GastbeitragSustainable Finance

Finanzaufsicht schaut auf Nachhaltigkeit

Die BaFin macht Nachhaltigkeit zum Schwerpunkt in der Finanzaufsicht und plädiert bei der regulatorischen Weiterentwicklung für eine zwar risikoorientierte, aber verhältnismäßige und praxistaugliche Herangehensweise.

Finanzaufsicht schaut auf Nachhaltigkeit

Die neue Sustainable-Finance-Strategie der BaFin

Nachhaltigkeit ist ein Schwerpunkt in der Finanzaufsicht – Risikoorientierte, aber verhältnismäßige und praxistaugliche Herangehensweise

Von Dirk Bliesener*)

Am 5. Juli 2023 hat die deutsche Finanzaufsicht ihre Sustainable-Finance-Strategie veröffentlicht. Im Konzert der nationalen Aufsichtsbehörden und der EZB streicht die BaFin ihr Rollenverständnis als Garantin für ein stabiles und integres Finanzsystem heraus. In Abgrenzung von anderen Akteuren betont die BaFin ihre Rolle bei der Überwachung der Umsetzung der sich dynamisch entwickelnden Regelwerke ohne eigene umwelt-, sozial- oder wirtschaftspolitische Agenda.

Anders als führende Vertreter der für die großen Bankengruppen zuständigen EZB, die im Risikomanagement mit viel Rhetorik für die rasche Erzwingung einer ESG-konformen Transformation eintreten, ist die Strategie der BaFin eine wohltuend nüchterne Bestandsaufnahme der Instrumente und Kompetenzen der Aufsicht und der ihr innewohnenden Begrenzungen. Die BaFin bezeichnet die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Aufsicht über Banken, Finanzdienstleister und Versicherungen als ein Mittelfristziel. Angesichts des in den letzten Jahren stark anwachsenden Dickichts der ESG-Gesetzgebung und der sehr detailreichen technischen Umsetzungsregeln hat die Aufsicht den richtigen Zeitpunkt gewählt, ihren Standort zu bestimmen.

Kein Regelwerk aus einem Guss

Die BaFin plädiert bei der Weiterentwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen für eine zwar risikoorientierte, aber verhältnismäßige und praxistaugliche Herangehensweise. Sie mahnt zudem Rechtssicherheit bei der Auslegung an. Beide Forderungen spiegeln die sich auch in Brüssel verbreitende Erkenntnis wider, dass die Akteure am Finanzmarkt trotz der uns auch in diesem Sommer täglich vor Augen geführten schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels nicht überfordert werden dürfen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die BaFin in der Aufsichtspraxis das Versprechen einlöst, bei der Anwendung der ESG-Vorgaben Proportionalität und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Neben ihrem fachlichen Engagement bei neuen gesetzgeberischen Vorhaben und dem Expertendialog auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene nennt die BaFin drei Schwerpunktbereiche für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten: Offenlegung, Risikomanagement und Anlegerschutz. Die Themen überschneiden sich vielfältig. Wegen der hohen Komplexität der Anforderungen der ESG-Transformation und trotz der Konzentration der Gesetzgebung und Regulierung bei europäischen Institutionen ist es bisher nicht gelungen, ein kohärentes Regelwerk aus einem Guss zu entwickeln.

Neue Offenlegungspflichten

Bei der unternehmensbezogenen Offenlegung sind betroffene Unternehmen und die Aufsicht mit einer Reihe neuer, nicht vollständig aufeinander abgestimmter Pflichten konfrontiert, die die Information der Finanzmarktteilnehmer und nicht zuletzt der Aufsicht über Transitions- und physische ESG-Risiken verbessern werden. Da ist zunächst die nicht finanzielle Berichterstattung, die auch Unternehmen der Realwirtschaft trifft und durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und konkretisierende Berichtsstandards (ESRS) auf neue Füße gestellt wird.

Hinzu kommen weitere Offenlegungspflichten, die über Art und Umfang des Beitrags der Geschäftstätigkeiten zu ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten informieren, jeweils auf der Grundlage einer sehr komplexen Klassifizierung nach den Vorgaben der Taxonomie-Verordnung und der dazu erlassenen delegierten Rechtsakte. Kreditinstitute sollen zusätzlich den Anteil der mit der Taxonomie vereinbaren Risikopositionen an der Gesamtbilanz angeben (sog. Green Asset Ratio). Zudem unterliegen große Institute, die an einem regulierten Markt zugelassene Wertpapiere emittieren, nach der Kapitaladäquanzverordnung (CRR) weitreichenden quantitativen Offenlegungspflichten zu physischen und Transitionsrisiken und müssen Angaben zu Kreditvergabe und Investitionen in ESG-Taxonomie-konforme Unternehmen und Aktivitäten machen und eine weitere Green Asset Ratio und eine Banking Book Taxonomy Alignment Ratio offenlegen.

Die BaFin überwacht die Einhaltung dieser Pflichten. Diese Überwachung schließt auch die Sanktionierung von Verstößen ein. Dafür sollen in den Enforcement-Abteilungen die personellen Kapazitäten ausgebaut werden.

Kernstück Risikomanagement

Der Bereich Risikomanagement ist ein Kernstück der Umsetzung der ESG-Transformation im Finanzsektor. Die BaFin hat zu den Erwartungen der Aufsicht bei der Berücksichtigung von ESG-Faktoren im Rahmen der Messung und Steuerung sowie beim Controlling von Risiken bereits 2019 als eine der ersten Aufsichtsbehörden ein umfassendes Merkblatt vorgelegt.

In ihrer Sustainable-Finance-Strategie bekräftigt die BaFin ihre Auffassung, dass ESG-Risiken Treiber der finanziellen Risiken sind. Sie können verschiedene Auswirkungen haben und sollten daher auch allen relevanten finanziellen Risikokategorien zugeordnet werden, bilden aber keine neue Risikoart an sich.

Trotz der betonten Zurückhaltung der BaFin in Bezug auf den klimapolitischen Imperativ und die Entwicklung von Bewertungskriterien für ESG-Aspekte von Anlagestrategien und Finanzprodukten lässt es sich die deutsche Aufsicht nicht nehmen, der Berücksichtigung von ESG-Auswirkungen bei den Kapitalanforderungen (Säule 1 und Säule 2) eine Absage zu erteilen. Tatsächlich fehlt es noch an einem Konsens über die empirische Evidenz der Auswirkungen von Green Supporting Factors oder Brown Penalising Factors bei der Bemessung von Kapital- und Liquiditätsanforderungen.

Klare Positionierung

Die Einbeziehung von nicht finanziellen Erwägungen in die Solvenzaufsicht birgt erhebliche Risiken im Hinblick auf die Angemessenheit und Solidität der Kapital- und Liquiditätsplanungen. Bisher gibt es nur zaghafte Ansätze, Umweltschutzaspekte bei der Reduzierung von Eigenmittelanforderungen für Kreditrisiken gegenüber Infrastrukturinvestitionen zu berücksichtigen. Gleichwohl hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) den Auftrag, eine Sonderbehandlung von Risikopositionen, die sich aus ESG-konformen Vermögenswerten (green assets) ergeben, zu untersuchen und die potenziellen Auswirkungen unterschiedlicher Eigenkapitalanforderungen bei green und brown assets auf die Finanzstabilität und die Kreditvergabe zu prüfen. Insofern ist die klare Positionierung der BaFin bemerkenswert.

Bei der Messung und Analyse von ESG-Risiken gibt es nach wie vor keine einheitliche Methodologie. Auch die BaFin betont die Vielfalt von Modellen, Sensitivitäts- und Szenarioanalysen sowie Stresstests. Die BaFin will sich „proportional und risikoorientiert“ mit den Transitionsplänen von Banken auseinandersetzen. Eine Umfrage der BaFin ergab, dass insbesondere in kleineren Häusern noch erheblichen Defizite bei Verfahren zur Identifizierung, Bewertung und Steuerung von ESG-Risiken bestehen.

Mehr Transparenz

Der dritte Schwerpunkt liegt beim Schutz der Anleger vor Greenwashing durch mehr Transparenz und die Berücksichtigung von sog. Nachhaltigkeitspräferenzen bei Entwicklung und Vertrieb von Finanzprodukten. Neben den unternehmensbezogenen Berichts- und Offenlegungspflichten dringt die BaFin im Rahmen der Produkt- und Marktaufsicht auf die Einhaltung der produkt- und geschäftsbezogenen ESG-Offenlegungspflichten für Banken und Finanzdienstleister ebenso wie der verschärften Vertriebsregeln im Rahmen des Finanz- und Versicherungsvertriebs. Hier geht es um die Implementierung der Pflichten nach der Offenlegungs-Verordnung (SFDR) sowie der Taxonomie-Verordnung und der umfangreichen technischen Regulierungsstandards.

Angesichts zahlreicher Auslegungsfragen wird die BaFin gut beraten sein, keine deutschen Alleingänge zu unternehmen, sondern im Dialog mit anderen nationalen Aufsichtsbehörden zu bleiben, um eine möglichst einheitliche Anwendung der Regelwerke zu gewährleisten.

Der Hinweis der BaFin, dass sich das Management von ESG-Risiken durch Verbreiterung der verfügbaren Datenbasis nach Einführung der CSRD verändern wird, ist auch ein Fingerzeig darauf, dass die Anforderungen der Aufsicht an die Qualität des Risikomanagements, der Produktentwicklung und der Anlageberatung in den nächsten Jahren weiter steigen werden.

*) Dr. Dirk Bliesener ist Partner von Hengeler Mueller in Frankfurt.

Dr. Dirk Bliesener ist Partner von Hengeler Mueller in Frankfurt.