Bauwirtschaft

Vom Neubau zur energetischen Sanierung

Ein großer Hebel für das Erreichen der Klimaneutralität liegt in der Modernisierung von Gebäuden. Für die Bauwirtschaft hat das langfristig weitreichende Folgen.

Vom Neubau zur energetischen Sanierung

Schaffe, schaffe, Häusle baue“, sang Schlagerstar Ralf Bendix in den sechziger Jahren und landete damit einen Evergreen. Bis heute steht die Zeile für das Streben nach dem eigenen Heim. Doch für immer mehr Menschen bleibt das Einfamilienhaus ein frommer Wunsch. Das hat mit zunehmendem Widerstand gegen die Versiegelung von Grundstücksflächen zu tun und vor allem mit rasant steigenden Baukosten sowie dem Mangel an Personal und neuerdings auch an Material. Die meisten Bürger können sich ein Eigenheim schlicht nicht leisten.

„Das Einfamilienhaus wird immer mehr zum Luxus“, sagt Christoph Blepp, Gründungspartner der Strategieberatung S&B Strategy. Das hat weitreichende Folgen für die Bauwirtschaft. „Die Treiber verschieben sich vom Neubau zur energetischen Modernisierung. Der Großteil des Gebäudebestands in Deutschland muss saniert werden, um bis 2045 die angestrebte Klimaneutralität zu erreichen.“

Der politische Betrieb unterstützt die Abkehr vom Eigenheim. Offen wirbt zwar kaum jemand dafür – zu groß die Sorge, als Verbotsapostel dazustehen und Wähler zu verprellen. Aber die Förderpolitik wird so ausgerichtet, dass die energetische Sanierung eindeutig im Vordergrund steht. Neubauförderung dürfte es weiter geben, aber zu verschärften Bedingungen.

Der Gebäudesektor trägt 38% zu den globalen CO2-Emissionen bei. Davon wiederum entfallen drei Viertel auf den Betrieb, also im Wesentlichen Heizung und Strom, und ein Viertel auf die Herstellung von Baumaterial wie Zement, Ziegel und Kunststoffe. „Der große Hebel für Klimaneutralität liegt in der Gebäudesanierung. Dafür brauchen wir jede Kapazität, die verfügbar ist“, sagt Blepp.

Das Problem ist nur: Schon jetzt fehlen Kapazitäten. Gerade Fachkräfte sind knapp, nicht nur am Bau selbst, sondern auch in angrenzenden Gewerken wie Heizungsbau und -wartung. Parallel steigt der Neubaubedarf infolge der anhaltenden Zuwanderung. Ein weiterer Aspekt ist: Nach einem Kriegsende in der Ukraine wird es riesige Aufbauprogramme zu europäischen Standards geben. Dann wird sehr viel Material und Personal in das vom Krieg zerstörte Land fließen. Diese Kapazitäten werden woanders fehlen. Zumal viele Arbeitskräfte am deutschen Bau aus Osteuropa stammen.

„Nachfragesteigerung bei gleichzeitiger Angebotsverknappung – das ist das zentrale Thema der nächsten 20 Jahre für die Bauindustrie“, sagt Blepp. Das bedeutet: Die Preise werden weiter steigen. Umso mehr muss die Branche ihre Produktivität erhöhen. Themen wie Digitalisierung, Modularisierung und serielle Sanierung werden immer wichtiger.

Die aktuelle Beruhigung der Baumaterial-Verteuerung hält Blepp für trügerisch. Derzeit würden Bestände abgebaut. Ziehe die Nachfrage im Jahresverlauf 2023 wieder an, setzte der nächste Run auf Material ein. Langfristig werden laut Blepp die CO2-Kosten die Baupreise in die Höhe treiben. Denn der Bau verbraucht in großen Mengen Stahl und Zement – zwei Produkte, deren Herstellung mit hohen CO2-Emissionen einhergeht.

In scharfem Kontrast zum langfristig hohen Bedarf steht die aktuelle Stimmung in der Branche, die stark von Verunsicherung geprägt ist. Die Auftragseingänge des deutschen Bauhauptgewerbes sind zuletzt preis- und kalenderbereinigt scharf gesunken. Auch die Umsätze zeigen in realer Rechnung, also bei Herausrechnung der meist deftigen Preisaufschläge, tiefe Einschnitte.

Wie groß die Nervosität ist, zeigt ein Appell von 17 Verbänden und Kammern zur „dramatischen Lage im Wohnungsbau“. Das Ziel der Koalition, jährlich 400 000 neue Wohnungen zu bauen, drohe zum Wunschdenken zu werden. Die Interessenorganisationen diagnostizieren eine Abwärtsspirale und befürchten gravierende Folgen für den sozialen Zusammenhalt. Denn der Bedarf an kostengünstigem Wohnraum ist vor allem in Ballungszentren nach wie vor immens.

Bauunternehmer klagen über einen Wust an Vorschriften und lange Bearbeitungszeiten der Behörden. „Die ganzen Regularien werden immer schlimmer“, schimpft Otfried Sinner, Vorstandschef und Großaktionär der börsennotierten Traumhaus AG. „Man redet viel von Vereinfachung der Bauanträge und Typenstatik, aber es wird nicht umgesetzt.“ Schärfere Standards verteuern das Bauen zusätzlich. Allein durch den neuen Förderstandard EH40 steigen die Baukosten für ein Einfamilienhaus nach Branchenangaben um 30 000 Euro. Gerade im Geschosswohnungsbau in den Metropolstädten stehen viele Bauprojekte still oder wurden verschoben.

Der Wohnungsbauer Instone musste seine Jahresprognose bereits im Mai zurückziehen. Das Vermarktungsvolumen des Konzerns schrumpfte in den ersten neun Monaten 2022 um 34% auf 250 Mill. Euro. Der Eigenheimbauer Helma hat seine Jahresprognose im November abermals gesenkt. Unter den Projektentwicklern gibt es bereits Insolvenzen. Vor einem Jahr machte Eyemaxx, die sich stark über Mittelstandsanleihen finanzierte, die Grätsche. In diesem Sommer folgte die auf betreutes Wohnen im Alter spezialisierte Terragon. Im November stellte der bekannte Immobilienentwickler Fakt AG aus Essen Insolvenzantrag.

Börsennotierte Wohnungskonzerne wie Vonovia und LEG Immobilien fahren ihre Investitionen massiv zurück. „Neubau und Modernisierung zu vertretbaren Konditionen sind nicht mehr möglich“, sagt Rolf Buch, Vorstandschef des größten deutschen Vermieters Vonovia, und fordert eine wesentlich stärkere Unterstützung der Politik. Die Wohnungswirtschaft solle bei viel höheren Kosten für Material und Energie 150 Mrd. Euro pro Jahr in Neubau und Modernisierung investieren und zugleich die Mieten bezahlbar halten: „Das ist eine Rechnung, die nicht aufgehen wird.“

Auch Berater Blepp geht davon aus, dass in Zukunft sehr viel Steuergeld in die Wohnungsmodernisierung fließen wird: „Der Steuerzahler muss Komplexität und Energieeffizienz der Gebäude bezahlen.“ Bei Gebäuden aus den dreißiger oder fünfziger Jahren sei es nicht damit getan, Fassaden zu dämmen und Fenster und Heizung auszutauschen. Dann sei eine Kernsanierung notwendig, um Klimaneutralität zu erreichen: „Da muss man tief in die Gebäudehülle rein“, sagt Blepp. So könne man eine Wärmepumpe in der Regel nur mit Fußbodenheizung effizient betreiben. Dafür müssten Böden freigelegt und neue Leitungen verlegt werden. Viele Hauseigentümer werden sich damit schwertun, nicht nur wegen der Kosten. Kleinvermieter sind oft ältere Menschen, die sich ein so großes Modernisierungsprojekt nicht mehr zutrauen. Dann vergehen Jahre, bis die Erbengeneration am Ruder ist.

Aufgrund des hohen Bedarfs sieht Blepp aktuell keinen Anlass für Schwarzmalerei: „Die Rückgänge der Bauindustrie werden geringer ausfallen als befürchtet.“ Denn Marktforscher und Unternehmen unterschätzten die Nachfrage aus der energetischen Sanierung. Anders sehe es nur aus, falls die Bundesregierung vom Klimaziel 2045 abrückt: „Das wird aber nicht passieren“, ist Blepp sicher. „Das wäre politischer Selbstmord.“

Von Helmut Kipp, Frankfurt

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