Im BlickfeldJapans benachteiligte Frauen

Womenomics in Japan kommen kaum voran

Verschiedene Maßnahmen für mehr Gleichberechtigung der Japanerinnen sollen das Wirtschaftswachstum und die Geburtenrate ankurbeln, aber wirken sich nur langsam aus.

Womenomics in Japan kommen kaum voran

Womenomics in Japan kommen kaum voran

Verschiedene Maßnahmen für mehr Gleichberechtigung der Japanerinnen sollen das Wirtschaftswachstum und die Geburtenrate ankurbeln, aber wirken sich nur langsam aus.

Von Martin Fritz, Tokio

Als Japans Premierminister Fumio Kishida im September seine Regierung umbildete, rief er fünf Frauen in sein 20-köpfiges Kabinett. Damit wollte der 66-jährige Politiker ein Signal setzen, wie wichtig ihm Frauen in Spitzenpositionen sind. Doch alle 54 Vizeminister und Parlamentssekretäre, die Kishida am nächsten Tag ernannte, waren Männer. Damit bewies der Regierungschef erneut, wie benachteiligt die Japanerinnen bleiben.

Nur 12% der Führungskräfte in Japans Wirtschaft sind weiblich und nur 10% der Abgeordneten im Unterhaus. An der Elite-Universität Tokio, deren Absolventen die Reihen der Ministerialbürokratie und die Verwaltungsräte der Top-Unternehmen füllen, sind nur 20% der Studierenden weiblich. Wegen solcher Werte belegt Japan in der Rangliste für Geschlechtergleichheit des Weltwirtschaftsforums Platz 125 unter 146 Ländern.

Diese schwer durchdringbare „Bambusdecke“ für Frauen bremst das Wirtschaftswachstum und beschleunigt die demografische Alterung. Schon vor 25 Jahren identifizierte Kathy Matsui, damals die Japan-Strategin von Goldman Sachs, die niedrige Frauenerwerbsquote als schwere ökonomische Beeinträchtigung. Japan laufe Marathon auf einem Bein, schrieb Matsui. Bei gleicher Erwerbsquote von Männern und Frauen wäre das Bruttoinlandsprodukt nach ihrer Kalkulation um 15% größer.

Regierung gegen Frauenquoten

Der langjährige Premierminister Shinzo Abe griff ab 2014 die „Womenomics“ von Matsui auf und integrierte sie in seine „Abenomics“ genannte Wachstumsstrategie. Frauen sollten „leuchten“, erklärte Abe und forderte die Unternehmen auf, den Anteil der Frauen in Führungspositionen bis 2020 auf 30% zu steigern. Das wäre eine Verdreifachung in sechs Jahren gewesen, ein utopisches Ziel. Kishida strebt die 30% jetzt für die Zeit bis 2030 an.

„Es handelt sich um eine symbolische Initiative – wo mehr Frauen an der Spitze sind, machen auch mehr Frauen Karriere“, erklärt Taro Tawara, im Amt des Premierministers zuständig für Geschlechtergleichheit. Eine Quotenregelung lehnt die Regierungspartei LDP weiter ab.

Japanerinnen im Rückstand bei der Gleichberechtigung

Unternehmen müssen Lohnunterschiede veröffentlichen

Die Tokioter Börse macht auf ihre Weise Druck. Bis 2025 soll im Verwaltungsrat von allen börsennotierten Unternehmen mindestens eine Frau sitzen. Die Firmen müssen begründen, warum sie keine Frauen als Direktoren berufen. Wer die Vorgabe nicht erfüllt, kann nicht Mitglied des obersten Börsensegments Prime sein. Die Unternehmen sind auch gezwungen, den Lohnabstand zwischen weiblichen und männlichen Mitarbeitern jährlich zu errechnen und zu veröffentlichen.

Als Hauptgrund für die niedrige Managerinnenzahl identifizierten Abe und seine Nachfolger die überlangen Arbeitszeiten. Daher setzten ihre Regierungen auf eine „Reform des Arbeitsstils“. Bisher messen die Unternehmen die Leistung ihrer Mitarbeiter daran, wie lange sie am Schreibtisch sitzen. Nun wurde die Zahl der Überstunden gesetzlich begrenzt, damit die Beschäftigten früher nach Hause gehen. Parallel wurde die Zahl der Kindergärten stark erhöht und ihr Besuch kostenlos gemacht. Diese geänderten Umstände sollen es Frauen erleichtern, Kinder zu bekommen und zu versorgen und trotzdem erwerbstätig zu bleiben.

Pionier DMG Mori

Die Unternehmen sollen diese Strategie umsetzen. Denn nur wenn sie genug Frauen einstellen und durchgehend beschäftigen, entsteht ein ausreichend großer Pool, dass einige dieser Frauen Karriere machen und ins Management aufsteigen. Zu den Pionieren gehört der Werkzeugmaschinenbauer DMG Mori mit knapp 13.000 Mitarbeitern, davon mehr als die Hälfte im Ausland, eine Folge der Übernahme der früheren Gildemeister AG aus Bielefeld. Gründersohn und CEO Masahiko Mori machte die Gleichberechtigung schon früh zur Chefsache, baute an vielen Standorten Betriebskindergärten auf und erlaubte jungen Müttern, zunächst von zu Hause aus stunden- und tageweise ins Berufsleben zurückzukehren.

Die Mitarbeiter von DMG Mori sollen pünktlich nach Hause gehen und ihren Urlaub vollständig nehmen, damit sich die Work-Life-Balance zugunsten der Frauen verbessert. Aber diese Anordnungen werden erst befolgt, seitdem auch die Manager sie einhalten, berichtet Irene Bader, Chief Marketing Officer von DMG Mori und seit diesem Jahr die erste Frau im Verwaltungsrat.

„Der Manager muss Vorbild sein, weil die Mitarbeiter erst das Büro verlassen, wenn er gegangen ist“, erläutert die gebürtige Österreicherin, die zwischen der Konzernzentrale in Tokio und ihrem Arbeitsplatz München pendelt. Bis 2025 wird der Anteil der Frauen im Management von DMG Mori auf 15% steigen. Unter den Neueinstellungen im laufenden Geschäftsjahr waren 20% Frauen. Das sind hohe Quoten für einen männerdominierten Wirtschaftsbereich wie den Maschinenbau.

Viele Überstunden

Die geringen Fortschritte beim Frauenanteil im Management führt das Forschungsinstitut des Personaldienstleisters Persol darauf zurück, dass die Belastung der Manager im mittleren und oberen Bereich seit den 1990er Jahren durch Einsparungen von Führungsebenen stark zugenommen hat. Ihre Überstunden wurden nicht gesetzlich beschränkt, daher erwarten die Unternehmen vollen Einsatz. Weil sie dafür keine Zeit und Energie haben, wollen 70% der erwerbstätigen Frauen laut einer Persol-Umfrage nicht Manager werden, erläutert Forscher Yuji Kobayashi. Ein zweiter Grund sei die japanische Gewohnheit, dass die ersten Beförderungen erst im Alter von Mitte bis Ende 30 stattfinden. Dadurch würden arbeitende Frauen, die dann oft schon ein Kind hätten, für den Aufstieg nicht mehr berücksichtigt, erklärt Kobayashi.

Das wahre Hindernis für eine Emanzipation der Frauen scheint jedoch das konservative Frauenbild der von Männern dominierten Regierungspartei zu sein. Eine japanische „Prachtnelke“ (Nadeshiko) soll, so das offizielle Ideal vom Ende des 19. Jahrhunderts, opferbereit und dreifach gehorsam sein – als Tochter dem Vater gegenüber, als Ehefrau dem Ehemann und als Mutter dem Sohn. Daraus ergibt sich eine klare Arbeitsteilung in Japan: Frauen sind faktisch allein für die Betreuung und Versorgung erst der Kinder und des Ehemannes und dann für die Pflege der Eltern und Schwiegereltern zuständig. So verbringt eine Japanerin nach offiziellen Angaben siebenmal mehr Zeit mit Hausarbeit als ein Mann.

Dienerinnen statt Managerinnen

Die hohen Anforderungen führen dazu, dass immer weniger Frauen heiraten und Kinder bekommen wollen und dass erwerbstätige Frauen letztlich nur Karriere machen können, wenn sie unverheiratet und kinderlos bleiben. Die Erfolge der bisherigen Maßnahmen für mehr Chancengleichheit fallen bescheiden aus, weil sie den Frauen mit der Karriere eine zusätzliche Aufgabe geben, statt ihre hohe Belastung auf mehr Schultern zu verteilen.

„Die Frauen, die als Managerin Verantwortung übernehmen, sind Frauen, die sich enorm anstrengen, die sehr viel Energie haben, weil sie nämlich noch zusätzlich Haushalt und Erziehung übernehmen“, sagt Yukari Suzuki, Chief Officer für Diversität und Inklusion und erste Frau im Verwaltungsrat beim Kosmetikhersteller Shiseido, ebenfalls ein Pionier für mehr Gleichberechtigung. „Erst wenn die Männer sich um Haushalt und Kinder kümmern und die Gesellschaft das unterstützt, kommt die Zeit, in der Frauen ihre beruflichen Ziele ohne supergroße Anstrengungen verwirklichen können. Ein einzelnes Unternehmen kann das nicht schaffen, sondern die ganze Gesellschaft muss sich ändern.“

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