Im BlickfeldRichtlinie gegen Umweltkriminalität

EU knöpft sich Umweltstraftäter vor

Die EU geht mit einer neuen Richtlinie mit härteren Sanktionen und einer erweiterten Liste von Straftaten gegen Umweltkriminalität vor.

EU knöpft sich Umweltstraftäter vor

EU knöpft sich Umweltstraftäter vor

Brüssel will mit einer neuen Richtlinie Umweltkriminalität eindämmen. Ein Kampf gegen ein lukratives Betätigungsfeld des organisierten Verbrechens.

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

EU-Parlament und Europäischer Rat haben jüngst eine Richtlinie zur Bekämpfung von Umweltkriminalität auf den Weg gebracht. Mit dem Rechtsakt sollen Ermittlung und Strafverfolgung von Umweltstraftaten verbessert werden. Die Richtlinie ersetzt einen Rechtsakt aus dem Jahr 2008.

Die EU-Regulierer stufen Umweltkriminalität weltweit als vierthäufigste kriminelle Aktivität ein. Sie gilt neben Drogen-, Waffen- und Menschenhandel als eine der Haupteinnahmequellen des organisierten Verbrechens. Laut der EU-Agentur Eurojust wird über Umweltkriminalität weltweit jährlich ein Gewinn von bis zu 258 Mrd. Dollar erzielt − mit Wachstumsraten von 5 bis 7%.

Illegaler Holzhandel stark verbreitet

Die größten Gewinne werden laut der Natur- und Umweltschutzorganisation WWF im Geschäft mit illegaler Abholzung und Holzhandel eingefahren, gefolgt von illegaler Fischerei, Wilderei und dem unerlaubten Handel mit Müll. Nennenswerte Summen kommen laut WWF auch im illegalen Bergbau und dem rechtswidrigen Ölabbau und -handel zusammen.

Brüssel verfolgt das Ziel, einer steigenden Zahl an Umweltdelikten entgegenzuwirken. „Die Environmental Crime Directive sieht eine Verschärfung des Umweltstrafrechts vor. Dabei werden die Zügel deutlich angezogen und signifikant höhere Sanktionen vorgesehen“, erklärt Margarete Weiß, Rechtsanwältin und Associate in der Kanzlei Clifford Chance.

Ringen um Begrifflichkeiten

Die Richtlinie definiert Umweltkriminalität genauer und nimmt neue Straftatbestände auf. Geeinigt hat man sich in Brüssel auch auf eine neue Klausel, wonach Straftaten, die mit einem Ökozid vergleichbar sind, erfasst werden. Der Begriff kommt in den Artikeln der Richtlinie zwar nicht direkt vor, genannt werden aber sogenannte qualifizierte Straftaten. „Darunter eingestuft werden Handlungen, die vorsätzlich begangen werden und zu irreversiblem oder dauerhaft großflächigem und erheblichem Schaden unter anderem eines Ökosystems führen“, erläutert Weiß.

Der Begriff Ökozid werde in den einzelnen Jurisdiktionen bereits unterschiedlich verwendet. „Es könnte sein, dass Länder in der nationalen Umsetzung der Richtlinie den Ökozid als Straftatbestand in ihr Strafrecht einfügen, so wie es in Belgien bereits vorbereitet ist“, ergänzt die Clifford-Anwältin.

Mit Ökozid vergleichbar

Die begriffliche Eingrenzung ist offensichtlich nicht leichtgefallen. „Der Begriff Ökozid wird generell sehr weit definiert“, sagt Julia Baedorff, Partnerin der Kanzlei Clifford Chance. Er bezeichne in der Regel „eine massive Schädigung oder Zerstörung von Ökosystemen mit der Folge schwerer Schäden an der Natur, die weitgehend und/oder langfristig sind“.

Für einen Straftatbestand sei dieser Begriff allein zu unbestimmt, so Baedorff. „Deshalb war im Entstehungsprozess der Richtlinie kritisiert worden, einen so allgemeinen Tatbestand aufzunehmen. Stattdessen hat man sich in langwierigen Verhandlungen darum bemüht, sehr detailliert zu bestimmen, welche Handlungen genau strafbar sein sollen. Wenn diese Handlungen katastrophale Folgen haben, sollen sie mit einem Ökozid vergleichbar sein und schärfere Sanktionen nach sich ziehen, auch wenn der Ökozid selbst kein eigener Tatbestand in der Richtlinie ist.“

Havarie mit verheerenden Folgen

Die ganz großen Fälle von Umweltstraftaten mit der Folge von Naturkatastrophen sind nach den Worten der Juristinnen in Deutschland nicht bekannt. Auf europäischer Ebene gelte der Untergang des Öltankers „Prestige“ im November 2002 im Atlantik vor Spanien als eine der größten Naturkatastrophen. Dabei flossen zehntausende Tonnen Öl ins Meer.

Richterspruch in Spanien

Das Oberste Gericht Spaniens hat den Kapitän des Tankers 2016 wegen Umweltstraftaten zu zwei Jahren Haft verurteilt. Nach Medienberichten entschieden die Richter zudem, dass die Reederei des Tankers, deren Versicherungsgesellschaft sowie ein internationaler Fonds für die Begleichung von Erdölschäden finanziell für die Folgen der Katastrophe aufkommen müssten. Die Staatsanwaltschaft hatte die Schadenssumme auf 4,3 Mrd. Euro beziffert.

Mit der neuen EU-Richtlinie werden nicht nur härtere Strafen eingeführt, sondern der Katalog an Straftaten wird erweitert − unter anderem um illegalen Holzhandel und schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsvorschriften von Chemikalien. „Die Richtlinie sieht bei juristischen Personen für schwere Straftaten finanzielle Sanktionen von im Höchstmaß mindestens 5% des weltweiten Gesamtumsatzes vor oder alternativ 40 Mill. Euro – im Falle von Straftaten, die mit einem Ökozid vergleichbar sind, müssen noch höhere finanzielle Sanktionen möglich sein“, so Weiß.

Beseitigung der Schäden erhofft

Für alle anderen Straftaten soll die höchstmögliche finanzielle Sanktion mindestens 3% des weltweiten Gesamtumsatzes oder alternativ 24 Mill. Euro betragen. Die EU-Länder können darüber hinausgehen. „In der Umsetzung müssen sich die Mitgliedstaaten entweder für umsatzbasierte Sanktionen oder für Höchstbeträge entscheiden“, sagt Weiß. Die Staaten sollen zudem dafür Sorge tragen, dass der Verursacher die Umweltschäden beseitigt. „Ein Risiko bleibt, dass der Verursacher damit überfordert ist und Privatinsolvenz anmeldet, so dass zum Beispiel die Kommune auf den Schäden sitzenbleibt“, warnt Weiß. Für Baedorff ist es fraglich, ob schwere umfangreiche Umweltschädigungen überhaupt wieder vollständig beseitigt werden können. Es könnte daher in der Praxis häufiger um Entschädigungszahlungen gehen.

Öffentliche Finanzierung gekappt

Die EU-Richtlinie sieht auch vor, Umweltstraftäter dauerhaft von öffentlicher Finanzierung auszuschließen sowie ihnen Genehmigungen, Zulassungen und Lizenzen zu entziehen. „Das reicht bis zur Schließung von Unternehmen“, sagt Baedorff. Sie rät allen Unternehmen, ihre Compliance-Systeme und Prozesse zu prüfen und dies zu dokumentieren.

An Aufklärung und Strafverfolgung soll künftig grenzüberschreitend koordiniert gearbeitet werden. In der Richtlinie gibt es Vorschriften über die Zusammenarbeit von Behörden, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. International zählen dazu Eurojust, Europol, die Europäische Staatsanwaltschaft und das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung.

„Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen der Europäischen Staatsanwaltschaft eine originäre Zuständigkeit zukommt“, sagt Baedorff. Die Europäische Staatsanwaltschaft wurde gegründet, um Straftaten zulasten des EU-Haushalts zu verfolgen. In der EU gibt es zum Beispiel spezielle Förderprogramme zur Unterstützung von Umwelt- oder Naturschutzprojekten. Die Europäische Staatsanwaltschaft könnte daher tätig werden, wenn sich Unternehmen EU-Mittel für Umweltprojekte erschleichen und das Geld im Zusammenhang mit Umweltstraftaten missbräuchlich einsetzen.

Aus Sicht der EU ist Environmental Crime in der Vergangenheit nicht konsequent genug geahndet worden. Die Richtlinie sieht deshalb vor, dass mehr Ressourcen für die Verfolgung von Umweltstraftaten geschaffen werden. „Es sollen auch Schulungen in den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten angeboten werden, um die Zuständigen zu befähigen, künftig genauer hinzuschauen“, sagt Weiß.

Umsetzung steht bevor

Die Umsetzung in den Mitgliedstaaten läuft an, die Länder haben dafür zwei Jahre Zeit. „Die nationale Umsetzung findet in Deutschland im Strafgesetzbuch statt, aber auch in Nebengesetzen wie dem Bundesnaturschutzgesetz oder dem Holzsicherungsgesetz, in denen spezifische umweltbezogene Straftaten geregelt sind“, erklärt Baedorff.

Bei der Abstimmung im Rat soll sich Deutschland als einziges Land enthalten haben. Die Richtlinie wurde hierzulande als sehr streng eingestuft. Moniert wurden Überregulierung und ein Verstoß gegen Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte. „Das deutsche Strafrecht geht in einigen Punkten bereits über die EU-Richtlinie zum Umweltstrafrecht hinaus, zum Beispiel in den Höchststrafen für Individuen“, sagt Baedorff. Für schwere Umweltstraftaten seien im deutschen Recht bereits jetzt Höchststrafen von bis zu 15 Jahren vorgesehen; die Richtlinie gibt ein Höchststrafmaß vor, das zehn Jahre oder mehr betragen soll.

Unternehmenssanktionen

Handlungsbedarf besteht im Bereich der möglichen Höhen von Unternehmenssanktionen. In Deutschland gebe es keine Unternehmensstrafbarkeit, es bestehe aber die Möglichkeit, ein Unternehmen zu sanktionieren, wenn eine Leitungsperson aus dem Unternehmen heraus eine Straftat begangen hat, die dem Unternehmen zugutekam. „Dann kann gegen das Unternehmen eine Verbandsgeldbuße verhängt werden. Die in der EU-Richtlinie geforderten Höchstbeträge für die reine Ahndung, also ohne eine Abschöpfung von erzielten Gewinnen, überschreiten die bislang in Deutschland möglichen Verbandsgeldbußen allerdings deutlich“, sagt Baedorff.

In Deutschland können bislang nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz Verbandsgeldbußen verhängt werden, die im Ahndungsteil pro Tat bis zu 10 Mill. Euro reichen. Der Betrag kann überschritten werden, wenn mit der Tat höhere Gewinne erzielt wurden und diese abgeschöpft werden. „Der Ahndungsteil spielt in großen Fällen meist nicht die entscheidende Rolle. Er kann sogar auf null reduziert werden und es wird ausschließlich Gewinn abgeschöpft“, erklärt Weiß.

„In der Ahndung bis zu 10 Mill. Euro pro Tat spielt in Deutschland in der Regel nicht die Musik“, ergänzt Baedorff. Der größere Teil der Verbandsgeldbuße sei meist der Abschöpfungsteil. „Soweit öffentlich bekannt, betrug die höchste in Deutschland je verhängte Verbandsgeldbuße 1 Mrd. Euro, wovon nur 5 Mill. Euro auf den Ahndungsteil entfielen.“ Diesen Bußgeldbescheid hatte die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen VW im Dieselskandal erlassen.

„Für qualifizierte Delikte, also Ökozid-vergleichbare Fälle, müssen der Richtlinie zufolge höhere Unternehmenssanktionen möglich sein als für nichtqualifizierte Delikte. Die Folgen von Umweltstraftaten für Unternehmen werden insbesondere an dieser Stelle also erheblich verschärft. Es wird in vielen Mitgliedstaaten erheblichen Anpassungsbedarf geben, was die Höhen von Unternehmenssanktionen angeht“, resümiert Baedorff.

Neu: ESG PRO
Jetzt weiterlesen mit ESG PRO
Alle Artikel zu ESG-Themen in der Börsen-Zeitung
1 Monat für nur 1 € testen
Danach im günstigen Einführungsangebot:
6 Monate für nur 34,90 €