Im GesprächJörg Eigendorf

„Wir kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu unseren Kunden“

Die Rolle der Banken beim Thema ESG wird oft zu stark betont, sagt Jörg Eigendorf, CSO der Deutschen Bank. Wichtig seien marktwirtschaftliche Komponenten beim Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft.

„Wir kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu unseren Kunden“

„Wir kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu unseren Kunden“

Der oberste Nachhaltigkeitsmanager der Deutschen Bank plädiert für höheren CO2-Preis – „Wir erleben eine historische Transformation“

Er gilt als der einflussreichste Nach­haltigkeitsmanager der deutschen Wirtschaft, doch von solchen Kategorien hält Jörg Eigendorf wenig. Der ESG-Chef der Deutschen Bank will, dass die Institute Nachhaltigkeit gestalten. Gleichzeitig dürfen Banken aber nicht überlastet werden.

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Seit Jahren ist die EU ein Treiber in Sachen Nachhaltigkeit und ESG. Dabei wird besonders die Finanzbranche in die Pflicht genommen. Mit der Wiederwahl von Ursula von der Leyen Mitte Juli zur Präsidentin der EU-Kommission geht es darum, den Europäischen Green Deal weiter umzusetzen und fortzuentwickeln. An der hervorgehobenen Rolle der Banken dürfte sich damit nichts ändern.

Jörg Eigendorf, Chief Sustainability Officer (CSO) der Deutschen Bank, warnt jedoch vor einer Überbewertung seiner Branche. „Wir haben eine besondere Rolle, aber sie ist nicht so groß wie die, die uns gern zugeschrieben wird“, sagt Eigendorf, der nach 2016 als Journalist zur Deutschen Bank gewechselt war. Sechs Jahre war er für Kommunikation und Nachhaltigkeit verantwortlich. Seit 2022 ist er ausschließlich als CSO tätig.

Auf den Preis setzen

Die ESG-Regulierung darf aus Sicht von Eigendorf nicht die einzige Maßnahme sein, um die Klimaziele zu erreichen. „Aus meiner Sicht gibt es ein einfaches Instrument, um Nachhaltigkeit zu fördern, und das ist der Preis. Er ist das wichtigste Signal in einer Wirtschaft.“ Es werde nicht ausreichen, Unternehmen indirekt durch teurere Finanzierungen zu nachhaltigeren Maßnahmen zu bewegen. „Das mag ein Faktor sein, aber die Kreditkosten sind eben nur ein Kostenfaktor von vielen.“ Wenn die Politik hingegen dafür sorgen würde, dass der CO2-Preis verlässlich angehoben wird, hätte das eine enorme und viel direktere Wirkung. „Unternehmen denken in Grenzkosten, und daher ist der CO2-Preis ein bedeutender Hebel.“

Für den ESG-Verantwortlichen ist es wichtig, dass Unternehmen durch einen höheren CO2-Preis einen verlässlichen Anreiz bekommen, weniger Öl und Gas zu verbrauchen und auf erneuerbare Energien umzusteigen. „Ansonsten spiegeln die Energiepreise nicht die wahren Kosten der Umweltzerstörung wider, und es wird viel zu lange dauern, bis sich die Erneuerbaren durchsetzen.“

Von Kunden trennen

Dass Brüssel immer mehr Einfluss auf das Geschäft in der Finanzbranche nimmt, ist unübersehbar. „Wir als Bank haben das Ziel, nachhaltige Entscheidungen zu treffen“, sagt Eigendorf. Er verweist aber auch darauf, dass viele Faktoren in eine Kreditentscheidung einfließen. „Es wird durchaus vorkommen, dass wir keine Kredite mehr an Unternehmen vergeben, die nicht nachhaltig wirtschaften und bei denen der gemeinsame Dialog erfolglos bleibt.“ Ein Ende der Kundenbeziehung könne jedoch immer nur der letzte Ausweg sein. „Wir als Bank kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu unseren Kunden, sondern wir wollen sie bei der Transformation unterstützen.“

Außerdem sei es unrealistisch zu glauben, dass Öl- und Gasunternehmen angesichts immer strengerer ESG-Regulierung keine Finanzierung mehr erhalten würden. „Sie bekommen weiterhin Mittel von Marktteilnehmern – und zwar im Zweifel von Marktteilnehmern, die nicht so streng reguliert sind“, sagt Eigendorf.

Vergleichbar mit der industriellen Revolution

Die Dimension von Nachhaltigkeit ist aus Sicht von Eigendorf enorm groß. „Was wir derzeit erleben, ist eine historische Transformation, vergleichbar mit der industriellen Revolution. Wir müssen uns in sehr kurzer Zeit transformieren, und das wird ohne einen ordnungspolitischen Rahmen nicht gelingen.“ Er stellt nochmals klar: „Banken können ein wichtiger Hebel sein, aber sie werden die Wirtschaft nicht umgestalten. Die Finanzbranche ist nur ein Instrument in diesem komplexen Transformationsprozess.“

Nachhaltigkeit und Transformation bieten aus Sicht von Eigendorf auch Chancen. „Oft wird Nachhaltigkeit mit Kosten und Regulierung verbunden. Dabei geht es eigentlich darum, ein Marktversagen zu beheben und die Chancen zu nutzen, die sich daraus ergeben können.“ Das Thema bewege alle, und man könne nicht mehr riskieren, es zu ignorieren.

Vorsicht bei der Werbung

Vorsichtig sollten Unternehmen mit dem Begriff „klimaneutral“ umgehen – das sei in der Kommunikation ein komplexes Feld und nach aktuellen Vorgaben und Überlegungen auf europäischer Ebene sowie nach der Rechtsprechung in Deutschland nochmals anspruchsvoller geworden. „Es ist äußerst komplex, auf Produktebene nachzuweisen, dass umweltbewusst produziert wurde“, so Eigendorf.

Wenig überzeugt zeigt sich der ESG-Experte von der Taxonomie. Diese sei sehr komplex und schwierig. „Selbstregulierung funktioniert teilweise besser, weil sie meist prinzipienorientiert und einfacher ist. Die Taxonomie ist sehr detailliert und schreibt vieles vor, was zu einem enormen Aufwand führt.“

Im Gespräch: Jörg Eigendorf

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