Ein weiter Weg für Elektro-Lkw
Ein weiter Weg für Elektro-Lkw
Daimler Truck und MAN präsentieren fast gleichzeitig erste batterieelektrische Schwerlaster. Bisher spielt die Alternative zum Diesel kaum eine Rolle auf den Straßen.
Von Joachim Herr, München
Das Rollen der Reifen auf dem Asphalt, ab und zu ein Platschen in Wasserpfützen: Mehr ist von dem Laster nicht zu hören. Kein Nageln eines Dieselmotors, keine Vibrationsgeräusche. An der Teststrecke von MAN in Karlsfeld am nördlichen Rand von München riecht es nur nach dem Regen, der vor ein paar Minuten aufgehört hat. Diesel braucht der E-TGX nicht. Es ist der erste schwere Elektro-Lkw des Münchner Unternehmens, das seit 108 Jahren Nutzfahrzeuge baut.
„The Future starts now“ und „100% electric“ prangt in großen Buchstaben – das „now“ extra hervorgehoben – auf der Plane des langen Aufliegers mit drei Achsen, den die Zugmaschine im Schlepptau hat. Friedrich Baumann, Vertriebsvorstand von MAN, formuliert es noch aktueller: „Das Zeitalter der Elektrifizierung ist schon längst hier.“
Baumann sagt das auf einer kleinen Bühne in einem der großen, weißen, kuppelförmigen Zelte neben der Teststrecke. Er weist darauf hin, dass von dem batterieelektrischen Transporter MAN TGE mittlerweile 2.500 Stück unterwegs seien. „Und vor kurzem haben wir den tausendsten Lion‘s City E einem spanischen Kunden überreicht.“ Den elektrischen Stadtbus bietet MAN seit 2020 an, den kleineren Lkw E-TGM seit vier Jahren.
Serienstart im nächsten Jahr
Jetzt runden der E-TGX und der etwas kleinere E-TGS die Elektro-Produktpalette für den Schwerlast- und Fernverkehr nach oben ab. Die Serienfertigung der schweren Reihe soll im nächsten Jahr im Münchner Werk beginnen – auf derselben Produktionslinie wie die Diesel-Lkw. Die ersten 200 Exemplare erhalten ausgewählte Kunden, im Jahr darauf sollen Produktion und Bestellungen hochlaufen.
Nur wenige Tage zuvor hatte der Konkurrent Daimler Truck die Serienversion seines ersten batterieelektrischen Fernverkehrs-Lkw in der Nähe von Hamburg präsentiert: den E-Actros 600 der Marke Mercedes-Benz. Der Verkauf soll noch in diesem Jahr beginnen, der Start der Serienproduktion ist für Ende des nächsten Jahres vorgesehen. Der schwedische Konkurrent Volvo produziert eine schwere Baureihe schon seit September 2022 in Serie.
Volvo gibt die Reichweite des FH Electric mit 300 Kilometern an. Für den E-Actros 600 verspricht Daimler Truck 500 Kilometer ohne Zwischenladen, am Tag seien so mehr als 1.000 Kilometer zu schaffen. MAN nennt für den E-TGX und den kleineren E-TGS maximal 600 bis 800 Kilometer am Tag – allerdings mit einmal Zwischenladen. Die Resonanz auf das bisherige Angebot an Elektrolastern ist überschaubar. Christian Levin, der Vorstandsvorsitzende von Traton, klagt über den Auftragseingang: „Der ist weit davon entfernt, zufriedenstellend zu sein.“
Kräftiger Anstieg erwartet
Die Münchener VW-Nutzfahrzeugholding Traton, zu der die Marken MAN und Scania gehören, verkaufte in den ersten neun Monaten dieses Jahres gerade einmal 1.190 voll elektrifizierte Lkw und Busse und erhielt Bestellungen für 1.703 Fahrzeuge.
Levin rechnet jedoch mit einem kräftigen Anstieg in den nächsten zwei Jahren auf einen Anteil von 10% am Absatz. MAN-Vertriebschef Baumann ist zuversichtlich, dass im Jahr 2030 jeder zweite von dem Unternehmen produzierte Lkw einen Batterieantrieb hat. Seinen Optimismus begründet er so: „Die Hochlaufkurve startet langsam, wird später aber exponentiell verlaufen.“ Der erste E-Schwerlaster von MAN komme jedenfalls gut im Markt an. Baumann wäre kein guter Vertriebsvorstand, würde er anderes sagen.
Drei Hindernisse
Mit dem Angebot überzeugender Produkte ist es freilich nicht getan. Aus Sicht von Traton-Chef Levin stehen die Kunden vor drei Hindernissen: Erstens sind die Elektro-Lkw zwei- bis dreimal teurer als die Dieselvarianten. Zweitens fehlt es wie im Fall der Pkw noch an einem flächendeckenden Netz mit Ladesäulen. Der dritte Punkt sind die seit einiger Zeit sehr volatilen Strompreise: „Die Kunden fordern aber Stabilität“, betont Levin.
Nach der Kalkulation von Daimler Truck könnte der E-Actros 600 etwa in Deutschland und Frankreich innerhalb der durchschnittlichen Nutzungsdauer von fünf Jahren oder nach etwa 600.000 Kilometern im Fernverkehr für den Käufer profitabler sein als ein Lkw mit Dieselmotor – trotz des klar höheren Anschaffungspreises. Entscheidend für die Kunden sind die sogenannten Total Costs of Ownership (TCO), die außer dem Kaufpreis sämtliche Betriebskosten enthalten. Dazu gehören Mautgebühren. Für sie wird in Deutschland vom 1. Dezember an ein CO2-Aufschlag fällig. Damit gewinnen die Elektrofahrzeuge einen Vorteil.
Die Frage nach einer Garantie
Das ist ganz im Sinn von Martin Daum, dem Vorstandschef von Daimler Truck, um die E-Mobilität zu fördern. Schon vor zwei Jahren sagte er im Interview der Börsen-Zeitung: „Der Gesetzgeber kann im Güter- und vor allem im Fernverkehr relativ schnell die Richtung vorgeben.“
Angesprochen auf das Thema Laden der Batterie gibt MAN-Vertriebsvorstand Baumann zu, dass er noch einige Bauchschmerzen habe. Viele Kunden signalisierten zwar Interesse an einem Elektro-Lkw, stellten aber die Frage: „Wer kann mir garantieren, dass ich laden kann?“ Die Hersteller betonen allerdings, dass Schwerlaster nicht nur sehr weite Strecken an einem Tag zurücklegen. Baumann appelliert an die Kunden, zum Beispiel Speditionen, ihre Streckenplanung zu verbessern und auf diese Weise lange Distanzen sinnvoll zu unterbrechen.
Nicht nur Langstrecken
Daimler Truck weist darauf hin, dass etwa 60% der Langstreckenfahrten der Kunden von Mercedes-Benz in Europa kürzer als 500 Kilometer seien. Das Laden auf dem Betriebshof sowie dort, wo der Lkw be- und entladen wird, reiche dafür aus.
Dennoch zeigt die Statistik, dass das Bussegment auch wegen des Ladethemas schon weiter ist (siehe Grafik). Die Batterien der Stadtbusse lassen sich über Nacht in den Depots der Betriebsgesellschaften mit neuer Energie füllen. In der EU erhöhte sich die Zahl der Neuzulassungen der E-Busse in den ersten neun Monaten 2023 um fast ein Drittel auf gut 3.400 Stück. Damit stieg ihr Marktanteil nach Angaben des Herstellerverbands Acea innerhalb von zwölf Monaten von 13 auf immerhin 14,4%. Dabei hilft, dass immer mehr Städte Vorbild in Sachen umweltfreundlicher Transport sein wollen.