"Wir stellen die Rolle der Finanzbranche nicht in Frage"
Im Interview: Mauricio Vargas
"Wir stellen die Rolle der Finanzbranche nicht in Frage"
Greenpeace-Experte: Klimaschutzziele im Investmentmanagement mit Treuhänderpflicht der Branche vereinbar – "Die Wirkung ist größer, als Sie denken!"
Nicht jeder Anleger legt Wert auf Nachhaltigkeit. Trotzdem sollte die Finanzbranche Klimaziele und andere ESG-Kriterien in ihre Anlagestrategie einschließen, fordert Greenpeace-Finanzexperte Mauricio Vargas. Der Ökonom will dabei einen gesellschaftlichen Konsens erkannt haben.
Herr Dr. Vargas, viele Kohle-, Öl- und Gaskonzerne sind erfolgreiche Unternehmen. Warum sollte die Finanzbranche sie nicht mehr uneingeschränkt finanzieren?
Die Branche sollte Geschäfte, die unsere Lebensgrundlage nachhaltig in Frage stellen und planetare Grenzen ignorieren, nicht finanzieren. Wenn fossile Energieunternehmen neue Vorkommen explorieren und erschließen wollen und dafür Geld einsammeln, dann sollte ein Finanzunternehmen, das sich als nachhaltig bezeichnet, den Stecker ziehen.
Warum sollte sich die Branche zurückziehen? Damit verlöre sie ihren Einfluss.
Natürlich gibt ein Investor, der alle Anteile verkauft, seinen Einfluss auf. Daher sollte er sich nicht per se aus umstrittenen Branchen zurückziehen, sondern auf Unternehmen einwirken. Aber jedes Engagement setzt klar definierte Ziele voraus. Diese sind nur glaubhaft, wenn es einen Eskalationsplan gibt, falls ein Unternehmen den Vorgaben nicht gerecht wird – im äußersten Fall bleibt nur der Verkauf. Denken Sie an die Spieltheorie: Im Zweifel muss ein Spieler bereit sein, aufzustehen und vom Tisch zu gehen, damit er von anderen Teilnehmern ernst genommen wird.
Warum sollten Geldgeber überhaupt auf einen Wandel pochen? Viele Geschäfte mit fossiler Energie sind profitabel – und sie werden es wohl auch weiterhin sein.
Für die nahe Zukunft mag das zutreffen. Aber langfristig funktioniert das nicht. Die Gesellschaft wird nicht bereit sein, die Kosten der Klimakrise zu sozialisieren, sondern sie wird die Verursacher zur Kasse bitten. Für Geldgeber lohnt es sich langfristig, von Unternehmen einen Wandel einzufordern, weil viele bisherigen Geschäftsmodelle keine Zukunft haben – haben dürfen!
Sie sagen „haben dürfen“. Wieso sollte sich die Finanzbranche dieses Werturteil zu eigen machen?
Ich spreche dabei nicht allein für Greenpeace. Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, dass wir beispielsweise das Klima schützen müssen. Sonst gäbe es keine internationalen Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen. Und es gibt eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, was für eine Begrenzung der globalen Erwärmung notwendig ist. Unsere Klimaziele sind nicht möglich, wenn wir weiterhin fossil expandieren. Das ist ein klares Kriterium, auch für Unternehmen und ihre Geldgeber.
Sehen Sie tatsächlich einen Konsens? In verschiedenen politischen Strömungen hat Klimaschutz ein unterschiedliches Gewicht. Gerade in den USA, aber nicht nur dort, gibt es eine Gegenbewegung.
Die Mehrheit steht aber hinter dem Ziel des Klimaschutzes, wie Umfragen zeigen. Die Debatte dreht sich lediglich darum, wie das konkret geschehen sollte und wer für die Kosten aufkommen sollte.
Die deutsche Fondsbranche handelt nach ihrem Selbstverständnis in Fragen zur Nachhaltigkeit „ausschließlich im Interesse der Anleger“, wie die Wohlverhaltensregeln des Verbands BVI vorgeben. Liegen Ihre Vorschläge wirklich im Interesse der Anleger?
Wir stellen die Rolle der Finanzbranche nicht in Frage. Natürlich haben Fondsgesellschaften einen treuhänderischen Auftrag. Es ist Kern des Geschäftsmodells, Rendite und Mehrerträge für die Kundschaft zu generieren. Wir sagen aber, dass Geschäftsmodelle vereinbar sein müssen mit dem selbst gesteckten Anspruch der Nachhaltigkeit. So erklären Fondsgesellschaften etwa auch, nicht in kontroverse Waffen oder Kinderarbeit zu investieren. Solche grundsätzlichen Prinzipien stehen der Pflicht als Treuhänder nicht entgegen. Angesichts der eskalierenden Klimakrise braucht es das auch für den Klimaschutz.
Was geschieht mit Anlegern, die sich ausdrücklich nicht um Nachhaltigkeit kümmern, sondern ausschließlich am finanziellen Anlageerfolg interessiert sind? Sollte sich die Finanzbranche von diesen Kunden trennen?
Ein Finanzunternehmen, das sich selbst als nachhaltig beschreibt und dieses Ziel ernst nimmt, muss mit dem Risiko leben, dass es solche Kunden verliert. Was nicht geht, ist: Wasch mich, aber mach mich nicht nass in Sachen Nachhaltigkeit. Auf der anderen Seite kann es aber auch neue Kunden gewinnen. Der Wettbewerb in der Fondsbranche sollte nicht nur über den Anlageerfolg geführt werden, sondern auch über das Profil in der Nachhaltigkeit. Finanzunternehmen brauchen einen Wertekanon, den sie klar kommunizieren und einhalten.
Es wird immer Finanzfirmen geben, die keinen großen Wert auf Nachhaltigkeit legen. Diese Firmen werden umstrittene Unternehmen finanzieren und auch ihre Anleger finden. Für das Klima ist also wenig gewonnen, wenn sich einzelne Finanzunternehmen zur Nachhaltigkeit bekennen.
Die Wirkung ist größer, als Sie denken! Der Kapitalmarkt ist nicht homogen und keineswegs immer vollkommen, wie Ökonomen sagen. Wenn sich eine kritische Masse der Investoren anders als bislang verhält, sind die Folgen deutlich spürbar. Denken Sie etwa an sogenannte Sündenindustrien wie Tabak oder Glücksspiel. Obwohl sich hier nur ein kleiner Teil der Geldgeber zurückhält, lassen sich Preiseffekte nachweisen. Oder denken Sie an den Rückzug großer Versicherer aus der Kohleindustrie. Es ist extrem teuer geworden, ein neues Kohlekraftwerk zu versichern. Finanzunternehmen können viel verändern, wenn sie sich ernsthaft zur Nachhaltigkeit bekennen – auch wenn nicht alle mitziehen.
Müssen Unternehmen moralisch sein?
Moral ist ein großes Wort. Aber die Idee, dass Eigentum und die damit verbundenen Derivate mit Verantwortung einhergehen, ist verbreitet. Sehen Sie sich einmal Artikel 14, Absatz 2 im Grundgesetz an. Dort steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Damit ist aus meiner Sicht das Wesentliche gesagt. Natürlich haben Unternehmen die Aufgabe, Gewinne zu erzielen. Aber sie müssen schon immer auf einige Nebenbedingungen achten: Dazu zählen etwa Arbeitsschutz, Umweltschutz und andere gesellschaftliche Themen.
Das Interview führte Jan Schrader.