Die Klima-Renaissance des deutschen Aktienmarktes
Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (288)
Die Klima-Renaissance des deutschen Aktienmarktes
Deutschland steht vor gewaltigen Aufgaben. Den beschrittenen Weg Richtung Klimawende konsequent zu Ende zu gehen erfordert langfristiges Denken, entschlossenes Handeln und vor allem: viel Kapital. Dieses Kapital wird nicht allein aus staatlicher Hand kommen können. Dafür sind die Investitionsbedarfe schlichtweg zu hoch – im Idealfall aber auch zu attraktiv, um sie allein dem Staat zu überlassen.
Aktuell tut sich hier ein Fenster auf, das es in ähnlicher Weise seit Dekaden nicht gegeben hat. Deutschland in eine CO2-neutrale Zukunft zu führen, Schlüsselindustrien entsprechend umzubauen, gleichzeitig die Digitalisierung voranzutreiben und die teils marode oder schlichtweg heute noch fehlende Infrastruktur dafür bereitzustellen – das ist eine Mammutaufgabe, die den Schulterschluss von staatlichen Investitionen und viel privatem Kapital erfordert. Allein für den Green Deal werden in Deutschland bis 2045 gigantische Investitionen benötigt. Die Schätzungen der Ökonomen hierzu variieren naturgemäß, doch die Summen zwischen 3 und 6 Bill. Euro reichen aus, die Dimension der Aufgabe vor Augen zu führen.
All das klingt nach einer großen Herausforderung – und das ist es auch. Genauso groß sind aber auch die Chancen, die daraus erwachsen: für Deutschland, in eine zumindest wohlstandsbewahrende Zukunft zu steuern, und für Investoren, die sich planbare Rendite auf langfristig zur Verfügung gestelltes Kapital wünschen. Art und Umfang der notwendigen Investitionen, insbesondere aber auch die Cashflow-Profile erfordern einen hohen Anteil an Eigenkapital. Der Aufbau von Wasserstoff-Infrastruktur, neue Stromtrassen, der immens hohe Bedarf an erneuerbaren Energien aus Wind und Solar, all das sind Themen mit hohen Anfangsinvestitionen und längeren Pay-off-Zyklen. Die kurzfristige Kontokorrentlinie wird hier wenig ausrichten, wohl aber ein solider Mix aus Eigenkapital und langfristiger Projektfinanzierung.
Die gesamte Marktkapitalisierung des deutschen Aktienmarktes liegt aktuell bei rund 1,5 Bill. Euro. Mit den oben skizzierten Themen und Kapitalbedarfen könnte bis zur Klimaneutralität noch einmal das gleiche Volumen in Form neuer, innovativer und zukunftssicherer Unternehmen hinzukommen. Stehen wir also vor einer Renaissance des Aktienmarktes in Deutschland?
Viel wird davon abhängen, ob es uns gelingt, Sinn und Zweck dieses Unterfangens in den Köpfen aller potenziellen neuen Aktionäre zu verankern. Im privaten Bereich hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Die vollständige Entkopplung der staatlichen Rentensysteme von wertmehrendem Produktivkapital ist ein Luxus, den wir uns schon viel zu lange leisten.
Hier muss ein Umdenken stattfinden, und die vom Bundesfinanzminister auf den Weg gebrachte Aktienrente ist immerhin ein Anfang. Der Name ist dabei unerheblich. Ob Aktienrente oder Generationenkapital, ob schwedisches Modell oder norwegisches – wichtig ist zunächst der gemeinsame Wille von Politik und Tarifparteien zur Veränderung. Vielleicht braucht es in der Anfangsphase etwas mehr staatliche Beteiligung, um das Vertrauen in der Breite der Bevölkerung zu gewinnen. Für ein gutes Produkt ist das nicht notwendig, doch gilt es immer noch die stark unterentwickelte Aktienkultur im Land zu fördern. Mit dem Sozialpartnermodell hat sich in der betrieblichen Altersversorgung bereits viel getan. Bei Anlagehorizonten über viele Jahrzehnte braucht es keine Beitragsgarantien, die zwangsläufig die Rendite deutlich schmälern. Kapital sucht sich rentable Anlagemöglichkeiten, und in Deutschland wird es in den kommenden Jahrzehnten mehr als genug davon geben. Wir sollten uns nur trauen.