„Erinnerungen an den Jom-Kippur-Krieg“
IM INTERVIEW: PAUL JACKSON
„Der Konflikt weckt Erinnerungen an den Jom-Kippur-Krieg“
Der Stratege der Fondsgesellschaft über ESG, den Gaza-Krieg und mögliche Szenarien für die Ukraine
Der Invesco-Stratege Paul Jackson geht davon aus, dass Öl und Gas noch viele Jahrzehnte zum Energiemix gehören werden. Ihre Bedeutung dürfte jedoch nachlassen. Eine Ausweitung des Gaza-Kriegs könnte jedoch die Preise nach oben treiben, allerdings wohl nicht im gleichen Maße wie der Jom-Kippur-Krieg 1973.
Herr Jackson, was bedeuten höhere Zinsen für die Energiewende?
Alle Investitionsprojekte werden schwieriger, wenn die Zinsen steigen – entweder weil die Finanzierungskosten steigen, oder weil Entwickler mit viel Bargeld dann viele brauchbare Optionen dafür haben, was sie mit dem Geld anfangen sollen. In dem Maße, in dem die Energiewende zusätzliche Investitionen impliziert, gilt das auch für sie.
Und sonst?
Wenn die höheren Zinsen von einer höheren Inflation begleitet werden, könnte das die künftigen Einnahmenströme erhöhen. Das legt nahe, dass richtig aufgesetzte Investmentprojekte in diesem Bereich nicht unbedingt aufgegeben werden sollten.
Sind Großprojekte wie Offshore-Windparks in einer Welt, in der Geld nicht mehr umsonst zu haben ist, noch möglich?
Wie gesagt, das hängt davon ab, in welchem Maße künftige Stromtarife davon beeinflusst worden sind. Wenn die Finanzierungskosten steigen, der Erlös aber nicht, werden einige Projekte nicht mehr tragfähig sein. Wenn der Anstieg der Zinsen aber lediglich eine höhere Inflation widerspiegelt, wird sich an der Machbarkeit nicht viel ändern, denn die Strompreise sind an die Inflation gekoppelt. Die Auswirkungen steigender Finanzierungskosten müssen auch berücksichtigt werden, wenn es um die Machbarkeit anderer Energieprojekte geht.
Was meinen Sie konkret?
Wenn es einen Bedarf an neuen Energiequellen gibt, weil sich Europa nicht mehr auf Russland verlassen will, spielen die Finanzierungskosten vermutlich auch dann eine Rolle, wenn es um Öl- und Gasfelder, nukleare oder erneuerbare Energiequellen geht.
Fließt überhaupt noch Geld in solche Projekte?
Die jüngste britische Auktion für Offshore-Windparks war enttäuschend. Es gab keine Interessenten. Aber das lag daran, dass die Regierung zu niedrige Stromtarife vorgegeben hat. Die Branche hatte schon vor der Auktion darauf aufmerksam gemacht. Ich gehe davon aus, dass weiterhin Geld in eine Reihe von erneuerbaren Energiequellen fließen wird. Wir können es uns nicht leisten, dass das nicht passiert.
Was halten Sie in diesem Zusammenhang für vielversprechende Investments?
Ich bin kein Experte, was einzelne Projekte angeht. Aber ich würde erwarten, dass Investments über eine ganze Reihe erneuerbarer Technologien hinweg erfolgreich sein werden. Ich denke, dass Meeresenergie wegen der fehlenden Rendite auf Investitionen zu wenig genutzt worden ist, und erwarte, dass sich das in den kommenden Jahrzehnten ändern wird. Langfristig wird die Entwicklung von Solar- und Windkraft auf dem afrikanischen Kontinent entscheidend sein.
Warum?
Nach meiner Rechnung liegen 30% des weltweiten Potenzials für Solarenergie in Afrika. Und ich habe ähnliche Rechnungen für Windenergie gesehen. Das ist zu viel Potenzial, um nicht entwickelt zu werden.
Könnte es angesichts der zu erwartenden Versorgungsprobleme zu einem Comeback der Öl- und Gasindustrie kommen?
Öl und insbesondere Gas werden wohl noch viele Jahrzehnte lang zum Energiemix gehören. Aber ich denke, dass ihr Anteil zurückgehen wird, obwohl vermutlich weiter investiert wird. Am Ende ist es wegen des Klimawandels nötig, dass die Branche schrittweise weniger wichtig wird.
Was bringt mehr: Emissionshandel oder eine CO2-Steuer?
Wenn man bedenkt, dass der Klimawandel vermutlich die größte Externalität ist, mit der wir es zu tun bekommen werden, brauchen wir einen Mechanismus, der sicherstellt, dass diejenigen, die für die Emissionen verantwortlich sind, also wir alle, die Kosten dieser Emissionen in den Preis von Waren und Dienstleistungen einfließen lassen müssen. Das könnte in Form einer CO2-Steuer erfolgen, aber das ist ein stumpfes Instrument.
Warum?
Der Vorteil von CO2-Preisgebungsmodellen ist, dass sie den Markt über den angemessenen Preis für CO2-Emissionen entscheiden lassen und die am wenigsten effizienten Firmen, also die größten Verschmutzer, vom Markt verdrängt werden. Deshalb nehme ich an, dass gut designte Emissionshandelsprogramme aus wirtschaftlicher Perspektive wohl am effizientesten sind.
Was halten Sie vom Handel mit nicht regulierten CO2-Zertifikaten?
Dazu habe ich keine Meinung.
Wird das Thema Klimaschutz durch die krisenhaften Entwicklungen in Nahost und den Ukraine-Krieg in den Hintergrund gedrängt?
Meine Beobachtung ist, dass die Sorge um das Klima mit dem Wirtschaftszyklus zunimmt und nachlässt. In einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld wird sie in den Hintergrund gedrängt. Es wäre also nicht überraschend, wenn das in Zeiten, in denen sich die Welt auf andere Dinge konzentriert, der Fall wäre.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Nach der Invasion der Ukraine gab es mit Sicherheit eine kurze Rückwärtsbewegung, als man in Europa damit kämpfte, die Energielieferungen aus Russland zu ersetzen. Zum Teil wurde Gas durch Kohle und Öl ersetzt. Aber wenn diese geopolitischen Krisen die Preise für fossile Energiequellen nach oben treiben, werden sie die Einführung sauberer Energiequellen beschleunigen. Deren Brauchbarkeit erhöht sich, wenn die Öl- und Gaspreise steigen. Schlimmstenfalls wäre es also ein Schritt zurück und zwei nach vorn.
Wie groß ist die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Gaza-Krieges?
Ich denke, dass es gefährlich ist, auf solche Dinge zu spekulieren. Aber das Risiko besteht.
Was bedeutet das für die Energiepreise in Europa?
Der Konflikt zwischen Hamas und Israel weckt Erinnerungen an den Jom-Kippur-Krieg 1973, der zu einer Verdreifachung des Ölpreises führte. Eine weitere steile Erhöhung gab es Anfang der 1980er Jahre. Wenn man das in heutigen Preisen ausdrückt, lag der Preis von US-Öl kurz vor diesem Krieg bei 28 Dollar. Er stieg dann auf rund 82 Dollar, was nicht weit vom aktuellen Niveau entfernt ist. Der Ausgangspunkt liegt heute also wesentlich höher als damals. Ich kann mir einen derart großen Anstieg deshalb nur schwer vorstellen. Aber nachdem Opec plus bereits das Angebot drosselt, würde ich steigende Preise erwarten, wenn sich der Konflikt ausweitet. Das liegt zum Teil an der Ungewissheit über das Angebot aus dem Nahen Osten. Die Lieferwege könnten unterbrochen werden. Es ist aber auch möglich, dass die Produzenten in der Region Energie erneut als Waffe einsetzen.
Wie sieht Ihr Szenario für ein Ende des Krieges in der Ukraine aus?
Derzeit ist es schwer, sich ein Ende eines Krieges vorzustellen, der zum Erliegen gekommen zu sein scheint. Die Unterstützung in den USA und einigen europäischen Ländern hat offenbar nachgelassen, obwohl das Wahlergebnis in Polen die Unterstützung aus diesem Land stärken könnte. Die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten im November 2024 könnten ein komplizierender Faktor sein.
In welcher Hinsicht?
Sie könnten es schwieriger für Präsident Biden machen, im Kongress Unterstützung für zusätzliche Hilfen für die Ukraine und Israel zu mobilisieren. Ein Sieg von Donald Trump könnte eine rasante Änderung der Haltung der USA mit sich bringen – und vielleicht ein schnelleres Ende des Krieges, allerdings nicht zum Vorteil der Ukraine.
Wem nutzt ein "Forever War" in der Ukraine?
Krieg ist niemals gut. Wir könnten also sagen, dass es keine Gewinner gibt. Aber aus rein wirtschaftlicher Perspektive haben manche immer einen Weg gefunden, daraus Gewinn zu schlagen. Die offensichtlichen Nutznießer eines langen Krieges sind Rüstungsunternehmen und Energielieferanten, die von höheren Energiepreisen als sonst profitieren. Das gilt für Unternehmen ebenso wie energieexportierende Länder.
Und sonst?
Andere Nutznießer könnten die Reedereien sein, denen die Öl- und Gastanker gehören, die für den Energietransport nach Europa benötigt werden. Angesichts der Preismacht der Nahrungsmittelproduzenten könnten sie von einem Anhalten der durch den Krieg bedingten Lebensmittelknappheiten profitieren.
Welche Länder und Branchen würden von einem schnellen Kriegsende in der Ukraine profitieren?
Ein schnelles Ende käme ganz klar der Ukraine zugute, auch Russland und Weißrussland. Es wäre aber auch eine Erleichterung für die europäischen Länder, insbesondere für diejenigen, die der Konfliktzone am nächsten sind. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.
Welche?
Zunächst einmal wurde der Handel mit den kriegführenden Ländern unterbrochen. Das hat zu Einnahmeverlusten geführt. Wie schnell sich der Handel mit Russland normalisieren würde, bleibt abzuwarten. Zweitens haben die Länder, die der Ukraine am nächsten liegen, die größte Last bei der Aufnahme von Flüchtlingen geschultert. Europäische Länder und die USA haben Militärhilfe geleistet. Drittens könnte es, je nachdem wie der Krieg endet, irgendwann zu einer Wiederaufnahme der Energielieferungen aus Russland nach Europa kommen.
So wie vor dem Krieg?
Es ist unwahrscheinlich, dass sie jemals wieder eine so wichtige Rolle spielen werden. Das sollte aber die Energiepreise in Europa senken. Zudem wird in der Ukraine sehr viel wiederaufgebaut werden müssen. Das wird voraussichtlich europäischen und amerikanischen Baufirmen und Baustoffunternehmen zugutekommen, deren Regierungen erwarten, für ihre Unterstützung belohnt zu werden. Diese Branchen werden ohnehin eine verstärkte Nachfrage durch die Anpassung an den Klimawandel und die Abmilderung seiner Auswirkungen haben.
Das Interview führte Andreas Hippin.
Öl und insbesondere Gas werden wohl noch viele Jahrzehnte lang zum Energiemix gehören.
Zur Person: Paul Jackson macht auf den ersten Blick den Eindruck, in Oxford oder Cambridge zu unterrichten. Das liegt nicht nur an seiner Vorliebe für ausgefallene Hemden. Der Stratege des Assetmanagers Invesco wirkt intellektuell, kollegial und bescheiden. Wenn man ihm zuhört, könnte man meinen, es ginge um mehr als Geld. Jackson analysiert und kommentiert als Global Head of Asset Allocation Research gesamtwirtschaftliche Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. Bevor er zu Invesco kam, arbeitete er als Aktienstratege und Head of Research für Société Générale. Unter dem Titel „The Belgian Dentist“ veröffentlichte er regelmäßig Marktkommentare. Bei Morgan Stanley in London nahm die Karriere des Oxford-Absolventen, der zuvor einen Bachelor an der London School of Economics erworben hatte, ihren Ausgang.