Im BlickfeldHeidelberg Materials

Der lange und teure Weg zu grünem Zement

Die Zementindustrie ist ein Klimasünder par excellence. Entsprechend groß ist die Herausforderung, CO2-neutral zu werden. Trotzt etlicher Projekte stehen die Hersteller noch ganz am Anfang.

Der lange und teure Weg zu grünem Zement

Der lange und teure Weg zu grünem Zement

Die Transformation der Branche beginnt gerade erst. Wie Heidelberg Materials klimaneutral werden will.

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Die Zementhersteller stehen vor einer Mammutaufgabe. In den nächsten zweieinhalb Jahrzehnten müssen sie den Baustoff weitgehend klimaneutral machen. Die Ausgangslage ist denkbar schwierig. Denn in der Herstellung werden enorme Mengen Kohlendioxid freigesetzt. Die vergleichsweise kleine Branche steht für 7 bis 8% des globalen Ausstoßes des klimaschädlichen Treibhausgases. Zwei Drittel der Emissionen fällen direkt im Produktionsprozess an, und zwar beim Brennen von kohlenstoffhaltigem Kalkstein zu Klinker.

Diese Emissionen sind chemisch bedingt, sie lassen sich nicht vermeiden. Der Klinkeranteil kann zwar durch Alternativstoffe wie Flugasche und Hüttensand gesenkt werden, aber nur in Maßen, weil der Zement ansonsten seine Produkteigenschaften einbüßt. Die einzige Lösung ist nach einhelliger Meinung, das CO2 im Schornstein abzufangen und es dann entweder in anderen Verwendungen zu nutzen oder in unterirdische Lagerstätten einzubringen (Carbon Capture Use and Storage, kurz CCUS). „Es ist besser, CO2 im Boden zu haben als in der Atmosphäre“, stellt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck klar. Umweltorganisationen wie Greenpeace halten Carbon Capture allerdings für eine Scheinlösung. Die Methode sei längst nicht ausreichend erprobt: „Wie lange die geplanten CO2-Endlager dicht halten, kann niemand voraussagen.“

Für die Bauwirtschaft ist Zement unverzichtbar. Denn er ist der Grundstoff für Beton, dem am meisten verwendeten Baustoff. Beton ist billig, stabil, frei formbar und hält lange. Alternativen wie Holz eignen sich nur für wenige Verwendungen. Sie stehen überdies nur eingeschränkt zur Verfügung.

Diverse Projekte in Planung

Die Vorreiterrolle in der CO2-Abscheidung reklamiert der deutsche Player Heidelberg Materials für sich. Der zweitgrößte europäische Zementhersteller nach Holcim aus der Schweiz hat neun größere Projekte angestoßen sowie einige Pilot- und Demonstrationsanlagen auf den Weg gebracht, die im Endstadium für eine jährliche CO2-Einsparung von etwa 9,5 Mill. Tonnen stehen. Bezogen auf die 61 Mill. Tonnen, die der Konzern allein im vergangenen Jahr in die Luft geblasen hat, sind das 15%. Bis 2030 wollen die Heidelberger kumuliert, also aufaddiert, 10 Mill. Tonnen CO2 einsparen. Auf Jahresbasis entspricht das nach Firmenangaben, vorsichtig geschätzt, für 2030 etwa 4 Mill. Tonnen oder 6 bis 7% des letztjährigen Ausstoßes. Die größeren Projekte befinden sich überwiegend im Planungsstadium, gebaut wird bisher nur in Brevik im Süden Norwegens.

Pipeline- oder Hafennähe erleichtert Transport

Schon diese Einordnung macht deutlich: Die Dekarbonisierung steht erst am Anfang. Der Weg zu einer umweltfreundlichen Zementproduktion ist noch lang. Dabei bleibt wenig Zeit. Die EU will ab 2050 klimaneutral sein, Deutschland sogar ab 2045. Bis dahin soll der Fabrikpark zumindest in den entwickelten Ländern wie USA und Europa weitestgehend dekarbonisiert sein. Allerdings müssen nicht unbedingt alle Werk weltweit mit Abscheidetechnik ausgerüstet werden, da der Einsatz von Biomasse als Brennstoff als Negativemission gegengerechnet werden kann, was den Treibhausgasausstoß eines nicht voll dekarbonisierten Werks ausgleicht. Erste Wahl für CCUS-Projekte sind Standorte in Pipeline-, Hafen oder Flussnähe. Denn dann fällt der Abtransport des abgeschiedenen Kohlendioxids leichter. Bei dem Projekt im britischen Padeswood kann Heidelberg Materials auf ein naheliegendes Pipelinenetz zurückgreifen. In Brevik, dem ersten Großprojekt des Konzerns, wird das CO2 auf ein Schiff verladen und dann über eine Pipeline in die Endlagerstätte in der Nordsee eingebracht. Anders am US-Standort Mitchell: Dort ist eine Onshore-Speicherung in Nähe der Fabrik möglich.

Förderquoten werden sinken

Branchenvertreter betonen immer wieder, dass die Transformation in Richtung CO2-Neutralität nur mit erheblichen öffentlichen Subventionen zu haben ist. Klar ist aber auch, dass die Förderquoten allein schon aufgrund der künftig steigenden Projektzahl perspektivisch abschmelzen werden. Entscheidend bleibt ohnehin, dass sich die Investitionen am Ende rechnen. Das wiederum hängt von den eingesparten Ausgaben für Verschmutzungsrechte und damit von der Höhe des CO2-Preises ab und von der Bereitschaft der Kunden, für dekarbonisierten Zement höhere Verkaufspreise zu bezahlen. Bisher verfügen die Heidelberger zwar noch auf Gruppenebene über ausreichend kostenlos zugeteilte Zertifikate, doch das dürfte sich in absehbarer Zukunft ändern.

1,5 Mrd. Euro Investitionen

Die Heidelberger haben sich selbst verpflichtet, bis 2030 die CO2-Emissionen je Tonne Zement auf 400 Kilogramm zu senken. 2023 lag der Ausstoß bei 534 Kilogramm. Bis zur Zielerreichung fehlt also noch ein Viertel. Die Reduktionsstrategie setzt an drei Punkten an: Produktänderungen durch Verringerung des Klinkeranteils und verstärktes Recycling, die Verwendung von Biomasse und alternativen Brennstoffen statt fossilen sowie die CO2-Abscheidung.

Die Investitionsausgaben für die ersten sieben CCUS-Projekte hat das Management auf dem Kapitalmarkttag 2022 auf 1,5 Mrd. Euro veranschlagt. Dabei wurde eine Förderquote von 50% unterstellt. Beim Brevik-Projekt, der weltweit ersten Abscheidungsanlage in industriellem Maßstab in einem Zementwerk, bewegt sich die Förderung sogar bei 85%. Das Geld kommt vom norwegischen Staat.

Verschiedene Technologien

In Brevik verwendet Heidelberg Materials die sogenannte Amin-Technologie, mit der das CO2 herausgewaschen wird. Es handelt sich um ein erprobtes, aber energieintensives Verfahren, das in der Öl- und Gasindustrie schon länger eingesetzt wird. Die Anlage baut Aker Carbon Capture, die von Schlumberger (heute SLB) übernommen wurde. Die Fertigstellung ist für Ende 2024 geplant, im Folgejahr soll die Anlage angefahren werden. Sie soll 400.000 Tonnen CO2 im Jahr abscheiden, was 50% der Emissionen des Werks entspricht.

Das größte Projekt in Deutschland ist in Geseke bei Paderborn geplant. Es soll 700.000 Tonnen CO2 im Jahr abscheiden und 2029 fertig sein. Der EU-Innovationsfonds fördert das Vorhaben mit 191 Mill. Euro. Heidelberg Materials setzt hier auf das Oxyfuel-Verfahren, bei dem reiner Sauerstoff statt Luft in den Verbrennungsprozess eingeblasen wird. Das eingefangene Kohlendioxid wird vorerst per Bahn zum Hub von Wintershall Dea transportiert und schließlich unter der Nordsee verpresst.

CO2-Speichergesetz

Den gesetzlichen Rahmen für die in Deutschland lange umstrittene unterirdische Speicherung von Kohlendioxid hat die Bundesregierung vor kurzem mit dem CO2-Speichergesetz auf den Weg gebracht. Abgelagert werden soll das klimaschädliche Gas vor allem in Offshore-Speichern, doch können die Bundesländer auch eine Onshore-Speicherung auf ihrem Gebiet zulassen.

Ein weiteres Projekt in Deutschland ist die erste großtechnische CCU-Anlage in der Zementbranche, die Heidelberg Materials und der Gasekonzern Linde in Lengfurt bei Marktheidenfeld bauen. Das Besondere: Aufgrund seiner Reinheit kann das aufbereitete Gas als Kohlensäure in der Lebensmittelindustrie genutzt werden, etwa für Mineralwasser. Die Aminwäsche-Anlage soll 2025 starten. Das abgeschiedene CO2-Volumen ist mit 70.000 Tonnen im Jahr allerdings relativ gering.

Leilac-Verfahren

In dem Forschungsprojekt „catch4climate“ haben sich die vier Zementhersteller Buzzi/Dyckerhoff, Schwenk, Vicat und Heidelberg Materials zusammengetan. Auf dem Gelände des Schwenk-Zementwerks in Mergelstetten in Süddeutschland entsteht für 120 Mill. Euro eine von Thyssenkrupp Polysius konzipierte Pure-Oxyfuel-Anlage, die nach letzten Angaben im ersten Quartal 2025 in Betrieb gehen soll. Das abgeschiedene CO2 soll für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe, beispielsweise Kerosin für den Flugverkehr, genutzt werden.

Eine neue Technologie testet das EU-finanzierte Forschungskonsortium Leilac (emissionsarmer Kalk und Zement), das der australische Umwelttechnikkonzern Calix anführt, im Werk Ennigerloh im Münsterland. Dort bauen die Partner eine Demonstrationsanlage für eine besonders effiziente Abscheidung, die 2026 in Betrieb gehen soll. Mit dem Leilac-Verfahren wird das aus den Zement-Rohmaterialien freigesetzte CO2 in hochreiner Form über einen separaten Abgasstrom aufgefangen. Da hierfür nur wenig Zusatzenergie und keine Chemikalien notwendig sind, gilt die Technologie als sehr kostengünstig.

Großprojekt am US-Standort Mitchell

Das Projekt mit dem größten Reduktionseffekt ist Mitchell mit einer geplanten CO2-Einsparung von 2 Mill. Tonnen im Jahr. Das US-Energieministerium unterstützt das Vorhaben mit bis zu 500 Mill. Dollar. Auf mehr als 1 Mill. Tonnen CO2-Verringerung zielt das Projekt im kanadischen Edmonton, das Ende 2026 als zweites Großvorhaben nach Brevik startklar sein soll und von der kanadischen Regierung gefördert wird.

In Slite auf der Insel Gotland ist eine Anlage mit 1,8 Mill Tonnen Spareffekt mittels Amine-Verfahren ab 2030 geplant. Das Volumen entspricht 3% der Gesamtemissionen Schwedens. Mit rund 190 Mill. Euro fördert der EU-Innovationsfonds die in Bulgarien geplante Carbon-Capture-Anlage (Einspareffekt 800.000 Tonnen im Jahr). Das abgeschiedene CO2 soll über ein Pipelinesystem in Lagerstätten im Schwarzen Meer verpresst werden.