Der schmale Weg zur Freiheit

The Narrow Corridor. States, Societies, and the Fate of Liberty. Daron Acemoglu und James A. Robinson, Penguin Press, New York 2019. ISBN 978-1984879189, 576 Seiten, 13,73 Euro.

Der schmale Weg zur Freiheit

jsc

The Narrow Corridor. States, Societies, and the Fate of Liberty. Daron Acemoglu und James A. Robinson, Penguin Press, New York 2019. ISBN 978-1984879189, 576 Seiten, 13,73 Euro.

Wie unterschiedlich sind doch die Ansichten zur Entwicklung der Demokratie: Ein „Ende der Geschichte“, in dem sich die Welt den politischen und ökonomischen Institutionen der USA annähert, ist ebenso schon ausgerufen worden wie ein allgegenwärtiges Abdriften in die Tyrannei, angefacht durch die technischen Möglichkeiten der Überwachung. Auch als Produkt der europäischen oder westlichen Kultur wurden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oft genug charakterisiert. All diese Ideen sind zu pauschal, wie der Ökonom Daron Acemoglu und sein politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Kollege James A. Robinson ihrer Leserschaft zu verstehen geben.

Die Freiheit der Bürger hängt vielmehr an einer Balance zweier Kräfte: dem Staat und der Gesellschaft. Ein Staat ist vonnöten, um Gewalt einzuhegen, Gesetze durchzusetzen und um öffentliche Leistungen zu erbringen. Doch eine starke und mobilisierte Gesellschaft ist zugleich wichtig, um den Staat einzuhegen. Die Autoren grenzen sich dabei vom Staatstheoretiker Thomas Hobbes ab, der allein einen potenten Staat, einen „Leviathan“, als wichtig ansah. Die Autoren entwerfen einen „gefesselten Leviathan“, der stark, aber gezähmt ist.

Nicht nur im antiken Griechenland und in mittelalterlichen Stadtstaaten Italiens sehen sie frühe historische Beispiele, die dem Ideal nahekommen, sondern auch in den Tälern des heutigen Oaxacas in Mexiko. Der Weg zur Demokratie ist aber schmal, woher das englischsprachige Buch „The Narrow Corridor“ seinen Titel bezieht: Staat und Gesellschaft müssen parallel immer weiter an Stärke gewinnen. Dominiert eine Kraft, kann sich keine Freiheit entfalten. Ein ungezähmter Leviathan missbraucht seine Macht und unterdrückt die Bürger. Traditionelle Gesellschaften ohne zentrale Autorität regulieren das Verhalten der Mitglieder über starre Normen und lassen ebenfalls kaum Raum für Freiheit.

Kapitel für Kapitel arbeiten sich die Autoren an vielen Gesellschaften ab: So existiert in Indien zwar ein demokratischer Staat, doch das rigide Kastensystem schränkt die Freiheit vieler erheblich ein. Staatliche Institutionen sind also im Vergleich zu Traditionen in dieser Hinsicht schwach. In der arabischen Welt hat Mohammed als historische Figur die bis dahin oft traditionellen Gesellschaften durch die Einführung einer zentralen Autorität umgewälzt. In Teilen Afrikas und Südamerikas ist das Modell des „Papier-Leviathans“ verbreitet, womit die Autoren einen schwachen, kaum kontrollierten und korrupten Staatsapparat meinen. Die Ausbeutung in der Kolonialzeit hat den Aufbau staatlicher Institutionen und einer starken Zivilgesellschaft verhindert. Hier und anderswo in dem Buch zeigen sich Parallelen zu dem früheren Werk „Warum Nationen scheitern“. Auch ökonomische Prosperität hängt an intakten staat­lichen Institutionen, wie die Autoren damals festhielten.

In ihrer historischen Betrachtung spannen Acemoglu und Robinson den Bogen zuweilen weit: Der Korridor zur Demokratie in Europa wurde früh durch die zentrale Verwaltung des römischen Imperiums einerseits und durch die Tradition der Versammlungen germanischer Völker andererseits geprägt. Somit waren die Samen für einen starken Staat und eine lebendige Gesellschaft früh gesät. In dem umfassenden Buch bleibt Raum für weitreichende historische Betrachtungen, doch angesichts der Fülle an Beispielen lassen die Autoren zuweilen Fragen offen. Die chinesische Geschichte etwa handeln sie im Galopp in einem Kapitel ab, doch wieso sich mit Taiwan ausgerechnet ein chinesisch geprägtes Land zu einer stabilen Demokratie entwickelt hat, verrät das Buch nicht.

Die optimistische Sicht, dass der Weg zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in vielen Fällen möglich ist, verbinden die Autoren zugleich mit einer Warnung: Wird der Pfad zu schmal, geraten Gesellschaften sehr leicht davon ab. Neben anderen Beispielen nennen die Autoren dabei das Schicksal der Weimarer Republik, die auf beiden Seiten der politischen Lager weithin nicht als legitim anerkannt wurde. Die Folgen sind bekannt. Das Ringen um Freiheit findet nie ein Ende.

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