Im InterviewFrancesco Sciortino, Proxima Fusion

„Energiequellen wie Wind und Sonne reichen nicht aus“

Das Münchener Start-up Proxima Fusion will den Menschheitstraum einer sauberen und nahezu unerschöpflichen Energiequelle mittels Kernfusion wahr werden lassen. CEO und Mitgründer Francesco Sciortino sieht in der Technologie eine Chance für Deutschland. Es brauche hierzulande aber weniger Polarisierung in Energiefragen.

„Energiequellen wie Wind und Sonne reichen nicht aus“

Im Interview: Francesco Sciortino

„Energiequellen wie Wind und Sonne reichen nicht aus“

CEO von Proxima Fusion setzt auf Durchbruch von Kernfusion – Erster Reaktor-Prototyp bis 2031 geplant – Ruf nach weniger Polarisierung in Energiefragen

Das Münchener Start-up Proxima Fusion will den Menschheitstraum einer sauberen und nahezu unerschöpflichen Energiequelle mittels Kernfusion wahr werden lassen. CEO Francesco Sciortino sieht in der Technologie eine Chance für Deutschland. Es brauche hierzulande aber weniger Polarisierung in Energiefragen.

Herr Sciortino, mit Ihrem Start-up Proxima Fusion beteiligen Sie sich an der Jagd nach dem heiligen Gral: einer nahezu unerschöpflichen, sicheren und kohlenstofffreien Energiequelle durch Kernfusion. Wie würden Sie den Status quo Ihrer Arbeit beschreiben?

Wir sind jetzt seit etwa einem Jahr und vier Monaten aktiv. Proxima Fusion ist die erste Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, dem führenden Institut in Deutschland für die Erforschung von Tokamaks und Stellaratoren, den beiden wichtigsten Fusionsreaktortypen. Wir glauben, dass ein als „QI-Stellarator“ bezeichneter Stellarator-Typ der beste Kompromiss zwischen allen bisherigen Ansätzen in der Fusionsforschung ist. Unser Team besteht derzeit aus etwa 45 Mitarbeitenden. Wir konzentrieren uns auf zwei Aufgaben: Wir arbeiten am technischen Design des Stellarators und an supraleitenden Magneten, die eine entscheidende Hardwarekomponente für unsere Stellaratoren sind.

Was ist Ihr oberstes Ziel?

Wir wollen Stellaratoren kommerzialisieren. Wir verstehen uns nicht – wie viele andere Fusionsunternehmen – als Anbieter eines bestimmten Bauteils oder Zwischenprodukts. Die Magnete, die wir entwickeln, lassen sich zwar auf vielfältige Weise einsetzen, wofür wir auch Patente anmelden wollen. Letztlich liegt unser Fokus aber reinweg auf der Entwicklung von Stellarator-Kraftwerken und damit auf dem Verkauf von Strom. Wir wollen unseren ersten Stellarator-Prototyp bis 2031 bauen.

Wie viel Geld haben Sie bislang eingesammelt?

Wir haben rund 30 Mill. Euro an privatem Wachstumskapital, 10 Mill. Euro an öffentlichen Zuschüssen aus Deutschland und 17,5 Mill. Euro an Mischfinanzierung vom Europäischen Innovationsrat erhalten. In Kürze werden wir den Erhalt von weiteren öffentlichen Fördermitteln bekanntgeben.

Was ist Kernfusion?

Bei der Kernfusion handelt es sich um einen physikalischen Prozess, durch den in der Sonne und in anderen Sternen Energie freigesetzt wird. Wissenschaftler arbeiten seit Jahrzehnten daran, diesen Prozess, bei dem Wasserstoffkerne unter extremen Bedingungen zu Heliumkernen verschmelzen, auf der Erde nachzuahmen. Die Technologie verspricht eine nahezu unerschöpfliche und CO2-neutrale Energiequelle, ist aber bislang noch nicht über das Forschungsstadium hinausgekommen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will nun bis 2028 über eine Milliarde Euro für die Fusionsforschung bereitstellen.

Fusionsenergie gilt ja als Hochrisiko-Investment. Wie schwierig ist die Mittelbeschaffung für ein Unternehmen wie Proxima Fusion?

Es gibt immer mehr Risikokapitalgeber, die für diese Art von Deep-Tech-Investitionen offen sind. In Europa ist das Ökosystem in den letzten zehn Jahren gewachsen. Eine Frühphasenfinanzierung zu bekommen, ist an sich auch nicht besonders schwierig, würde ich sagen. Die beste Frühphasenfinanzierung zu bekommen, ist jedoch immer eine Frage des Wettbewerbs. Mit dem Gründungszentrum Unternehmertum in München und dem in London ansässigen Risikokapitalfonds Plural hatten wir einen außerordentlichen Start. Daneben haben wir unter anderem Investitionen vom High-Tech Gründerfonds, dem DeepTech & Climate Fonds der deutschen Bundesregierung, Bayern Kapital und Redalpine aus der Schweiz erhalten.

Was ist derzeit der größte Kostenfaktor von Proxima?

Der größte Kostenfaktor ergibt sich derzeit aus der Zusammenstellung eines hochqualifizierten Teams – es sind also die Gehälter. In Zukunft wird aber auch das Magnetprogramm eine beträchtliche Investition im Hardware-Bereich erfordern. Allein für den Start brauchen wir einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag.

Wann soll der Bau des Stellarator-Prototyps beginnen?

Auf dem Plan steht 2027. Wir haben bereits bewiesen, dass das Design einer Anlage auf Grundlage des QI-Stellarator-Ansatzes möglich ist. Das nächste große Risiko ist die Demonstration des Magneten. Wenn wir diesen bis 2027 präsentieren, wird er uns viele Türen öffnen – das wird dann auch mit einer neuen Finanzierung einhergehen, die dann für den Bau des Kraftwerks verwendet wird.

Wo soll der Prototyp gebaut werden?

Wir bevorzugen München. Nicht nur wegen der Partnerschaft mit dem Max-Planck-Institut, sondern auch weil die Story dorthin gehört. Stellaratoren sind ein unglaublicher Vorteil von Deutschland. Deshalb sind wir hier. Aber damit das möglich wird, müssen noch einige Voraussetzungen geschaffen werden.

Stellaratoren sind ein unglaublicher Vorteil von Deutschland. Deshalb sind wir hier.

Francesco Sciortino, Proxima Fusion

Welche Voraussetzungen?

Wir brauchen öffentliche Unterstützung. Dies ist kein Projekt, das von ein paar schlauen Ingenieuren allein durchgeführt werden kann. Wir brauchen Unterstützung durch die bayerische Regierung und wir brauchen ein Statement von der Bundesregierung, dass Fusionsenergie in Deutschland willkommen ist. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, hat viel getan, um zu signalisieren, dass Deutschland die Fusionsenergie im eigenen Land zum Florieren bringen will. Wir hatten also bisher einen großartigen Start und sind sehr dankbar für die Zuschüsse, die wir erhalten haben. Aber wir brauchen auch noch den passenden regulatorischen Rahmen.

Was muss sich in der Regulierung ändern?

Mit unserem ersten Prototyp wollen wir die Erzeugung von Energie in einer Anlage demonstrieren, die für den Dauerbetrieb geeignet ist. Eine solche Anlage sollte ähnlich reguliert werden wie Teilchenbeschleuniger für die Krebstherapie in Krankenhäusern, was heißt, dass das deutsche Strahlenschutzgesetz die passenden Sicherheitsstandards setzen würde. Viele andere Länder haben bereits entsprechende Vorschriften erlassen, darunter die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Japan.

Wer stellt sich dem entgegen?

Soweit ich das beurteilen kann niemand. Wir haben es hier nur mit einer Art Trägheit im Ökosystem zu tun. Es besteht eine gewisse Sorge, dass Fusionsenergie von unseren Grünstrom-Zielen ablenken könnte. Denen, die die Bedeutung anderer sauberer Energielösungen, einschließlich Solar- und Windenergie, betonen, widersprechen wir nicht. Solche Technologien können schon heute eingesetzt werden, und niemand bestreitet das. Aber wenn man bis 2050 netto null erreichen will, muss man auch über die nächsten Schritte nachdenken, denn Energiequellen wie Wind und Sonne, die Strom nur mit Unterbrechungen erzeugen, reichen nicht aus, um die Menschheit von fossilen Brennstoffen wegzubringen. Wir hoffen, dass die öffentlichen Behörden beide Überlegungen parallel unterstützen.

Liegt die Trägheit nicht vielleicht auch daran, dass Fusionsenergie seit den sechziger Jahren nie aus dem Forschungsstadium herausgekommen ist?

Wir sprechen auch seit 1969 davon, zum Mars zu fliegen. Nur weil wir einen Traum lange Zeit verfolgen, bedeutet es ja nicht, dass dieser Traum an Qualität oder Attraktivität verliert. Fusionsenergie wird schon seit langem verfolgt, weil sie es wert ist. Aus technischer Sicht hat das Jahr 2022 eine Reihe von Veränderungen im Bereich der Stellaratoren gebracht. Eine davon war der Abschluss des Baus von W7-X in Greifswald, dem weltweit fortschrittlichsten Stellarator, der alle Design-Ziele erfüllt hat. Dies war ein Beweis dafür, dass wir heute in der Lage sind, ein jahrzehntelanges wissenschaftliches Vorhaben in ein kommerzielles Projekt zu überführen.

In welchem Maßstab soll Fusionsenergie in Zukunft überhaupt genutzt werden? Ließe sich der Verbrauch dezentral gestalten?

Wir denken, dass es in Zukunft in jeder größeren Stadt einen Stellarator geben wird. Wenn man bis 2050 relevant sein will, muss man in Terawatt denken. Ein Terawatt sind 1.000 Gigawatt. Damit muss man über den Bau von mehreren Tausend Fusionskraftwerken nachdenken, die dann jeweils ein Gigawatt produzieren können. Wir haben heute bereits Kraftwerke im Gigawattbereich, die basieren aber meist auf fossilen Brennstoffen. Es ist eine Zentralisierung, die sehr wahrscheinlich nicht verschwinden wird, weil unser Netz dafür ausgelegt ist. Und Energieerzeugung und Energieverteilung sind beides sehr schwierige Herausforderungen. Fusionsenergie zielt nicht darauf ab, die Art, wie wir Energie verteilen, zu ändern.

Frau Stark-Watzinger hat den Wunsch geäußert, dass Deutschland eines der ersten Länder weltweit sein soll, das ein Fusionskraftwerk hat. Glauben Sie, dass das möglich ist, wenn man bedenkt, dass viel mehr Wagniskapital in die US-Fusionsszene fließt?

Ja, das ist möglich. Es gibt keinen Grund, warum wir nicht in der Lage sein sollten, dies in Europa zu finanzieren, denn wir haben auch hier eine Menge Geld, das investiert werden könnte. Wenn es uns gelingt, bestimmte Kapitalpools freizusetzen und Investitionen aus anderen Teilen der Welt, wie den USA oder dem Nahen Osten, anzuziehen, können wir erstaunliche Dinge schaffen, denn unser Forschungsökosystem ist fantastisch. Deutschland hat viel in die öffentliche Forschung investiert. Aber die Überführung in die Wirtschaft ist bisher sehr dürftig ausgefallen. Wir müssen alle daran erinnern, dass Europa ein Markt ist und nicht nur ein Verbraucher. Und die Fusionsenergie ist eine Chance für Deutschland zu sagen: Wir haben einen technologischen Vorsprung, den wir über viele Jahre aufgebaut haben.

Inwieweit müssen wir die Konkurrenz aus China auf dem Gebiet der Fusionsenergie fürchten?

Auf dem Gebiet der Stellaratoren liegt China derzeit mindestens fünf Jahre zurück. Im Bereich der Tokamaks holt das Land auf. In den letzten Jahren waren sowohl die USA als auch das europäische Ökosystem gegenüber China sehr großzügig, was die Ausbildung von Menschen angeht, um das Thema saubere Energien und öffentliche Forschung voranzutreiben. Aber jetzt, wo wir uns der Kommerzialisierung nähern, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir technologische Vorsprünge schützen müssen. Denn China macht sehr schnell Fortschritte. Das Land baut gerade einen Tokamak unter eher intransparenten Bedingungen, weswegen wir keine Details kennen. Aber es ist durchaus möglich, dass sie den gleichen Zeitrahmen haben werden wie die meisten US-Tokamak-Start-ups, die eine Finanzierung erhalten haben.

Wenn Sie einen Wunsch an europäische Risikokapitalgeber äußern könnten, wie würde dieser lauten?

Ehrgeiz. Sie müssen genauso ehrgeizig sein wie wir. Wenn sie sagen, dass wir nicht mittelmäßig sein dürfen, müssen wir das Gleiche von ihnen verlangen. Außerdem müssen wir als ein Kontinent denken. Die Idee, dass Frankreich französische Unternehmen, Deutschland deutsche Unternehmen und Italien italienische Start-ups unterstützt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein Unternehmen wie Proxima zum Beispiel muss gesamteuropäisch aufgestellt sein. Talente müssen auf dem gesamten Kontinent genutzt werden, und die Regierungen müssen zusammenarbeiten.

Was muss sich in Deutschland noch ändern – abgesehen von der Notwendigkeit einer noch engeren Zusammenarbeit mit anderen Ländern?

Ich denke, wir brauchen bei einigen Energiefragen weniger Polarisierung. Vieles, das woanders als gesunder Menschenverstand gilt, wird hier schnell zum Politikum. Zum Beispiel die Debatte über Grundlast-Kraftwerke, also Energiequellen, die ohne Unterbrechungen laufen. Dass wir etwas brauchen, das Fotovoltaik und Windkraft ergänzt, wird in den meisten Teilen der Welt als gesunder Menschenverstand erachtet. Wenn man in Deutschland sagt, dass wir mehr als Fotovoltaik brauchen, wird einem unterstellt, man sei gegen Fotovoltaik – was von unserer Seite aus nicht der Fall ist. Dazu braucht Deutschland noch mehr Offenheit für das Unternehmertum. Es gibt viele Dinge, die für Gründer noch unheimlich kompliziert laufen, und wir müssen generell offener dafür werden, im Arbeitsalltag auf Englisch zu kommunizieren.

Das Interview führte Karolin Rothbart.

Blick auf den Forschungsreaktor „Wendelstein 7-X“ (W7-X) im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ „Stellarator“ befindet sich in Greifswald. Die Arbeiten von Proxima Fusion bauen auf der Experimentieranlage auf.
Bildquelle: picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Mehr zum Thema:

Proxima Fusion erweitert Seed-Runde

Im Blickfeld: Die sieben Probleme der Energiewende

IEA-Chef kritisiert deutschen Atomausstieg


Neu: ESG PRO
Jetzt weiterlesen mit ESG PRO
Alle Artikel zu ESG-Themen in der Börsen-Zeitung
1 Monat für nur 1 € testen
Danach im günstigen Einführungsangebot:
6 Monate für nur 34,90 €