Harry Bosch rupftgrüne Federn aus
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The Law of Innocence. Michael Connelly, Orion Publishing Co, London 2020. ISBN 978-1409186137, 421 Seiten, 23,15 Euro (ab 10. November 2020).
– Nachhaltigkeit ist in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten derzeit eines der bestimmenden Themen. Der Bund hat im September seine erste grüne Anleihe begeben und traf dabei auf ein starkes Interesse, das Angebot für nachhaltige Anleihefonds wächst und auch am Aktienmarkt liegen ESG-konform wirtschaftende Unternehmen im Trend. Doch nicht jeder, der sich nach außen grün gibt, ist es auch tatsächlich – das findet auch Michael Connellys Detektiv Harry Bosch im jüngsten Krimi des Autors, „The Law of Innocence“, heraus.
Dabei ist der ehemalige Mordermittler des Los Angeles Police Department, der in 22 Romanen von Connelly und einer mittlerweile sechs Staffeln umspannenden Serie des Streamingdienstes Amazon Prime die zentrale Rolle einnimmt, im neuen Buch eigentlich nur Nebenfigur. Er springt seinem Halbbruder, dem ebenfalls aus mehreren Bänden und einer Verfilmung bekannten Anwalt Mickey Haller, zur Seite. Denn der sitzt in Untersuchungshaft, nachdem die Polizei bei einer Verkehrskontrolle die Leiche eines seiner Mandanten in seinem Kofferraum gefunden hat. Nun muss sich Haller zum ersten Mal in seinem Leben selbst vor Gericht verteidigen und arbeitet vom Gefängnis aus an seiner Prozessstrategie.
Indes beginnt Harry Bosch, trotz der belastenden Beweislage von der Unschuld seines Halbbruders überzeugt, in dem Fall zu ermitteln. Dabei stößt er auf ein Unternehmen, das grünen Biotreibstoff aus Abfällen und Pflanzenresten herstellt und dafür gewaltige Subventionen aus Washington kassiert, weil die US-Regierung die Abhängigkeit des Landes von Rohöl verringern will.
Michael Connelly gilt als Großmeister des US-Kriminalromans. Mit „The Law of Innocence“ untermauert er diesen Ruf. Wohl kaum ein anderer Schriftsteller schafft es, juristische Prozesse in ihren taktischen Feinheiten so packend zu beschreiben und so nahtlos mit der Arbeit der Ermittlerteams außerhalb des Gerichtssaals zu verknüpfen. Zudem platziert der Autor subtil Hinweise, die den Leser an Hallers Wahrnehmung zweifeln lassen – und die Frage eröffnen, wie verlässlich seine Erzählung in der ersten Person wirklich ist.
Weil seine Figuren von Buch zu Buch altern und in der heutigen Zeit eingebettet sind, bindet Connelly immer wieder aktuelle Bezüge ein. So ist es aus heutiger Sicht unheimlich zu lesen, wie Haller und Bosch die Anfänge der Corona-Pandemie mitbekommen.
Wenngleich sein jüngster Roman auch als alleinstehendes Werk bestens funktioniert, liegt einer der größten Vorteile Connellys darin, dass er seine bekanntesten Figuren dank eines scheinbar unerschöpflichen Ideenreichtums über eine große Anzahl von Büchern hinweg weiterentwickeln konnte. Der mit allen Abwassern gewaschene Winkeladvokat Haller hatte bei seinen ersten Auftritten noch keinerlei Skrupel, schuldige Mandanten wieder auf die Zivilbevölkerung loszulassen – und wurde allmählich durch seine Erfahrungen geläutert.
Beim durch den frühen Mord an seiner Mutter, seinen Einsatz im Vietnamkrieg und zahlreiche Erfahrungen mit der dunklen Seite der menschlichen Natur traumatisierten Ermittler Bosch lässt der Umgang mit seiner Tochter den Leser immer wieder den weichen Kern hinter der harten Schale erkennen. Der in die Jahre gekommene Detektiv ist kein brillant deduzierender Sherlock Holmes, seine Stärke liegt in der Unnachgiebigkeit, mit der er seinen persönlichen Moralkodex vertritt und jede Spur verfolgt. So auch im Fall des Biotreibstoff-Herstellers, bei dem die grünen Federn nach Boschs Vermutung ein dunkles Geheimnis verbergen.