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Kann Rendite Sünde sein?

Als Sin Stocks werden Aktien aus Bereichen wie fossile Energien, Rüstung oder Tabak häufig bezeichnet. Meist sind sie das Gegenteil von ESG-konform. Doch nicht selten bieten Sünden-Aktien Renditen, die den breiten Markt um Längen schlagen.

Kann Rendite Sünde sein?

Sin Stocks

Kann Rendite Sünde sein?

Sin Stocks hängen viele andere Branchen ab – Tabak in der Vergangenheit renditeträchtig – Rüstung künftig vielversprechend

Als Sin Stocks, Sündenaktien, werden Aktien aus Bereichen wie fossile Energien, Rüstung oder Tabak häufig bezeichnet. Meist sind sie das Gegenteil von ESG-konform. Viele Finanzprofis blenden diese moralisch fragwürdigen Aktien darum aus. Doch nicht selten bieten Sündenaktien Renditen, die den breiten Markt um Längen schlagen.

Von Tobias Möllers, Frankfurt

Ein großes Thema begleitet die Aktienmärkte schon deutlich länger als der nun auch schon viele Monate andauernde Hype rund um künstliche Intelligenz: ESG. Geldanlagen in Environmental, Social and Corporate Governance, oder, zu Deutsch, investieren in Umwelt, Soziales und (gute) Unternehmensführung. Das Thema ist derart raumgreifend, dass kein Fondsmanager und kein Finanzanalyst mehr daran vorbeikommt, derartige Produkte im Portfolio zu haben. Und doch gibt es sie, die anderen. Unternehmen, die eben nicht ESG-konform sind, die oft etwas Anrüchiges haben, die von vielen Analysten nicht einmal kommentiert werden. Aktien, die eben nicht höchsten moralischen Ansprüchen genügen, die nicht wenigen als unethische Geldanlagen erscheinen. Der Grund dafür, dass auch diese Aktien das Interesse von nicht gerade wenigen Anlegern wecken, ist so naheliegend wie offensichtlich: Auch in diesem Bereich lassen sich häufig sehr ordentliche Renditen verdienen, die nicht selten den breiten Markt schlagen.

Rüstung, Öl und Tabak

Was alles zu diesen sündigen Bereichen zählt, ist Ansichtssache. Bei Pornografie und Glücksspiel dürften sich die meisten Anleger noch einig sein. Bei Tabak und Alkohol gehen die Meinungen schon weiter auseinander. Drogen, keine Frage, doch in westlichen Gesellschaften eben auch ein so legaler wie renditeträchtiger Teil des Alltags. Auch die Aktien von Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Energieträger werden in der Regel zu den Sündenaktien gezählt. Dabei sind diese Konzerne mit ihren oft milliardenschweren Reserven meist auch im Bereich der Erneuerbaren tätig. Dass sie bis zu einem erfolgreichen Vollzug der Energiewende auch noch bitter benötigt werden, dürfte kaum jemand bestreiten. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Atomkonzerne und Unternehmen aus dem Bereich der Urananreicherung gehören für viele Marktteilnehmer dazu. Ein Sektor, der seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs weniger negativ, sondern eher ambivalent gesehen wird, ist Rüstung. Der Bereich Cannabis wurde nach der Legalisierung in Deutschland und Teilen der USA sogar regelrecht gehypt und genoss ein ganz anderes Ansehen als etwa ein Tabakkonzern wie Philip Morris. Dabei ist die Performance der noch jungen Branche bisher durchwachsen. Als Grenzfall gilt der Bereich Biotech und Pharma, der teils kritisch beäugt wird, teils aber auch als unbedenklich eingestuft wird und sogar Teil vieler ESG-Portfolios ist. Was Sünde ist, bleibt letztlich eine sehr individuelle Frage und oft eine persönliche Ansichtssache. Was als moralisch und was als unmoralisch angesehen wird, verändert sich zudem im Laufe der Zeit. Wie das Flossbach von Storch Research Institut in einer Analyse aus dem Jahr 2022 herausgearbeitet hat, galt früher etwa die Chemieindustrie wegen Umweltbelastungen als moralisch fragwürdig. Heute stehen eher Alkohol oder Zucker auf der Sündenliste. Klar ist aber, diese verschmähten Branchen schneiden an der Börse meist deutlich besser ab, als ihr Image ist.

Rheinmetall ganz vorn

Größter Gewinner am amerikanischen Aktienmarkt war im vergangenen Jahr der Chip-Riese Nvidia, der auch in diesem Jahr weiter stark zulegen konnte. Ganz vorn im Dax stand dagegen die Aktie eines Rüstungskonzerns. Rheinmetall-Papiere legten 2023 rund 54% zu, im laufenden Jahr steht sogar ein Plus von über 90% unter dem Strich. Dennoch und auch trotz der wackeligen geopolitischen Lage ist Rüstung kein Selbstläufer. Während die Hensoldt-Aktie seit Jahresbeginn immerhin gute 40% zulegen konnte, notiert das Papier des Börsenneulings Renk auf dem gleichen Niveau wie zu Jahresbeginn.

Gute Geschäfte gemacht

Gute Geschäfte haben dagegen in diesem Jahr Tabakgiganten wie Philip Morris und Altria gemacht. Beide Papiere notieren gut ein Viertel höher als zu Jahresbeginn. Und Tabak war auch schon früher ein gutes Geschäft. Ein Dollar, der im Jahr 1900 in US-Tabakunternehmen investiert wurde, hätte sich über 115 Jahre inklusive Reinvestitionen der Dividenden in ein Vermögen von 6,28 Mill. Dollar verwandelt, so das Ergebnis einer Studie von Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton von der London Business School. Die Tabakindustrie war demnach von 1900 bis 2015 mit einer durchschnittlichen Rendite von 14,6% pro Jahr die Branche mit der besten Wertentwicklung in den USA. In Großbritannien lag laut der Studie dagegen die Alkoholbranche ganz vorn. Brauereien und Brennereien bescherten Investoren aus einem Pfund Sterling im Jahr 1900 bis 2015 einen Wertzuwachs auf gut 243.000 Pfund. Zum Vergleich: Maschinenbaufirmen brachten binnen 115 Jahren nur einen Zuwachs von einem auf 2.280 Pfund. 

Das bestätigt auch eine weitere Studie: Laut Frank Fabozzi, Finanzprofessor an der Universität Yale, warf ein breites Portfolio aus Sin Stocks in den Jahren von 1970 bis 2007 eine jährliche Rendite von rund 19% ab, das ist deutlich mehr als das Doppelte des breiten Marktes, der Anlegern nur 7,9% pro Jahr einbrachte. In 35 der 37 Jahre übertrafen die Sin Stocks der Studie nach den allgemeinen Aktienmarkt. Aus einer Investition von 10.000 Dollar in sündige Aktien hätten Investoren am Ende des Untersuchungszeitraums 6,3 Mill. Dollar an Portfoliowert herausgeholt, gegenüber nur 164.000 Dollar, die Standard-Aktien einbrachten.

Die sündigen Gewinner von gestern werden dabei natürlich nicht automatisch auch zu den Gewinnern von morgen gehören. So ist etwa der MSCI World Tobacco seit 2020 hinter dem MSCI World zurückgeblieben. Zwar punkten Tabak-Aktien – ähnlich wie Öl- und Gasunternehmen – häufig noch mit einem niedrigen KGV, die Kursentwicklung war für Anleger aber zuletzt unbefriedigend. Dagegen dürfte Rüstung auch in absehbarer Zukunft sehr gefragt bleiben und Aktionären eine stattliche Rendite bescheren. So hat etwa der MSCI World Aerospace and Defense Index in den letzten 30 Jahren eine jährliche Rendite von 11,1% gebracht, das sind 3,4% mehr als der MSCI World.

Eine der wenigen Investmentgesellschaften, die Investments in Sündenaktien nicht rundheraus ablehnt, ist das Frankfurter Haus Van Grunsteyn. Der Hard Value Fund des Unternehmens setzt auf konservative Werte und Bewährtes. In dem Fonds finden sich Unternehmen aus dem Bereich Luftfahrt und Verteidigung (21%), Atom und fossile Energien (18%), Tabak (14%), und auch Mining/Gold (10,5%). Einzeltitel sind etwa die Aktie von Rolls-Royce, aber auch die Papiere von Philip Morris oder der Newmont Corporation, einem Bergbaukonzern, sind enthalten. Seit Januar 2023 hat der Fonds ein stattliches Plus von 26% erwirtschaftet.

Nato-konform investieren

Neben Einzelaktien kann man auch über den Van Eck Defense ETF oder den HANetf Future of Defence ETF in den Sektor investieren. Der Van-Eck-ETF bildet den Marketvector Global Defense Industry Index nach. Der Fonds von HANetf setzt auf den EQM Nato+ Future of Defence Index. Dieser Index hat den Vorteil, dass er nur auf Firmen mit Umsätzen aus Nato- oder zumindest Nato-freundlichen Ländern setzt. Auch bei vermeintlich unmoralischen Geldanlagen ist das ein kleiner, aber feiner Unterschied, der manchen Anleger ruhiger schlafen lassen dürfte.