GastbeitragKlimawandel

Unregulierte CO2-Zertifikate bergen Risiken

Waldbezogene CO2-Kompensationen können Unternehmen im Klimawandel unterstützen, sie bergen aber noch signifikante Risiken.

Unregulierte CO2-Zertifikate bergen Risiken

Gastbeitrag

Unregulierte CO2-Zertifikate bergen Risiken

Nicht nur der Klimawandel an sich, sondern auch die Erkenntnis, dass dieser weitgehend menschengemacht ist, hat sich im Bewusstsein der allermeisten Akteure durchgesetzt. Daher wollen oder müssen immer mehr Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck verbessern. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, ist der Erwerb von waldbezogenen CO2-Kompensationen auf dem freiwilligen CO2-Markt (Voluntary Carbon Market).

Hohe Relevanz für Unternehmen

Bei richtiger Anwendung können diese Ausgleichsmaßnahmen ein großartiges Instrument sein, um Wälder als lebenswichtige Ökosysteme zu schützen und damit die negativen Auswirkungen des eigenen Wirtschaftens auf das Klima zu verringern. Doch aufgrund einer schnell steigenden Nachfrage und eines schleppenden Regulierungsumfelds hat sich ein undurchsichtiger Markt entwickelt, auf dem waldbezogene Kompensationszertifikate mit zum Teil unangemessen hohen Kompensationsversprechen und geringer Transparenz verkauft werden. Die Folge: Unternehmen als Erwerber der waldbezogenen Kompensationszertifikate sehen sich zunehmend dem Vorwurf von Greenwashing ausgesetzt.

Der Klimawandel ist eine weltweite Herausforderung. Unternehmen begegnen diesem mit Dekarbonisierung, sei es, um regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden, Erwartungen von Investoren und anderen Stakeholdern zu erfüllen oder unternehmenseigene Strategien umzusetzen. Dabei werden effizientere Prozesse, Verfahren und Tchnologien entwickelt und angewandt, um CO2-Emissionen zu reduzieren. Darüber hinaus erwerben viele Unternehmen mittlerweile Zertifikate für Kompensationen, um z.B. Netto-Null-Emissionen zu erreichen.

Günstige Option

Solche Zertifikate können eine günstige und vor allem kurzfristig verfügbare Möglichkeit zur Dekarbonisierung sein. Dies gilt vor allem dann, wenn CO2-Reduktionen nur durch eine langfristige Weiterentwicklung von Technologien möglich sein werden, wie beispielsweise in der Luftfahrtbranche. Waldbezogene CO2-Kompensationszertifikate verfolgen das Ziel, die Abholzung von Wäldern zu verhindern, Wälder aufzuforsten oder sie nachhaltiger zu bewirtschaften. All diese Projekte sollen die weltweite CO2-Konzentration verringern, indem CO2 für eine gewisse Zeit gespeichert wird. Diese Leistung wird zertifiziert.

Im Vergleich zu dem für bestimmte Branchen verpflichtenden Emissionshandel (z.B. ETS in der EU), ist der freiwillige CO2-Markt unreguliert. In diesem Markt haben sich einige große Standardsetzer etabliert, die keiner staatlichen Regulierung unterliegen. Diese werden auch als Offsetprogramme bezeichnet. Sie geben vor, wie die CO2-Reduzierung ermittelt werden soll.

Vorwurf des Greenwashing

Um ein CO2-Kompensationszertifikat zu erhalten, wird – vereinfacht ausgedrückt – von einem Projektentwickler ein Projektplan zur CO2-Reduzierung auf Basis des gewählten Standards modelliert. Eine dritte Partei validiert den entwickelten Projektplan und ist auch fortlaufend in unterschiedlich großen Abständen für die Prüfung der Einhaltung der Bewertungsvorgaben des Standards (Verifizierung) zuständig. Die Projekte werden vom Offsetprogramm in einem eigenen Register gelistet, und können über verschiedene Handelsplattformen gekauft werden.

Werden Waldflächen beschädigt oder zerstört, gelangt das in den Bäumen gespeicherte CO2 wieder in die Atmosphäre. Besonders bei Monokulturen mit schnellwachsenden und schnellspeichernden Bäumen und wenig Resistenz gegen Gefahren wie z.B. Käferbefall oder Sturmschäden ist dieses Risiko offensichtlich. Wurde die erwartete CO2-Reduktion bereits verkauft, dann wurde diese Kompensation im ökologischen Fußabdruck des Käufers zwar berücksichtigt, aufgrund einer Zerstörung der Waldflächen jedoch nicht wirklich erreicht. Die Offsetprogramme versuchen teilweise, dieses Risiko durch die Einbeziehung von Puffern in ihrer Kalkulation zu berücksichtigen, was jedoch nicht immer gelingt.

Auch die grundsätzliche Verwendung der Bäume nach dem Ende des Kompensationszeitraums des Zertifikats ist relevant. Wird ein Baum im Anschluss an die Phase des Zertifikats beispielsweise zu Pellets verarbeitet, kommt es zu einer kurzfristigen Freisetzung des gesamten gespeicherten CO2.

Wird ein Baum dagegen zu Baumaterial verarbeitet, bleibt das CO2 längerfristig gespeichert. Die künftige Verwendung von Bäumen und damit die mögliche Permanenz der Kompensation wird in der Regel jedoch nicht berücksichtigt.

Unrealistisches Basisszenario

Ein weiteres Risiko bei der Messung der zusätzlichen CO2-Reduktion besteht in der Unterstellung eines unrealistischen Basisszenarios: Dabei wird beispielsweise zunächst eine beabsichtigte Abholzung großer Waldgebiete behauptet, um dann argumentieren zu können, man habe durch ein Schutzprojekt sehr viele Bäume erhalten. Für dieses Projekt werden dann entsprechend viele Zertifikate verkauft.

Durch das Schutzprojekt wird eine hohe Additionalität, also zusätzliche CO2-Reduzierung, unterstellt – was möglicherweise nicht der Wirklichkeit entspricht.

Zusätzliche Herausforderungen ergeben sich aufgrund eines Mangels an Regulierung. So existiert bisher kein übergreifendes Register, in dem alle Zertifikate erfasst sind, um eine mögliche Doppelverwendung auszuschließen.

Auch werden Wechselwirkungen mit anderen Umweltzielen wie Biodiversität oder mit sozialen Zielen teilweise nicht berücksichtigt. Zudem haben Standardsetzer eine Doppelrolle, denn sie profitieren von der Anzahl verkaufter Zertifikate. So können sich Interessenskonflikte ergeben.

Behörden in der Pflicht

Um einen transparenten und verlässlichen Markt für waldbasierte CO2-Zertifikate zu entwickeln, spielen Aufsichtsbehörden eine entscheidende Rolle. Dabei sehen wir eine große Bedeutung in der unabhängigen Erstellung eines einheitlichen, evidenzbasierten Standards für die Messung der CO2-Reduzierung, bei der unter anderem das Ausfallrisiko und Permanenz sowie das Äquivalenzprinzip bei der Bewertung prognostizierter Kompensation (im Vergleich zur ex-post Zertifizierung phasengleicher Kompensation) beachtet werden sollten.

Initiativen kommen derzeit von der EU mit dem Carbon Removal Certification Framework sowie von den Vereinten Nationen. Für die Überprüfung und Durchsetzung der Standards könnten unabhängige und fachkundige Wirtschaftsprüfer relevante Akteure sein.

Bewusstseinsschärfung

Ein zusätzlicher Erfolgsfaktor besteht in dem Einsatz und der Weiterentwicklung von Technologien. So kann die Messbarkeit der CO2-Reduzierung durch Satelliten oder Lidar-Systeme (Light Detection and Ranging) verbessert und die Transparenz zum Bestand an Zertifikaten durch Blockchain-basierte Register erhöht werden.

Zudem empfehlen wir, das Bewusstsein bei Unternehmen und Investoren für die Qualität von Zertifikaten zu schärfen. Bei der Einkaufsentscheidung macht es häufig Sinn, externe Unterstützung einzuholen. Wichtig ist zudem, Kompensationsleistung kontinuierlich zu überprüfen.

Dr. Nicolas zur Nieden, Partner und Wirtschaftsprüfer bei EY

Prof. Dr. Jürgen Ernstberger, Technische Universität München

Dr. Nicolas zur Nieden

Partner und Wirtschafts­prüfer bei EY

Prof. Dr. Jürgen Ernstberger

Lehrstuhlinhaber für Rechnungs­legung an der Technischen Universität München