Green Finance wird zur „license to operate“
Von Annette Becker, Düsseldorf
Mehr als einen grünen Anstrich hat sich der Chemiekonzern Lanxess im November vorigen Jahres mit der Emission seiner ersten an die eigenen Nachhaltigkeitsziele gekoppelten Anleihe (Sustainability-Linked Bond, SLB) gegeben. Denn schon im März dieses Jahres folgte der zweite SLB, ebenfalls im Volumen von 600 Mill. Euro. Der Markt für diese Finanzierungstrumente ist da, die Nachfrage wächst stetig. Nach Angaben von Nordea brachten es SLBs 2021 auf einen Anteil von 9 % an allen ESG-Bonds. Ein Jahr davor waren es erst 2 %. Zwar will Lanxess-Finanzchef Michael Pontzen keine Garantie geben, dass sich der Chemiekonzern künftig nur noch nachhaltig finanziert. Doch handele es sich keineswegs um Eintagsfliegen, stellt der Manager klar. Langfristig, glaubt Pontzen, komme nachhaltige Finanzierung einer „license to operate“ (Betriebserlaubnis) gleich. Politisch sei das durchaus gewollt, mit der Taxonomie mache die EU Industriepolitik über den Kapitalmarkt.
Im Unterschied zu Green Bonds, bei denen der Erlös nur zur Finanzierung bestimmter Klimaschutzprojekte verwendet werden darf, dienen Einnahmen aus SLBs der Finanzierung allgemeiner Unternehmenszwecke. Lanxess beispielsweise nutzt die eingeworbenen Mittel zur Akquisitionsfinanzierung.
Doch wenngleich SLBs im Einklang mit dem Wunsch der Investoren stehen, in Unternehmen mit klarer Nachhaltigkeitsorientierung zu investieren, lässt sich das an den Finanzierungskonditionen keineswegs ablesen. Diese entsprechen in etwa den Konditionen herkömmlicher Bonds. Bei Green Bonds gibt es dagegen in aller Regel ein „Greenium“, sprich: einen geringeren Risikoaufschlag im Vergleich zu herkömmlichen Anleihen. Lanxess musste für den ersten SLB mit Laufzeit bis Ende 2029 einen Kupon von 0,625% bieten, für den im März emittierten Bond mit Laufzeit März 2028 wurden dem steigenden Zinstrend folgend dagegen schon 1,75 % fällig. Werden die im Reduktionspfad vorgeschriebenen Ziele verfehlt, erhöht sich der Kupon um 25 Basispunkte.
Mit der Emission von SLBs machten in Europa Unternehmen aus dem Versorgungssektor den Anfang – den ersten SLB emittierte Enel 2019 –, gefolgt von Firmen der Öl- und Gasindustrie. Lanxess gehört aber aus der deutschen Chemieindustrie zu den ersten ihrer Art. Das verwundert insofern nicht, als die Kölner schon im Herbst 2019 beim Thema Nachhaltigkeit in die Vorreiterrolle schlüpften und mit dem Slogan „Klimaschutz ist ein Business Case“ für Aufsehen sorgten.
Bis 2040 klimaneutral
Als erstes deutsches Unternehmen aus der Chemieindustrie traten die Kölner seinerzeit mit einem konkreten Plan zur Reduktion schädlicher Treibhausgase an die Öffentlichkeit. Keine Selbstverständlichkeit, tut sich die Chemieindustrie aufgrund der hohen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern als Rohstoff in puncto Nachhaltigkeit bekanntermaßen besonders schwer. Entsprechend hatte auch erst der Verkauf des Kautschukgeschäfts in Kombination mit der strategischen Abkehr von Massenmärkten Lanxess die neue Perspektive eröffnet. Konkret wollen die Kölner bis 2040 klimaneutral sein, bis 2030 sieht der Plan ausgehend von 2018 eine Halbierung der CO2-Emissionen vor (siehe Grafik).
Schon Ende 2019 hatte Lanxess die Hauptkreditlinie an das Erreichen einzelner ESG-Ziele (Environment, Social, Governance) gekoppelt. Seither ist der Zins für die 1 Mrd. Euro schwere Kreditlinie an die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen (Scope 1) und die Steigerung des Frauenanteils in den drei obersten Management-Ebenen geknüpft. Als Nächstes folgte die Aufnahme der Klimaziele in die variable Vergütungskomponente von Vorstand und Führungskräften. Die Emission des ersten SLB war von daher nur der nächste logische Schritt.
Den ersten Aufschlag zur nachhaltigen Finanzierung am Kapitalmarkt machte Lanxess im Mai 2021. Damals wurde ein Rahmenprogramm, „Sustainable Linked Financing Framework“, aufgelegt, welches das bestehende, 5 Mrd. Euro schwere Debt Issuance Programme ergänzte. Im November 2021 wurde das Rahmenwerk aktualisiert, um zeitnah den ersten SLB vom Stapel zu lassen. Die Aktualisierung war erforderlich, da der Reduktionspfad akquisitionsbedingt angepasst werden musste. Das hatte Lanxess jedoch von Beginn an offen kommuniziert.
Auslöser für die Anpassung war die im Februar angekündigte und im August 2021 abgeschlossene Übernahme des Spezialchemiekonzerns Emerald Kalama. Dadurch erhöht sich der Treibhausgasausstoß zunächst um 250 000 Tonnen (t), was zurückgerechnet auf das Geschäftsjahr 2020 einen Ausstoß von 2,8 Millionen t ergab und das für 2025 ursprünglich angesetzte Ziel von 2,4 Millionen t unerreichbar machte. Das neue Ziel für 2025 wurde allerdings nur um 200 000 t auf 2,6 Millionen t angehoben. Da Lanxess zugleich die Ziele für 2030 und 2040 beibehielt, hatten die Investoren ein Einsehen.
Zweitmeinung
Um Investoren für ein Investment in SLBs zu gewinnen, genügt es allerdings nicht, sich hehre Nachhaltigkeitsziele zu stecken. Vielmehr verlangt der Kapitalmarkt eine unabhängige Zweitmeinung zur Beurteilung der Ziele. Lanxess, die über ESG-Ratings von MSCI, Sustainalytics, ISS ESG, Ecovadis und Carbon Closure Project (CDP) verfügt, holte sich die Zweitmeinung von ISS ESG. Die Nachhaltigkeitsexperten prüfen einerseits, ob der gewählte Key Performance Indicator (KPI), in diesem Fall die CO2-Emissionen, als Zielgröße geeignet ist, und andererseits, ob der Reduktionspfad auch ambitioniert ist. Was die direkt beeinflussbaren CO2-Emissionen anbelangt, wird der Schlüsselindikator als maßgeblich eingestuft. Ein kleiner Schönheitsfehler bleibt jedoch: Da im KPI nur die direkten Emissionen (Scope 1) und die Emissionen aus dem Energieeinsatz (Scope 2) berücksichtigt sind, wird er mit Blick auf die komplette Wertschöpfungskette nicht als maßgeblich angesehen. Denn mit 85 % entsteht das Gros der CO2-Emissionen von Lanxess auf den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen (Scope 3).
SBTi als Goldstandard
Die Relevanz von Scope 3 ist Lanxess natürlich bewusst, doch ist es zum einen schwierig, den Umfang dieser Treibhausgasemissionen zu ermitteln und diese zum anderen zu verringern. Gerade auf Letzteres haben die Unternehmen nämlich nur in begrenztem Umfang Einfluss. Gleichwohl arbeitet Lanxess daran, auch diese Hürden zu nehmen. Denn Zielsetzung ist es, auch von der Science Based Target Initiative (SBTi) ein Gütesiegel zu erhalten. Das aber setzt voraus, die Scope-3-Emissionen zu definieren und einen Reduktionspfad aufzuzeigen. SBTi ist inzwischen auf dem besten Weg, sich zum Goldstandard in der Nachhaltigkeitsbeurteilung zu entwickeln.
Zuletzt erschienen:
Die Vorteile der Eigenständigkeit (27. April)