"Zeitbombe Pensionsverpflichtungen" ist noch scharf
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, sagt der Volksmund. Diese Weisheit gilt auch mit Blick auf die Entlastung, die der Gesetzgeber unlängst den betrieblichen Altersvorsorgeeinrichtungen in Deutschland verschafft hat. Sie gewährt den Unternehmen lediglich einen zeitlichen Aufschub – die grundlegenden Probleme werden nicht gelöst. Die Unternehmen täten daher gut daran, die Zeit zu nutzen, um ihre betriebliche Altersvorsorge (bAV) auf Vordermann zu bringen. Es geht um nicht weniger als die langfristige Überlebensfähigkeit im internationalen Wettbewerb. Denn die “Zeitbombe Pensionsverpflichtungen” tickt unverändert weiter.Worum geht’s im Einzelnen? Nun, infolge der anhaltenden Niedrigzinsphase kommen betriebliche Altersvorsorgeeinrichtungen immer stärker unter Druck. Mit sinkendem Zins erhöht sich nämlich der bilanz- und GuV-wirksame Gegenwartswert ihrer Pensionsverpflichtungen. Gleichzeitig wirkt sich dies dämpfend auf die Wertentwicklung etwaiger Pensionsvermögen aus. Die Schere zwischen den bilanziellen Pensionsverbindlichkeiten und den zu ihrer Bedienung zurückgelegten Assets geht auseinander.Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber kürzlich die Methode zur Ermittlung des Rechnungszinses angepasst, mit dem die betrieblichen Pensionsverpflichtungen nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) abgezinst werden. Bislang wurde dieser auf Basis eines Durchschnittszeitraumes von sieben Jahren hergeleitet. Künftig wird der durchschnittliche Marktzinssatz aus den vergangenen zehn Jahren herangezogen. Dies hat handfeste Auswirkungen: Schon für das Jahr 2015, für das der längere Durchschnittszeitraum erstmalig angewendet werden kann, liegt der dann maßgebliche HGB-Rechnungszins mit 4,31 % um 0,42 Prozentpunkte über dem “alten” Satz. Unter Annahme eines ausgewogenen Personenbestandes (je zur Hälfte Anwärter und Rentner) führt dies zu etwa fünf Prozentpunkte niedrigeren Pensionsverpflichtungen. Bliebe der Marktzins bis 2018 auf seinem derzeitigen Niveau, sänke der dann maßgebliche HGB-Rechnungszins bis auf 3,37 % (anstelle von 2,55 %). Dies würde den Anstieg der Pensionsverpflichtungen im Vergleich zur alten Berechnungsmethode um etwa 14 Prozentpunkte geringer ausfallen lassen. Nach HGB bilanzierende Unternehmen bringt dies somit einiges an Entlastung.Gleichwohl kann nicht Entwarnung gegeben werden. Die “Zeitbombe Pensionsverpflichtungen” ist nach wie vor scharf, der Gesetzgeber hat nur den Zünder verstellt. Denn die Unternehmen gewinnen lediglich Zeit. Je länger das Niedrigzinsumfeld andauert – und Allianz Global Investors geht davon aus, dass es noch eine Reihe an Jahren anhalten wird -, desto stärker gleichen sich die Durchschnittszinsen beider Berechnungsmethoden an. Bleibt alles andere unverändert, führen sie ab etwa 2022 zum selben Ergebnis: einem nicht zuletzt zinsbedingten Anstieg der Pensionsverpflichtungen um etwa 30 %. Die neue Berechnungsmethode führt also lediglich zu einem verzögerten Anstieg der Pensionsverpflichtungen, nicht zu einem insgesamt geringeren Zuwachs.Am gravierendsten sind dabei die Auswirkungen des niedrigen Rechnungszinses für Unternehmen mit leistungsorientierten Pensionsplänen (Defined Benefit Plans im IFRS-Kontext). Diese Unternehmen haben ihren gegenwärtigen und künftigen Rentnern Pensionszahlungen in bestimmter Höhe zugesagt. Die mit den steigenden Pensionsverpflichtungen einhergehenden höheren Rückstellungen können den Spielraum für künftige Investitionen empfindlich einschränken. Finanzierungslücken möglichPrinzipiell günstiger stellt sich die Situation zwar für Unternehmen mit beitragsorientierten Pensionsplänen dar (Defined Contribution Plans im IFRS-Kontext). Vereinfacht ausgedrückt haben diese ihren Rentnern Zusagen darüber gemacht, was sie an Beiträgen in die bAV stecken, nicht aber, was am Ende dabei für jeden einzelnen Pensionär herauskommt. Doch auch diese Unternehmen stellt das Niedrigzinsumfeld vor Herausforderungen: Oft haben diese Unternehmen in der Vergangenheit aus guten Gründen eine externe Pensionsrückdeckung eingerichtet, um künftige Leistungen möglichst ohne Belastung des laufenden operativen Cash-flow decken zu können. Wer hierbei vorwiegend in Staatsanleihen von Ländern hoher Bonität investierte, kann heutzutage Investments mit kaum positiven – oder sogar negativen – realen Renditen im Portfolio haben. Die mögliche Folge auch hier: Finanzierungslücken.Schließlich stehen aber auch Unternehmen ohne “Altlasten” – im Sinne bestehender und zu bedienender Pensionszusagen – vor Herausforderungen. Denn angesichts des demografischen Wandels und des damit zusammenhängenden absehbaren Fachkräftemangels in Deutschland nimmt die Bedeutung der bAV beim Gewinn und Binden von Arbeitskräften weiter zu. Diese Unternehmen stehen somit vor der Frage, wie sie ein attraktives und gleichzeitig effizientes System der bAV aufbauen können.Spätestens hier wird die volle Brisanz des Themas deutlich: Bei der bAV geht es um weit mehr als lediglich das buchhalterische Steuern von Pensionsverpflichtungen und etwaigen Pensionsvermögen. Die bAV ist längst zur Chefsache geworden. Nicht krisensicher aufgestellte Pensionspläne haben nämlich potenziell existenzielle Auswirkungen auf die gesamte Unternehmenszukunft. Sie betreffen den künftigen Cash-flow und damit die Investitionsfähigkeit und Liquidität des Unternehmens, seine Fähigkeit zur Dividendenzahlung sowie die Attraktivität als Arbeitgeber. Kurz: Es geht um das Überleben im internationalen Wettbewerb. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass das Management der Pensionsrisiken in den letzten Jahren eine steigende Aufmerksamkeit seitens Unternehmensanalysten und Ratingagenturen erfahren hat. Atempause nutzenDaher sollten die Unternehmen die Atempause nutzen, die der Gesetzgeber ihnen für die kommenden Jahre verschafft hat. Was können sie nun konkret tun? Hier ist es sinnvoll, zwischen den bereits in der Vergangenheit erdienten und künftigen Versorgungsanwartschaften zu unterscheiden.Für die in der Vergangenheit gemachten Pensionszusagen gilt es, liquiditätsschonende und rückstellungsreduzierende Lösungen zu finden. Ausgangsbasis hierfür ist idealerweise eine detaillierte Analyse der für die Zukunft zu erwartenden Pensionszahlungen und der damit zusammenhängenden Risiken. In einem zweiten Schritt wird dann im Sinne eines Asset-Liability-Managements die optimale Struktur der Pensionsvermögen ermittelt. Deren Entwicklung soll die marktzinsbedingten Änderungen der Pensionsverpflichtungen so weit wie möglich auffangen. Hier ist in Deutschland noch einiges zu tun. Nach wie vor ist hierzulande die unmittelbare Pensionszusage die mit Abstand bedeutendste Variante der bAV. Schätzungsweise nur rund die Hälfte aller in deutschen Unternehmen bestehenden Pensionsverpflichtungen sind mit Kapital unterlegt, viele Unternehmen verfügen über gar keine Rückdeckung. Dies ist riskant. Um in Bilanz und GuV nicht vollkommen von den Pensionsverpflichtungen abhängig zu sein, ist es auf jeden Fall vorteilhaft, Pensionsvermögen vorzuhalten und zielorientiert zu managen.Für künftige Anwartschaften ist es ratsam, die Versorgungssysteme so zu gestalten, dass Kalkulationssicherheit gewährleistet und ein Höchstmaß an Flexibilität gewahrt wird. Dies impliziert quasi schon, dass derartige Systeme auf beitragsorientierten Plänen beruhen und von Beginn an ausfinanziert sind. Hierdurch können unkalkulierbare Verpflichtungen weitgehend ausgeschlossen werden. Gleichzeitig kann die Vorsorge immer wieder an die betrieblichen Anforderungen angepasst werden. Es ist sogar möglich, die Versorgungszusagen derart zu gestalten, dass ihre Bewertung unabhängig vom Rechnungszins ist. Dies ist etwa bei sogenannten fondsakzessorischen Pensionszusagen der Fall. Hier ergibt sich die Höhe der Versorgungsleistung unmittelbar aus der Entwicklung der jeweiligen Aktiva – also der Fonds, in die der Arbeitgeber zugunsten der Arbeitnehmer investiert. Es ist höchste ZeitAll dies zeigt: Es ist höchste Zeit, dass Unternehmenslenker und Finanzvorstände das Thema “zukunftssichere bAV” auf ihre eigene Agenda setzen. Die letzten Jahre mit stetig sinkendem Rechnungszins für die Pensionsverpflichtungen waren in vielen Fällen bereits schmerzhaft. Und der Schmerz wird auf absehbare Zeit nicht nachlassen. Das Topmanagement sollte daher den Aufschub nutzen, den der Gesetzgeber ihm gegeben hat, um die Versorgungssysteme zukunftssicher aufzustellen. Nur hierdurch kann die “Zeitbombe Pensionsverpflichtungen” entschärft werden.—Tobias C. Pross, EMEA-Chef bei Allianz Global Investors