Nach langen Vorarbeiten

Britische Aufsicht macht Druck für mehr Diversität und Inklusion

Die britische Finanzbranche ist allen Fortschritten zum Trotz immer noch ein weißer Männerverein. Die Regulierer wollen das ändern. Zu ihren Vorschlägen gehört, sexuelle Belästigung künftig als aufsichtsrechtlich relevant zu betrachten.

Britische Aufsicht macht Druck für mehr Diversität und Inklusion

Britische Aufsicht macht Druck für mehr Diversität

Londoner Regulierer hoffen auf gesündere Arbeitskultur, weniger Gruppendenken und Zugang zu mehr Nachwuchstalenten

hip London

Die britische Finanzbranche ist allen Fortschritten zum Trotz immer noch ein weißer Männerverein. Die Regulierer wollen das ändern. Zu ihren Vorschlägen gehört, sexuelle Belästigung künftig als aufsichtsrechtlich relevant zu betrachten. Der Skandal um Crispin Odey sorgte offenbar für Handlungsdruck.

Die britische Finanzbranche ist, allen Fortschritten der vergangenen Jahre zum Trotz, immer noch ein weißer Männerverein. Wie der Alpha Female Report 2023 von Citywire zeigt, sind gerade einmal 12% der Fondsmanager weiblich. Deloitte zufolge haben Frauen gerade einmal 19% der Führungsrollen im Banking, Kapitalmarktgeschäft und bei der Zahlungsabwicklung inne. Mehr als 100 der FTSE-250-Gesellschaften haben entweder keine Angehörigen von Minderheiten im Board oder wollen dazu keine Angaben machen.

Risiko sexuelle Belästigung

Die Aufsichtsbehörden Financial Conduct Authority (FCA) und Prudential Regulation Authority (PRA) wollen daran etwas ändern. Zu den von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen gehört die Klarstellung, dass Mobbing und sexuelle Belästigung Risiken für eine gesunde Unternehmenskultur darstellen. Im Juni hatten Belästigungsvorwürfe gegen den Hedgefonds-Manager Crispin Odey zu einem Harvey-Weinstein-Moment für die Branche geführt. Seine Partner setzten den Firmengründer und Mehrheitseigner vor die Tür. Die „ Financial Times“ hatte 13 Frauen gefunden, die ihm sexuelle Belästigung vorwarfen. Die öffentliche Entrüstung darüber führte dazu, dass sowohl Dienstleister wie Morgan Stanley als auch Kunden wie Schroders die Reißleine zogen. Einen Fall, der so viel Aufsehen erregt, hatte es noch nie gegeben.

FCA prescht vor

„Wir haben unter den Regulierern eine Führungsrolle übernommen, indem wir die klare Haltung vertreten, dass nichtfinanzielles Fehlverhalten wie sexuelle Belästigung Fehlverhalten im aufsichtsrechtlichen Sinne ist“, sagte Nikhil Rathi, der CEO der FCA. „Wir verstärken unsere Erwartungen daran, wie die von uns regulierten Firmen solches Fehlverhalten berücksichtigen, wenn sie darüber entscheiden, ob jemand dazu geeignet ist, in der Branche zu arbeiten.“ Die nun vorgelegten Vorschläge gehen auf ein Diskussionspapier vom Sommer 2021 zurück. Mit Entscheidungen darüber, was nun tatsächlich umgesetzt werden muss, ist erst im kommenden Jahr zu rechnen.

Britische Bankenaufsicht PRA

Strategie zu Diversität und Inklusion erwartet

Zu den Vorschlägen gehört, dass Firmen eine Strategie für Diversität und Inklusion ausarbeiten sollen, in der sie darstellen, wie sie ihre diesbezüglichen Ziele erreichen wollen. Dazu müssen demografische Informationen gesammelt, berichtet und offengelegt werden. Bislang werden von den Unternehmen einer Umfrage der Aufseher zufolge noch nicht viele Daten gesammelt. Informationen zu neurologischer Vielfalt oder sozioökonomischem Hintergrund der Belegschaft werden nur selten erhoben.

Zudem sollen sich die Firmen Ziele setzen, wie sie gegen eine Unterrepräsentation bestimmter Gruppen vorgehen wollen. Immerhin 57% der befragten Unternehmen haben Diversität und Inklusion in die Zielvorgaben für das Management aufgenommen, heißt es im Konsultationspapier der Bankenaufsicht PRA. Bei mehr als einem Drittel davon werde das Ziel bei der variablen Vergütung berücksichtigt.

Schutz vor Gruppendenken

„Diversität und Inklusion spielen eine wichtige Rolle für den Schutz vor Gruppendenken innerhalb von Firmen“, sagte der PRA-Chef Sam Woods. „Firmen, in denen eine große Spannbreite von Sichtweisen begrüßt und ermutigt wird, werden ihre Risiken besser managen.“ Das entspreche den Zielen der Aufsicht. Zudem seien die Unternehmen so in der Lage, einen breiteren Pool von Nachwuchstalenten anzusprechen.

„Als ich vor mehr als drei Jahrzehnten meine Karriere im Assetmanagement als Trainee begann, war ich völlig ahnungslos, was den Ruf der Branche als Hort weißer Mittelklassemänner angeht“, sagte die City-Veteranin Helena Morrissey, die dem Diversity Project vorsitzt. Mittlerweile habe sich die Situation zum Glück verbessert. Frauen seien aber immer noch völlig unterrepräsentiert. Sie hat ein branchenweites Programm ins Leben gerufen, das für mehr Frauen in Portfoliomanager-Positionen sorgen soll.

IT-Fachkräftemangel

Manchmal finden sich aber einfach weder Frauen noch Angehörige von Minderheiten für einen Job. Die fünf am meisten von der Finanzbranche nachgefragten Kenntnisse sind dem Future Skills Report 2023 der Financial Services Skills Commission zufolge technologischer Natur. Es handelt sich um Kompetenzen wie Softwareentwicklung und Cybersicherheit. In der Branche ist der Anteil der Tech-Jobs an der Gesamtbelegschaft doppelt so hoch wie in der Wirtschaft insgesamt. Doch der Frauenanteil liegt für Tech-Jobs in europäischen Unternehmen bei gerade einmal 22%. Angehörige ethnischer Minderheiten stellen 25% der Tech-Arbeiter. Der Personalberater Green Park rät Unternehmen, neurodiverse Bewerber stärker zu berücksichtigen. Autistische Menschen könnten im richtigen Umfeld produktiver sein als ihre Kollegen.

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