So hat die Landeshauptstadt München, begleitet durch die HVB, kürzlich den ersten Social Bond einer europäischen Großstadt herausgegeben – zur Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum. Im vergangenen Jahr hatten bereits die Stadtwerke München mit Hilfe eines ESG-linked Loan Kapital aufgenommen. Umdenken bei den InvestorenAuf den Klimawandel folgt der Sinneswandel: Immer mehr Menschen verzichten auf Plastikverpackungen, steigen vom Flugzeug auf die Bahn um oder vom Auto auf das Fahrrad. Sie suchen nach einem tieferen Sinn in allem, was sie tun, auf Englisch “purpose”. Kunden und Mitarbeiter erwarten nachhaltiges Handeln, privat und im Beruf. Auch europäische Investoren und Anleger achten zunehmend darauf, ihr Kapital in Unternehmen und Anlagen zu investieren, die das Thema Nachhaltigkeit ernst nehmen und die ESG-Kriterien aktiv und langfristig berücksichtigen. Auch große institutionelle Anleger wie US-Pensionskassen und Assetmanager bauen ihre Anlageportfolien längst stärker in Richtung nachhaltige Investments um. Denn die können auch mit Blick auf die Rendite durchaus mit “herkömmlichen” Anlagen mithalten, entwickeln sich teilweise sogar besser.Der nachhaltig orientierte MSCI World SRI Index (SRI für “Social Responsible Investment”), der nur Unternehmen mit Top-ESG-Rating enthält, erzielte in den vergangenen Jahren sogar bessere Ergebnisse als der “traditionelle” MSCI World Index. Daraus lässt sich zwar nicht ableiten, dass ESG-konforme Anlagen generell rentabler sind – allerdings sollte man sie durchaus als konkurrenzfähige und vor allem zukunftsorientierte Produkte in Erwägung ziehen. Taxonomie gefragtAber wann erfüllen Unternehmen, Bonds oder andere Anlagemöglichkeiten die ESG-Kriterien? Hier ist ein einheitliches Klassifizierungssystem gefragt, eine sogenannte Taxonomie, die eine schlüssige Einordnung zulässt. So ein System schafft die EU gerade, um sicherzustellen, dass alle wissen, was gemeint ist, wenn von grünen Finanzierungen und Investments die Rede ist – und sich dafür oder dagegen entscheiden können. Wenn eine Bank dann Kohlekraftwerke mit einem hohen CO2-Ausstoß finanzieren möchte, weil sie meint, dass Kohle eine gute Marge bringt, ist das nicht verboten. Da sich die EU jedoch langfristig nachhaltig ausrichtet, ziehen die Banken für die Bewertung von Unternehmen und deren Risiken nicht nur Kreditratings heran, sondern zunehmend auch Ratings, die den Nachhaltigkeitsfaktor eines Unternehmens beurteilen. Nach einem solchen Rating käme eine Investition in Kohle trotz schneller Rentabilität nicht in Frage.Für immer mehr Banken, wie auch für die HypoVereinsbank, ist Nachhaltigkeit ein zentrales Element der Geschäftsstrategie. Nach dem Motto: Wer gut sein will, muss Gutes tun. Das berücksichtigen viele Unternehmen unabhängig von EU-Vorgaben auch in internen Richtlinien. So hat sich die Bank im Rahmen ihres vielfältigen ESG-Engagements auch verpflichtet, bis 2023 vollständig aus Kohlekraftwerksprojekten auszusteigen, und würde dementsprechend kein Kohlekraftwerk finanzieren. Großer BeratungsbedarfDurch eine EU-Regulierung wird auch in der Wirtschaftsregion Bayern großer Beratungsbedarf bei der Umsetzung der ESG-Kriterien entstehen – nicht nur bei der Umstellung von Produktion, Vertrieb und anderen Elementen der Wertschöpfungskette. Gerade mittelständische Unternehmen sind mitunter noch mit der Digitalisierung beschäftigt, da naht mit ESG schon das nächste Thema. Der Umbau von Wertschöpfungsketten nach europäischen ESG-Standards kann für ein Unternehmen einerseits viel Aufwand bedeuten: die Suche nach neuen Zulieferern oder Partnern, den Einsatz neuer Materialien und die Umstellung auf umweltschonendere Produktionsweisen. Andererseits ist diese Umstellung aber auch eine Chance für den Unternehmensstandort Bayern, den Innovationsstandort Deutschland und vor allem für Europa. Banken können hier helfen, indem sie Unternehmen nicht nur nach den europäischen ESG-Kriterien bewerten, sondern sie auch aktiv bei deren Umsetzung unterstützen.Gerade die emissionsintensiven Industrien wie Zement, Chemie, Metalle und Stahl müssen gesamte Wertschöpfungsketten umstellen und auf innovative Technologien setzen, um die ESG-Ziele zu erreichen. Natürlich ist die Umstellung auf ESG eine große Herausforderung – aber sie ist vor allem auch eine große Chance, nicht nur für die HVB mit ihren starken lokalen Wurzeln und der paneuropäischen Geschäftsbank Unicredit im Rücken. Weg für neuen AufschwungVor langer Zeit wurde das Siegel “Made in Germany” zu einem Qualitätsmerkmal und später zu einem Zeichen für das deutsche Wirtschaftswunder. Begreift man die Wendung hin zu einem ESG-orientierten Europa als Chance und setzt sie in den heutigen Kontext, kann daraus der Weg für einen neuen, größeren Wirtschaftsaufschwung entstehen. Und vielleicht ist es dann auch an der Zeit für ein neues, nachhaltiges Prädikatssiegel: “Made in Europe”. Michael Diederich, Vorstandssprecher der HypoVereinsbank – Unicredit Bank AG