Im Gespräch: Andreas Glunz, KPMG

Transformation schafft Geschäftschancen in Deutschland

Trotz harscher Kritik an der Schwäche des Standorts zieht Deutschland neue Industrieansiedlungen durch ausländische Konzerne an. Unternehmensberater Andreas Glunz, Bereichsvorstand der KPMG, erläutert welche Geschäftschancen mit Greenfield-Investments verbunden werden und wie EU-Staaten mit Förderprogrammen um Investoren buhlen.

Transformation schafft Geschäftschancen in Deutschland

Im Gespräch: Andreas Glunz

Transformation schafft Geschäftschancen in Deutschland

Der KPMG-Bereichsvorstand über die Motivation internationaler Konzerne für Greenfield-Investments und über den Subventionswettbewerb in Europa

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Trotz harscher Kritik an der Schwäche des Standorts zieht Deutschland neue Industrieansiedlungen durch ausländische Konzerne an. Unternehmensberater Andreas Glunz, Bereichsvorstand der KPMG, erläutert, welche Geschäftschancen mit Greenfield-Investments verbunden werden und wie EU-Staaten mit Förderprogrammen um Investoren buhlen.

Bei aller Kritik an schwacher Wirtschaftsentwicklung und verschlechterten Standortfaktoren kann Deutschland mit Greenfield-Investments punkten. Zahlreiche internationale Konzerne sind dabei, im größeren Stil in Deutschland neue Kapazitäten aufzubauen. Jüngst wurde in Dresden unter reger  Beteiligung von Politprominenz der Spatenstich des taiwanesischen Chip-Herstellers TSMC  für ein neues Halbleiterwerk gefeiert. Eine Investition über 10 Mrd. Euro – hoch subventioniert.

 „Das aktuelle wirtschaftliche Szenario in Deutschland lässt eigentlich keine großen Greenfield-Investments von Unternehmen erwarten“, unterstreicht KPMG-Bereichsvorstand Andreas Glunz, der seit vielen Jahren internationale Konzerne in Deutschland berät und auch deutsche Unternehmen in deren globalen Aktivitäten unterstützt.

Attraktivität verblasst

Mit Blick auf die Standortfaktoren verweist Glunz auf eine Analyse seines Hauses aus dem Frühjahr, die auf der Befragung von 350 CFOs der größten deutschen Tochtergesellschaften internationaler Konzerne beruht – also ausländische Unternehmen, die in der Vergangenheit in Deutschland schon investiert haben. Nach Einschätzung dieser Manager mit internationaler Blickrichtung hat der Wirtschaftsstandort Deutschland spürbar an Attraktivität verloren.

Loyal zum Standort

Der KPMG-Experte hebt hervor, dass die CFOs deutscher Töchter internationaler Konzerne sich auch in der aktuell schwierigen Wirtschaftslage durchaus loyal zum deutschen Standort zeigten und neue Geschäftschancen erkunden. Die Wirtschaftskraft dieser internationalen Tochterfirmen sollte man nicht unterschätzen, mahnt Glunz.

„Mehr als ein Fünftel, also 22% der in Deutschland erwirtschafteten Umsatzerlöse, werden durch internationale Konzerne generiert. Mehr als 35.000 Unternehmen in Deutschland haben einen internationalen Mehrheitsgesellschafter. Deren Deutschland-Umsatz hat in Summe in den vergangenen zehn Jahren um 60% zugelegt, während die rein deutschen Unternehmen um 25% gewachsen sind. Sie sind also wachstumsstärker als die deutschen Gesellschaften.“

Viele Minuspunkte

Als kritisch am Standort Deutschland angekreuzt haben die befragten CFOs die Punkte ausufernde Bürokratie, unsichere und teure Energieversorgung, Versäumnisse in der Digitalisierung, die ESG-Regulierung der EU sowie die unzureichende Aufgeschlossenheit für Technologie. Positiv beurteilt haben sie Aspekte wie die zentrale Lage Deutschlands logistisch in der Mitte Europas, der Lebensstandard im Land, die öffentliche Sicherheit sowie Größe und Wirtschaftskraft des deutschen Binnenmarktes.

Um den starken Mittelstand wird Deutschland weltweit noch beneidet. Aber in vielen dieser Firmen steht die Nachfolgeplanung an.

Andreas Glunz, KPMG

Glunz hebt hervor, dass Deutschland in der diesjährigen CFO-Umfrage auch in den bisher als positiv wahrgenommenen Standortfaktoren schwächer eingeschätzt worden sei als in den vorangegangenen Umfragen. „Gut beurteilt werden immer noch eine stabile Industriebasis und der starke Mittelstand mit vielen Global Champions“, sagt Glunz. Auch diese beiden Attribute haben nach Einschätzung des Beraters die Tendenz, sich zu verschlechtern. „Um den starken Mittelstand wird Deutschland weltweit noch beneidet. Aber in vielen dieser Firmen steht die Nachfolgeplanung an“, gibt er zu bedenken. „Wir sehen, dass viele Familienunternehmen aktuell keinen Nachfolger mehr finden, viele werden an Private Equity verkauft und ihre Zukunft ist ungewiss. Und auch die De-Industrialisierung Deutschlands schreitet sukzessive voran“, prophezeit Glunz.

Dass Greenfield-Investments in diesem alarmierenden Wirtschaftsszenario vollzogen werden, ist aus Sicht von Glunz kein Widerspruch. „Internationale Konzerne sehen für sich Geschäftschancen im Zuge der umfangreichen Transformationen in Deutschland“, sagt er. „Die großen Transformationsaufgaben betreffen die globalen Megatrends wie Klimaneutralität und Energiewende, Demografie und Digitalisierung, aber auch Protektionismus und Autarkiebestreben.“

Beschäftigung nimmt ab

Im Zuge der Transformation „entstehen neue große und zugleich profitable Märkte“, ergänzt Glunz. „Das zieht internationale Konzerne an, die oft die notwendigen Patente besitzen und marktführend in diesen zukunftsträchtigen Geschäftsfeldern sind.“ So investierten chinesische und britische Unternehmen in Batterie- und Ladetechnik oder Konzerne aus Japan und Frankreich in deutsche Windparks in der Nordsee.

Der große Bedarf an Rechenzentren hierzulande veranlasse US-Konzerne zu Greenfield-Investitionen in Datencenter. „Am Rande sei bemerkt, dass diese Aktivitäten zumeist nicht personalintensiv sind, ganz anders als die Stahl-, Chemie- und Automobilindustrie, die sukzessive ihre Aktivitäten in Deutschland abbaut oder in andere Länder und Regionen verlagert. Per Saldo wird Deutschland daher Beschäftigung verlieren“, warnt Glunz.

Megatrends wie Alterung der Gesellschaft und Zivilisationskrankheiten zögen große Investitionen in die Pharmaherstellung an. In der Branche bauen Lilly und Novo Nordisk in Deutschland bzw. Europa neue große Produktionskapazitäten für Medikamente gegen Adipositas auf. Auch geopolitische Krisen ziehen Kapital ins Land: „Deutschland hat vergleichsweise wenig Verteidigungsindustrie, deshalb streben auch internationale Rüstungskonzerne nach Deutschland“, so Glunz.

Diese Chipkonzerne brauchen Subventionen, sonst kommen sie nicht nach Deutschland und Europa, um Produktion aufzubauen.

Andreas Glunz, KPMG

In großem Stil investieren auch internationale Chipkonzerne in Deutschland, allerdings unterstützt von hoher staatlicher Förderung. Prominente Beispiele sind neben TSMC Konzerne wie Intel, ASML oder Globalfoundries. „Wir versuchen durch massive Subventionen, ein Silicon Saxony für die europäische Chipindustrie zu schaffen. Ohne Förderung kann diese Industrie anders als die Pharmabranche aber in Europa nur bedingt profitabel produzieren. Diese Chipkonzerne brauchen Subventionen, sonst kommen sie nicht nach Deutschland und Europa, um Produktion aufzubauen“, erläutert Glunz.

Die Konkurrenz europäischer Staaten um Greenfield-Investments ist immens. Glunz weist darauf hin, dass etwa Frankreich derzeit mehr Greenfield-Investments zu bieten hat als Deutschland. Auch Osteuropa habe kompetitive Vorteile im Vergleich zu Deutschland. „In Osteuropa wird viel investiert. Grund dafür ist insbesondere das Derisking Europas von China; darauf reagieren chinesische Konzerne mit Produktionsaufbau in Europa. Das tun sie in Osteuropa und damit im EU-Binnenmarkt“, erklärt Glunz. So will etwa der chinesische BYD-Konzern ein großes E-Autowerk in Ungarn errichten, um von dort den europäischen Markt zu beliefern.

Förder-Flickenteppich

Der Wettbewerb über Industrieansiedlungen läuft innerhalb der EU intensiv über Subventionen. Inwieweit Deutschland besonders spendabel ist, lässt sich laut Glunz schwer sagen. „Hier fehlt ein detaillierter Überblick, es gibt keine Daten über die staatliche Unterstützung von Investitionen.“ Erfasst würden direkte Beihilfen, dass sei aber nur „ein kleiner Ausblick auf das Universum staatlicher Förderprogramme“.

Glunz weist hin auf eine schwer überschaubare Zahl an indirekten Subventionen wie Steuererleichterungen, Investitionszuschüsse oder Kapitalbeteiligungen. „Die Mittel werden von der EU gewährt, vom Bund, von den Ländern, von Gemeinden – ein Flickenteppich an Fördermöglichkeiten. Das ist auch für die nach Unterstützung suchenden Unternehmen schwer zu überblicken.“

Frankreich vorn

Die direkten staatlichen Subventionen in der EU haben in Summe zugenommen. In den vergangenen zehn Jahren haben die 27 EU-Mitgliedstaaten 2,5 Bill. Euro an Subventionen direkt an Unternehmen gezahlt. Nummer 1 ist laut EU-Daten mit weitem Abstand Frankreich mit 654 Mrd. Euro gefolgt von Deutschland mit 468 Mrd. Euro. In Relation zur Wirtschaftsleistung habe Belgien mit durchschnittlich 4% vom BIP die höchsten direkten Subventionen gewährt, Frankreich liegt in der Kennzahl mit 2,7% auf Platz zwei.

Für Deutschland sieht Unternehmensberater Glunz durchaus noch mehr Möglichkeiten für die staatliche Alimentierung internationaler Greenfield-Investments. „Der Verschuldungsgrad Deutschlands ist im EU-Vergleich niedrig, andere Länder liegen deutlich darüber. Grundsätzlich besteht daher noch Spielraum für mehr Förderung, wenn es politisch gewollt ist und in Investitionen am Standort Deutschland fließt.“