Zwischen Emerging Markets differenzieren

Schwellenländeranleihen werden zur nachhaltigen, strategischen Anlageklasse - Attraktive Einstiegsrenditen im Vergleich zu denjenigen entwickelter Staaten

Zwischen Emerging Markets differenzieren

Investitionen in Schwellenländeranleihen gehören zu den erfolgreichsten Anlageklassen in 2016. Nach zuletzt schwächeren Jahren stehen die Zeichen in vielen Emerging Markets auf Erholung. Eine zunehmende Anzahl von Investoren lässt sich von diesem Aufschwung überzeugen. Ob dieser allerdings nachhaltig ist, hängt auch von Ereignissen außerhalb der Schwellenländer ab.Das Umfeld für Anleihen aus den Schwellenländern war zu Jahresbeginn herausfordernd. Die Angst vor einer weiteren Abkühlung der chinesischen Wirtschaft schürte die Risikoaversion und veranlasste Investoren, Risikopositionen abzubauen. Fallende Rohstoffpreise, allen voran Öl, und politische Themen wie beispielsweise die Syrienkrise oder die anhaltende Regierungskrise in Brasilien belasteten die Märkte zusätzlich. Im Februar änderte sich dieses Bild. Mittlerweile weisen führende Emerging-Markets-Anleiheindizes sowohl in Hartwährungen als auch in lokalen Währungen deutliche Wertzuwächse auf. Begleitet wird dies von hohen Mittelzuflüssen, im deutlich zweistelligen Milliardenbereich. Ölpreis und ChinaDie Gründe hierfür sind vielfältig. Wesentlich ist der mit dem aktuellen Niedrigzinsumfeld zusammenhängende Anlagedruck, ausgelöst von geldpolitisch expansiv agierenden Zentralbanken vieler Industrieländer. Weitere Treiber sind sich erholende Rohstoffpreise und die überraschend maßvolle US-Notenbankpolitik. Der Ölpreis handelt aktuell auf einem Niveau, welches sowohl für Ölexporteure als auch für Öl importierende Schwellenländer verträglich zu sein scheint. Eine zentrale Rolle nimmt in diesem Kontext die Volksrepublik China ein. Diese war seit Anfang 2000 infolge massiver staatlicher Konjunkturfördermaßnahmen maßgeblicher Treiber der internationalen Rohstoffmärkte. Angesichts der Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft vom Industrie- zum Dienstleistungssektor fielen die Wachstumsraten und damit einhergehend auch die Nachfrage nach Rohstoffen. Dies sorgte bei vielen Emerging-Markets-Investoren für Unsicherheit.Aktuell wird die Lage in China jedoch wieder positiver als noch zu Jahresbeginn bewertet. Jüngste Veröffentlichungen, unter anderem zu Industrieproduktion und Erzeugerpreisen, deuten auf verbesserte Wachstumszahlen hin. Der zweite wichtige Treiber betrifft die US-Notenbankpolitik. Ein Zinsschritt zum Jahresausklang scheint eingepreist, der weitere Verlauf ist hingegen konjunkturabhängig. Trotz potenziell umfangreichen fiskalpolitischen Maßnahmen seitens der neu gewählten Trump-Administration gehen wir jedoch nach wie vor von einem deutlich flacheren Zinserhöhungspfad aus, als in der Vergangenheit beobachtet. Dies sollte sich positiv auf Anlagen in Schwellenländeranleihen auswirken.Neben exogenen Einflussfaktoren sorgen aber auch volkswirtschaftliche Veränderungen füreinen Aufschwung der Anlageklasse. Anleger sollten jedoch nicht in Euphorie verfallen und nicht nur diversifizieren, sondern vor allem differenzieren. Die Unterschiede zwischen einzelnen Ländern sind groß. Gerade Schwellenländer, die in den vergangenen Jahren makroökonomische Anpassungen vorgenommen haben und einen starken Willen zu echten Strukturreformen zeigen, sollten besonders berücksichtigt werden. Länder wie Indonesien und Indien stechen hierbei hervor. Auch das zuletzt in Verruf geratene ehemalige Vorzeigeschwellenland Brasilien zeigt unter dem neuen Präsidenten Michel Temer große Bereitschaft zu dringend benötigten Reformen. Beachtenswerte InvestitionenLosgelöst von ihrer fundamentalen Situation erscheinen Investitionen in Schwellenländeranleihen auch im Vergleich zu Anlagen in Anleihen entwickelter Märkte zunehmend attraktiv. Wirtschaftliche sowie politische Risiken, Attribute, die traditionell den Emerging Markets zugerechnet werden, erreichen zunehmend auch die entwickelten Märkte. So sorgte jüngst nicht nur das Brexit-Votum für eine vorübergehend erhöhte Volatilität, sondern auch die wiederholt erfolglose Regierungsbildung in Spanien sowie das anstehende Referendum zur Verfassungsreform in Italien. Der über weite Strecken ungewisse und schlussendlich überraschende Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen stellt einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor dar. Robuste InflationsratenErhöhte Risiken, die seit geraumer Zeit in einem starken Missverhältnis zu den aktuell äußerst niedrigen Renditen stehen. Diese erscheinen infolge der fortwährend expansiven Zentralbankpolitik in den Industrieländern als zunehmend verzerrt und nicht mehr der klassischen Angebots- und Nachfrageseite ausgesetzt.Hinsichtlich der vorherrschenden Verschuldungsquoten sowie der Wachstumsschwäche zahlreicher Industriestaaten erscheinen deren Anleihen sogar als fehlgepreist. Viele Schwellenländer weisen vergleichsweise geringere Verschuldungs- sowie höhere Wachstumszahlen auf und liefern dabei deutlich höhere Renditen. Von diesem Renditeunterschied kann ein Teil als Liquiditätsprämie und im lokalen Währungsbereich auch als Inflationsprämie betrachtet werden. Die Inflationsraten zahlreicher Entwicklungsländer stellen sich jedoch angesichts konservativer, nicht gänzlich auf Wachstum ausgerichteter Zentralbankpolitiken zunehmend robust, wenn nicht sogar rückläufig dar. Ein Renditeunterschied, der sich im lokalen Währungsbereich über die zurückliegenden fünf Jahre auf Höchstständen befindet und daher an zusätzlicher Attraktivität gewinnt.Die Fremdwährungskomponente zeigt sich dabei zunehmend stabil, nicht zuletzt dank verbesserter Zahlungsbilanzen und einer damit einhergehenden stärkeren Kapitalmarktunabhängigkeit. Angesichts der seit 2008 rückläufigen Performance von Fremdwährungen aus den Emerging Markets weisen diese sogar ein nicht zu vernachlässigendes Wertaufholungs- und damit Ertragspotenzial auf. Sich weiter erholende Fundamentaldaten und Rohstoffpreise, die historisch eng mit der Währungsentwicklung von Schwellenländern korreliert sind, sollten diesen Trend zusätzlich unterstützen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob der überraschende Triumph Trumps in den US-Präsidentschaftswahlen die in diesem Jahr begonnene Renaissance der Assetklasse beeinflussen wird. Risiken sorgfältig steuernFazit – Investitionen in Schwellenländeranleihen sollten sich zu einer nachhaltigen, strategischen Anlageklasse entwickeln. Nicht nur aus Gründen der Diversifikation, sondern auch angesichts der attraktiven Einstiegsrenditen, insbesondere im Vergleich zu denjenigen entwickelter Staaten, sollten Anleihen aus den Emerging Markets stärker in der Asset-Allokation berücksichtigt werden. Die individuellen Länderrisiken sollten dabei sorgfältig gesteuert werden. Wegen der zunehmenden Heterogenität des Marktes erscheint ein differenzierender Länder- und Anleiheselektionsprozess als sinnvoll.Es wird auch in Zukunft nur schwer möglich sein, sich gänzlich von der US-Geldpolitik zu lösen. Die bereits eingesetzte, sukzessive Erhöhung langfristiger strategischer Positionen in Schwellenländeranleihen seitens großer Anlegergruppen sollte jedoch dazu führen, dass sich die Anlageklasse nicht nur krisenresistenter, sondern auch im Falle von US-Notenbankmaßnahmen schwankungsärmer entwickeln sollte.—Robert Reichle, Leiter Emerging Markets bei Berenberg, Asset Management—Frédéric Waterstraat, Portfolio Manager Emerging Markets bei Berenberg, Asset Management