BENCHMARK-ERNEUERUNG

Zeit für Reform von Euribor und Libor läuft ab

EU-Benchmark-Verordnung tritt Anfang 2018 in Kraft - Heikles Unterfangen - Kreditwirtschaft hüllt sich in Schweigen - Zombie der Regulierungsdebatte

Zeit für Reform von Euribor und Libor läuft ab

Seitdem vor Jahren die Manipulationen der Zins-Benchmarks öffentlich wurden, liegt auf der Hand, dass Libor und Euribor einer Reform bedürfen. Wie diese funktionieren soll, steht nach wie vor in den Sternen.Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Reform der Referenzzinssätze Euribor (Euro Interbank Offered Rate) und Libor (London Interbank Offered Rate) ist ein Zombie der Regulierungsdebatte. Mit der ebenfalls vor Jahren angekündigten Reduktion der Marktmacht von Ratingagenturen, der Abrechnung gefährlicher Derivategeschäfte über zentrale Kontrahenten sowie einer Regulierung des Schattenbankensektors gehört sie zu den leeren Versprechen nach der Finanzkrise. Seitdem vor Jahren die Manipulationen der Zins-Benchmarks öffentlich wurden, liegt auf der Hand, dass diese einer grundlegenden Neuerung bedürfen. Nicht mehr Schätzungen von Banken, die anfällig sind für Manipulationen, sollen Grundlage der Berechnung sein, sondern reale Transaktionen.Die Uhr tickt. Die 2016 verabschiedete EU-Benchmark-Verordnung tritt in weiten Teilen Anfang kommenden Jahres in Kraft. Spätestens bis Ende 2019 müssen die Benchmarks reformiert sein. Wie eine solche Reform umzusetzen wäre, ist allerdings noch immer unklar: Immer wieder sucht die Debatte Banken und Verbände heim, die am liebsten nicht mehr daran erinnert würden. Seitdem ist die Zuständigkeit für den Euribor auf Seiten der Banken von deren europäischem Verband European Banking Federation (EBF) auf die Nachfolgeorganisation European Money Market Institute (EMMI) übergegangen. Im Falle des Libor ist nicht mehr die British Bankers’ Association (BBA) zuständig, eine Interessenvertretung britischer Banken, sondern seit 2014 die Intercontinental Exchange (ICE) über die Tochter Benchmark Administration unter Aufsicht der britischen Financial Conduct Authority (FCA). Umstrittene QuotesSeit Ende Juli freilich ist mehr Druck im Kessel. Denn da rief die britische Finanzaufsicht das Ende des Libor aus (vgl. BZ vom 28. Juli). Ab Ende 2021 soll er nicht mehr genutzt werden, wie FCA-Chef Andrew Bailey erklärte. Das Dilemma: Auf der einen Seite hat die Kalkulation des Libor auf Basis von Angaben (Quotes) jahrelange Fingereien erst möglich gemacht. Auf der anderen Seite aber glaubt die FCA nicht, eine Umstellung der Benchmark von reinen Quotes auf transaktionsbasierte Richtwerte abschließen zu können, wenn sich die Märkte weiterhin auf den Libor in der derzeitigen Form verlassen, wie es heißt.Zwei Monate zuvor hatte bereits das EMMI das Handtuch geworfen. Als das Institut im Mai die Ergebnisse eines monatelangen Testlaufs mit 31 Banken aus 12 Ländern für eine neue Art der Berechnung publizierte, bei der Transaktionsdaten als erste Quelle dienen, trat abermals zutage, “dass eine voll auf Transaktionen basierende Methodik für Euribor mangels genügender Transaktionen nicht möglich ist”, wie EMMI-Generalsekretär Guido Ravoet der Börsen-Zeitung berichtet. Angaben aus dem Markt zufolge hätte der Euribor bei dieser Art der Berechnung schon ohne Marktbewegung im Tagesverlauf um 10 bis 15 Basispunkte geschwankt. Für ein Absicherungsprodukt sei dies definitiv zu viel. “Ein reibungsloser Übergang ist unter den momentanen Marktbedingungen nicht realisierbar”, resümierte das EMMI. Damit bleiben im Euribor einstweilen die Sätze der Banken das Maß aller Dinge.Seither ist die Ratlosigkeit der Benchmark-Reformer kaum geringer geworden, und zwar nicht nur in Brüssel und London, wo die Benchmark-Verwalter EMMI und ICE Benchmark Administration sitzen. “Alle großen Währungsräume beschäftigen sich mit der Frage einer Reform und suchen nach einer Lösung”, sagt ein Beobachter. Die Debatte um den Libor wird zudem in der Schweiz, die sich an dieser Benchmark orientiert, besonders aufmerksam verfolgt.Die Fallhöhe ist beträchtlich: Am Libor hängen weltweit Finanzprodukte mit einem Volumen von ungefähr 350 Bill. Euro, am Euribor von mehr als 180 Bill. Euro. Da will sich niemand vorzeitig aus dem Fenster lehnen. Wer sich in diesen Tagen daher bei Verbänden und Banken erkundigt, welche Art von Reform man sich dort wünscht, erhält keine Antwort. “Das Thema ist heiß und fettig”, meint ein Beobachter. Und die Rechtsrisiken sind angesichts der horrenden Volumina beträchtlich, auch weil zahllose Assetmanager auf Euribor und Libor als Benchmark für ihre Performance zurückgreifen. Nicht zuletzt dienen die Benchmarks Banken als Basis zur Steuerung ihres Zinsänderungsrisikos. Exodus der BankenKein Wunder, dass schon jetzt kaum mehr jemand für die Berechnung der Sätze geradestehen will. Banken haben sich aus den Gremien, die Sätze zur Kalkulation der Benchmarks melden, vielfach verabschiedet, da sie juristische Scherereien fürchten – nicht ganz zu Unrecht, wie milliardenschwere Strafen wegen Zinsmanipulationen etwa gegen die Deutsche Bank gezeigt haben. Von 44 Banken, die etwa noch 2012 ihre Sätze zur Bildung des Euribor meldeten, ist nicht einmal die Hälfte übrig geblieben (siehe Kasten). Dass Banken nach einem Auszug aus dem Gremium laut EU-Benchmark-Verordnung verpflichtet werden können, noch zwei weitere Jahre lang Sätze zu melden, führt auch nicht dazu, dass neue Banken in die Runde drängen. Schweigen im WaldeDeutsche Bank und DZ Bank, die einzigen deutschen Institute im sogenannten Euribor-Panel, wollen sich auf Anfrage nicht äußern, ebenso wenig der Bundesverband deutscher Banken (BdB). Mit dieser Haltung stehen sie nicht allein. Der europäische Bankenverband EBF, nach eigener Darstellung immerhin “die Stimme des europäischen Bankensektors”, der 32 Nationen umfasst und 4 500 Banken mit zusammen 2,1 Millionen Beschäftigten repräsentiert, erklärt sich auf Anfrage für nicht zuständig und verweist an den Benchmark-Administrator EMMI.Dessen Generalsekretär Guido Ravoet, früher viele Jahre Chef des EBF, zählt auf die Frage, wie der Euribor reformiert werden soll, erst einmal auf, was das EMMI bereits alles geleistet hat: Wie die Organisation schon im April 2013 die Zahl der Laufzeiten und Fälligkeiten im Euribor reduzierte. Wie sie im Juli 2013 die Zusammensetzung des Euribor Steering Committee überprüfte und um Vertreter aus Banken ergänzte, die nicht im Euribor-Ausschuss sitzen und dort Sätze melden. Wie im Oktober 2013 ein Pflichtenkatalog für Euribor-Ausschussbanken eingeführt wurde, der Vorgaben zur Governance, zu Kontrollen, Methoden der unabhängigen Überprüfungen der Euribor-Meldungen beinhaltete.Allein: Das Problem, die Benchmark zu reformieren, hat das EMMI weiterhin. Denn die EU-Benchmark-Verordnung verlangt nach dem Zinsskandal zumindest im Prinzip, dass Sätze meldende Banken sich auf tatsächliche Transaktionsdaten stützen und nicht mehr auf Schätzungen. Zugleich hat die EU festgelegt, dass der Euribor als kritische Benchmark zu betrachten ist, welche die Stabilität der Finanzmärkte in ganz Europa beeinträchtigen kann. “Wir arbeiten derzeit an der Entwicklung einer Methode zur Ermittlung der Benchmark, die der EU-Verordnung entspricht”, sagt EMMI-Generalsekretär Ravoet.In Anbetracht des Umstands, dass der Euribor mit seinen Billionen an dahinterstehenden Kontraktvolumen besonders wichtig sein soll für die Finanzstabilität, hält sich das Engagement der für Finanzstabilität zuständigen Stellen allerdings in überschaubaren Grenzen. “Die Aufseher verhalten sich sehr passiv”, meint ein Marktbeobachter. “So weit wie möglich”Die Europäische Zentralbank (EZB) etwa besteht darauf, dass die Finanzbranche die Führung übernehme, wie Bloomberg unter Berufung auf eine mit der Situation vertraute Person gemeldet hat. Die EZB sei zwar seit Jahren ein stiller Treiber einer Reform, aber grundsätzlich nicht bereit, in irgendeiner Form eine Verantwortung zu übernehmen, heißt es dazu im Markt. Selbst die Politik legt sich nicht fest, verlangt ihre Benchmark-Verordnung doch windelweich, dass eine Benchmark “soweit wie möglich in Transaktionen verankert” ist. Das EMMI hat nach Gesprächen mit Belgiens Finanzaufsicht inzwischen denn auch kundgetan, es wolle eine hybride Methode nutzen, die “so weit wie möglich auf Transaktionen basiert”.Die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA hat sich “angesichts des grenzüberschreitenden Charakters und der Notwendigkeit konsistenter Aufsicht” zwar dafür ausgesprochen, die einheitliche Aufsicht über die sogenannten kritischen EU-Benchmarks zu übernehmen. Zugleich argumentiert sie aber, dass die Marktteilnehmer, insbesondere Banken, Hauptnutzer dieser Benchmarks seien und somit in erster Linie für die Erstellung verantwortlich sein sollten.Offenbar will sich an einer Reform niemand die Finger verbrennen. Diese birgt nicht nur Rechtsrisiken, sondern gleicht zudem einer Quadratur des Kreises: Auf der einen Seite fordert die Regulierung eine auf Transaktionsdaten basierende Benchmark. Auf der anderen Seite aber gibt es weder im Libor noch im Euribor genügend Transaktionen, um eine zuverlässige Grundlage für darauf basierende Kontrakte zu bilden – ebendies hat die britische Aufsicht FCA veranlasst, das Ende des Libor auszurufen.Wie langjährige Marktbeobachter berichten, hatte das Volumen in den mit dem Aufschwung des Derivategeschäfts in den achtziger Jahren groß gewordenen Benchmarks schon vor der Finanzkrise etwas nachgelassen. Der Grund: Der Anteil des unbesicherten Interbankengeschäfts in der Refinanzierung von Banken nahm ab, je mehr Mittel über den Retail- oder den Wholesale-Markt hereinkamen. Auch wurden etwa in London aktive Auslandsbanken verstärkt Teil der Gesamtsteuerung ihres Konzerns. Nach 2008 trug ein allgemeiner Abbau der Interbankenverflechtungen ein Übriges dazu bei, dass die Volumina am unbesicherten Interbankenmarkt sich verringerten und Libor wie Euribor als Sätze, zu denen sich eine erstklassige Adresse refinanzieren kann, an Bedeutung verloren. Die Folge: Anstelle der Daten aus Transaktionen nahmen Banken zunehmend Schätzungen als Basis für ihre Meldungen. Kriminellen Bankmitarbeitern bietet ein solches Konstrukt aber enorme Anreize zu manipulieren – was zu beweisen war. Steter RückgangDass das Geschehen am unbesicherten Interbankenmarkt rasch wieder an Fahrt gewinnen wird, erscheint derweil unwahrscheinlich: Regulatorische Vorgaben behandeln besicherte Ausreichungen gegenüber unbesicherten Forderungen an Banken inzwischen bevorzugt. Negativzinsen und eine geldpolitisch induzierte Liquiditätsschwemme verhindern darüber hinaus, dass am Interbankenmarkt eine große Nachfrage entsteht.In der zurückliegenden Dekade hat sich ein stetiger Rückgang der Interbankenaktivitäten und ein vermehrtes Zutrauen zur breiteren Wholesale-Finanzierung vollzogen, hält die EMMI fest. An den europäischen Finanzmärkten und in der Regulierung wird daher bald über die Zukunft der Benchmarks zu entscheiden sein.—– Leitartikel Seite 8