Bei der Ladeinfrastruktur für Elektroautos hakt es weiter
Bei der Ladeinfrastruktur für Elektroautos hakt es weiter
Bis 2030 soll es in Deutschland 15 Millionen Elektro-Pkw und 1 Million öffentliche Ladepunkte geben. Die Ampel-Koalition hält an den Zielen fest. Doch beim Ausbau der Ladenetze fehlt der notwendige Schwung.
Von Carsten Steevens, Hamburg
Im Jahr 2030 sollen mindestens 15 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen rollen. Dieses Ziel, das die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom Herbst 2021 definiert hat, um die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis 2030 um 48% verglichen mit 1990 zu reduzieren, gilt nach wie vor. Noch bei der Eröffnung der Automesse IAA bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang September die Ausbaupläne bei der Elektromobilität. Diese sehen bis 2030 auch einen dem Bedarf vorausgehenden Ausbau der Ladeinfrastruktur mit dem Ziel von 1 Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte vor.
Zwei Jahre nach ihrer Vorstellung erscheinen die Vorsätze der Berliner Ampel-Koalition für den Autoverkehr noch ambitionierter. Für den Branchenexperten Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach wird das Ziel von 15 Millionen Elektrofahrzeugen nach derzeitigem Stand „bei weitem“ – um 50% – verfehlt. Zum 1. Juli waren in Deutschland 1,17 batterieelektrische Autos (BEV) zugelassen. Damit lag ihr Anteil am Pkw-Gesamtbestand von gut 49 Millionen bei 2,4%. Es sei, so Bratzel, „ein Realitätscheck notwendig, der vor dem Hintergrund des Status quo die politischen Ziele des Markthochlaufs mit den dafür erforderlichen Maßnahmenprogrammen in Einklang bringt“.
Stark von Förderung abhängig
Nach dem Auslaufen staatlicher Zuschüsse für Plug-in-Hybridfahrzeuge mit kombinierten Verbrenner- und Elektromotoren Ende 2022 fiel zum 31. August der Umweltbonus für gewerblich genutzte Pkw weg. Ein Einschnitt: Im vergangenen Jahr lag der Firmenwagen-Anteil an allen in Deutschland neu zugelassenen Elektroautos bei fast 40%. Der kräftige Rückgang der Neuzulassungen von Elektroautos im September hat gezeigt, dass der Elektro-Pkw-Markt in Deutschland nach wie vor stark von staatlicher Förderung abhängt. Über neue Anreize könnte bald wieder verstärkt diskutiert werden, sollte der Absatz von Elektroautos im kommenden Jahr so schwach ausfallen wie aktuell erwartet.
Zu den Gründen für den noch ausstehenden Durchbruch der Elektromobilität in Deutschland gehört neben weiterhin hohen Preisen für E-Fahrzeuge der langsame Ausbau der Ladeinfrastruktur. Wie aus einer aktuellen Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie (VDA) hervorgeht, gilt das Angebot an Ladestationen weiterhin als unzureichend. In einer repräsentativen Umfrage des Instituts unter gut 1.000 Teilnehmern bewerteten laut VDA 68% der Befragten das Angebot an Ladesäulen in der eigenen Umgebung als kritisch. 61% monierten Defizite beim Ladeangebot an Orten des Einkaufs sowie 49% bei Lademöglichkeiten an Autobahnen und Landstraßen. Lediglich 7% der Befragten bezeichneten das Ladeangebot an Autobahnen als gut oder sehr gut.
Weit entfernt von einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur
Zum 1. Juli enthielt das Ladesäulenregister der Bundesnetzagentur insgesamt 97.495 Normal- und Schnellladepunkte mit einer Ladeleistung von 3,37 Gigawatt – gut 13.300 mehr als zu Beginn dieses Jahres und rund 36.800 mehr als Anfang 2022 kurz nach Antritt der Ampel-Koalition. Zwar zeigt eine Auswertung des europäischen Autoherstellerverbandes Acea von Daten des vergangenen Jahres, dass Deutschland hinter den Niederlanden das Land mit den zweitmeisten öffentlich zugänglichen Ladepunkten in der Europäischen Union ist. Allein auf diese beiden Länder, die weniger als 10% der gesamten Fläche des Staatenbunds ausmachen, entfiel 2022 ein Anteil von 42% aller Ladepunkte für Elektroautos in der EU. Doch Aufholpotenzial besteht: Bei der relativen Anzahl der Ladestationen, das heißt in Relation zur Größe der Bevölkerung, sowie bei der durchschnittlich bereitgestellten Ladeleistung pro Ladepunkt liege Deutschland unter dem europäischen Durchschnitt, stellt die Investmentgesellschaft LBBW Asset Management fest.
Von einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur ist auch Deutschland noch weit entfernt. Der VDA verweist darauf, dass zum 1. Juli bundesweit in rund der Hälfte der Gemeinden kein einziger öffentlicher Ladepunkt installiert war. Bei der für den Erfolg der Elektromobilität besonders wichtigen Schnellladeinfrastruktur sei die Situation noch gravierender. So gebe es in mehr als acht von zehn Gemeinden keinen Schnellladepunkt. „Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge ist eine der drängendsten Infrastrukturaufgaben für Deutschland, wurde aber in der Vergangenheit viel zu sehr vernachlässigt“, so Verbandspräsidentin Hildegard Müller. Die Umfrage zeige, dass alle maßgeblichen Akteure beim Ausbau der Ladeinfrastruktur schneller werden müssten.
Masterplan harrt der Umsetzung
„Der Ladeinfrastrukturausbau ist eine Gemeinschaftsaufgabe, hier müssen alle politischen Ebenen und alle relevanten Stakeholder anpacken, zu denen unter anderem die Energiewirtschaft, die Mineralölindustrie, der Handel und selbstverständlich auch die Automobilindustrie gehören“, betont Müller, die ein Jahr nach der Vorstellung des „Masterplans Ladeinfrastruktur II“ durch die Bundesregierung die bisherige Realisierung der Vorhaben kritisiert. Der Masterplan, der 68 Maßnahmen in den Bereichen Förderung, Befähigung von Kommunen, Flächenverfügbarkeit, Stromnetzintegration, Laden an Gebäuden sowie schwere Nutzfahrzeuge definiert, beschreibe zwar die richtigen Handlungsfelder. „Es mangelt aber an der Umsetzung“, so die VDA-Präsidentin. Wichtig sei jetzt, den Ausbau der Ladeinfrastruktur mit hohem Tempo voranzutreiben und die Maßnahmen des Masterplans auch umzusetzen. Erheblichen Nachholbedarf gebe es beim Stromnetzausbau.
Auch Branchenexperten halten die bisherige Geschwindigkeit beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für zu gering. Zum 1. Juli zählte das Kraftfahrt-Bundesamt einschließlich Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen rund 2,06 Millionen zugelassene Elektroautos in Deutschland. Das Verhältnis zwischen Neuzulassungen von E-Fahrzeugen und neuen öffentlichen Ladepunkten liege bei Faktor 20, was zu hoch sei, so Arnt-Philipp Hein von der Beratungsgesellschaft Alix Partners. Die Schere zwischen Bedarf und Angebot werde weiter auseinandergehen, was für Elektroautonutzer in den kommenden Jahren noch deutlicher werden dürfte als bislang. „Es wird zwar mehr Ladepunkte geben, aber überproportional mehr Fahrzeuge, so dass das Finden eines freien Ladepunktes komplizierter wird und in einigen Gebieten der Parkplatzsuche in München-Schwabing um 18 Uhr entspricht.“
Kommunen im Blick
Um die Ladeinfrastruktur in der Fläche schneller auszubauen, komme es vor allem auf die Kommunen und auf die administrative Unterstützung der Kommunen durch Bund und Länder an. Hein verweist auf die im Masterplan der Bundesregierung vorgesehene Hilfe durch beauftragte regionale Ladeinfrastrukturmanager. Schnelles Handeln sieht der Berater mit Blick auf das erwartete Vordringen günstigerer Elektroautos ab 2025 als geboten an: Von der Entscheidung einer Kommune für den Aufbau bis zur Inbetriebnahme einer Ladesäule vergingen durchschnittlich zwölf Monate. Eine finanzielle Förderung der Kommunen hält Hein in einer ersten Phase bei fehlender Wirtschaftlichkeit des Ladesäulenbetriebs für angebracht.
Auch die Monopolkommission hebt die Rolle der Kommunen hervor und bezeichnet sie als wichtige Akteure bei der Entwicklung wettbewerblicher lokaler Ladenetze. In seinem vor wenigen Tagen vorgestellten „Sektorgutachten Energie“ hebt das Beratergremium die Notwendigkeit ihrer Unterstützung bei Ausschreibungen zum Ladesäulenaufbau hervor. LBBW Asset Management sieht bei der Beschleunigung der Verfahren zum Ladenetzausbau inzwischen „Lichtblicke“ und weist auf den Abschluss der ersten Ausschreibung für das Deutschlandnetz hin, mit dem das Bundesverkehrsministerium für „ein zuverlässig verfügbares Angebot an Schnelllademöglichkeiten“ sorgen und „weiße Flecken auf der Ladelandkarte“ in Deutschland schließen will. Zehn Unternehmen werden, wie Ende September aus Berlin verlautete, rund 900 Standorte mit fast 8.000 Ultraschnellladepunkten für Elektroautos errichten, die auch den ländlichen Raum abdecken sollen.
"Das ist ein Skalenspiel"
Einen stärkeren Ausbau von Ladestationen in Städten sowie an Autobahnen hält Eric Heymann von Deutsche Bank Research für erforderlich, wenn in den kommenden Jahren das Elektro-Pkw-Aufkommen sowie der elektrifizierte Schwerlastverkehr deutlich zunehmen. Wer sich im Markt der öffentlichen Ladepunktbetreiber mittel- bis langfristig behaupten wird, lässt sich für Branchenexperten noch nicht absehen. Prognostiziert wird, dass die Zahl von über 300 unterschiedlichen Anbietern nicht Bestand haben und auf eine zweistellige Größenordnung sinken dürfte. „Das ist ein Skalenspiel“, sagt Marcus Hoffmann von Strategy&, der Strategieberatung von PwC. Relevant werde neben den jeweiligen Interessen der einzelnen Anbieter auch das Komforterlebnis für die Ladepunktnutzer sein. Größere Reichweiten, höhere Ladegeschwindigkeiten und ein erwarteter Ladeanteil von 50% an der eigenen Wallbox oder am Arbeitsplatz könnten schließlich dazu führen, dass für Elektromobilität in Deutschland 2030 rund 300.000 öffentliche Schnellladestationen ausreichen.