Macht den Boys' Club an der Wall Street endlich dicht!
Wall Street
Macht den Boys’ Club dicht!
Von Alex Wehnert
Frauenfeindliches Verhalten ist immer schwachsinnig und verachtenswert. An der Wall Street hat es besonders weitreichende Konsequenzen.
Die unfeine Herrengesellschaft an der Wall Street sollte endlich der Vergangenheit angehören. Denn während in den USA seit Jahren eine Debatte über sexuelle Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz den gesellschaftlichen Diskurs prägt, sind die Uhren in Amerikas Finanzsektor offenbar weitgehend stehen geblieben. So machen seit Wochen Berichte über weitreichendes Fehlverhalten gegen weibliche Mitarbeiter verschiedener Institutionen die Runde. Dabei tauchen Namen wie Citigroup auf, der eine ehemalige Managerin vorwirft, eine von sexueller Belästigung und Schmähungen gegen Frauen geprägte Arbeitsatmosphäre toleriert zu haben. Zugleich ist mit der staatlichen Einlagensicherung FDIC auch einer der wichtigsten Regulatoren der Finanzbranche Gegenstand äußerst unappetitlicher Vorwürfe geworden.
Eine Führungskraft im Büro der Behörde in San Francisco soll Mitarbeiter in einen Stripclub eingeladen haben. Ein Manager des FDIC-Ablegers in Denver soll Sex mit einer Angestellten gehabt, im Kollegenkreis davon erzählt sowie die Frau dazu angehalten haben, während der Arbeitszeit Whiskey zu konsumieren. Bankprüfer der Behörde schickten Kolleginnen angeblich Fotos ihrer Geschlechtsteile. Insider sprechen von einer Kultur, in der sexuelle Anspielungen an der Tagesordnung seien, Frauen nach ihrem Äußeren beurteilt und gegenüber männlichen Mitarbeitern benachteiligt würden. Behördenchef Martin Gruenberg stieß auf Medienberichte über die Vorwürfe eine Untersuchung an. Allerdings steht der FDIC-Vorsitzende im Verdacht, von Anschuldigungen gegen Führungskräfte gewusst zu haben und bei diesen nicht hart genug durchgegriffen zu haben.
Natürlich handelt es sich in vielen Fällen, bei der FDIC wie auch bei der Citigroup, zunächst einmal um Anschuldigungen, die zu beweisen sind. Das Geldhaus beispielsweise will sich gegen die Klage seiner ehemaligen Managerin vor Gericht verteidigen – und erklärt, Kolleginnen sollten sich jederzeit sicher damit fühlen, "Sorgen" konzernintern anzusprechen, ohne Vergeltung fürchten zu müssen. Allerdings steht die Klägerin, die für 15 Jahre bei der Citigroup aktiv war, mit ihrer Aussage nicht alleine da. Auch weitere Ex-Mitarbeiterinnen, die anonym bleiben wollen, beschreiben ein frauenfeindliches Arbeitsumfeld.
Bei der FDIC gibt es Fälle, die sich präziser nachverfolgen lassen. Harrel Pettway, damals Nummer zwei der Rechtsabteilung, soll einer Mitarbeiterin im Jahr 2019 eine wütende und beleidigende Sprachnachricht hinterlassen haben. Die Behörde wurde zu diesem Zeitpunkt von Gruenbergs Vorgängerin Jelena McWilliams geführt und zahlte – so viel ist dokumentiert – im Rahmen eines Vergleichs 100.000 Dollar an die betroffene Frau. Pettway behielt seinen Job und stieg unter Gruenberg zum obersten FDIC-Rechtsberater auf.
Es formt sich das Bild eines Boys’ Club, in dem Männer sich alles herausnehmen können und einander decken. Natürlich ist frauenfeindliches Verhalten immer fehlgeleitet, schwachsinnig und verachtenswert, unabhängig vom vermeintlichen Kontext. Nun ist es aber mehr als an der Zeit, dass sexuelle Belästigung und Diskriminierung auch an der Wall Street endlich keinen Platz finden, zumal solches Fehlverhalten hier besonders schwere Auswirkungen entfalten kann. Denn darunter leiden nicht nur die direkt Betroffenen, sondern auch völlig unbeteiligte Marktteilnehmer.
Das zeigt sich eindrucksvoll mit Blick auf die Bankenkrise aus dem Frühjahr. Regionale Geldhäuser wie die Silicon Valley Bank wiesen eklatante Mängel beim Risikomanagement auf, die Regulatoren viel früher hätten erkennen müssen. Dass dies nicht geschah, führen FDIC-Untersuchungen auch auf eine Personalknappheit bei der Behörde zurück, die mit weniger als 6.000 Mitarbeitern die Stabilität des US-Bankensystems mit seinen über 4.000 Instituten gewährleisten soll. Verschärft wird dieser Mangel, weil FDIC-Prüferinnen die Einlagensicherung wohl infolge der frauenfeindlichen Arbeitsatmosphäre seit Jahren in Scharen verlassen. Zeit also, dass sich die Wall Street der Konsequenzen eines zu laxen Vorgehens gegen Diskriminierung bewusst wird.