Nils Beier, Accenture Strategy

Der Weg zur Willens­erklärung einer Maschine

Nils Beier, Geschäftsführer im Bereich Finanzdienstleistungen bei Accenture Strategy, erläutert den Status quo beim Machine-to-Machine-Payment, Möglichkeiten sowie Hindernisse – und warum dieses Thema für die Zukunft der deutschen Industrie und Kreditwirtschaft sehr wichtig werden kann.

Der Weg zur Willens­erklärung einer Maschine

Franz Công Bùi.

Herr Beier, was muss man sich unter Machine-to-Machine-Payment vorstellen?

Noch gibt es kaum echte produktive Anwendungsfälle. Getestet wird das in Szenarien, bei denen eine Maschine arbeitet, und dann wird nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit eine Zahlung fällig, zum Beispiel nach tausend Rotationen oder wenn das Band zwei Stunden lang gelaufen ist. Im Verbraucherbereich geht es um Anwendungen, bei denen der Kühlschrank etwa feststellt, dass die Milch bald alle ist. Dann bestellt und bezahlt er, und die Milch wird geliefert. Andere Beispiele für Verbraucher sind die Fahrt zur Elektrotankstelle, wo das Auto aufgeladen wird und das Geld dann automatisch an einen Elektro-Provider bezahlt wird. Das sind so Vorstellungen, auf die wir zusteuern.

Kommen wir nochmal zu den Anwendungsszenarien im Industriebereich, konkret die Pay-per-Use-Modelle, also Bezahlung per Nutzung. Wo stehen wir da?

In der Breite ist noch nichts live. Ja, es gibt den Traktor, der übers Feld fährt und je nach Wetter, nach Feldkondition, nach Arbeitskraft, die er einsetzen muss, dann die fällige Leasingrate oder Abzahlrate begleicht. Oder den Gabelstapler, der im Werk eines Automobilherstellers herumfährt. An solchen Modellen wird bei verschiedensten Industrieunternehmen und Banken intensiv gearbeitet.

Würden Sie sagen, es gibt mehr Einsatzmöglichkeiten im B2B-Bereich als im B2C-Bereich?

Ein Konsument hat natürlich auch sehr viele einzelne Transaktionen. Doch für den hiesigen Standort ist der B2B-Bereich sehr wichtig und interessant. Im B2C-Bereich wird es aber auch abheben. Wieso sollten wir die ganzen Aufträge, die wir andauernd selbst erteilen, nicht einer Maschine überlassen? Das ist einfacher und schneller. Aber im B2B-Bereich ermöglicht das ganz andere Geschäftsmodelle und auch völlig neue Zusammenarbeitsmodelle als heute. Das Marktpotenzial ist enorm, denn bei allem, was Maschinen heute untereinander abwickeln können, fehlt immer der zweite Teil dazu, nämlich die Bezahlung dieser Leistung. Allein die Anzahl der Transaktionen, also nicht das Volumen der Transaktionen, aber die Anzahl sollte dramatisch hochgehen.

Wann ist mit einer breiten Durchdringung des Marktes zu rechnen?

Ich schätze, in fünf Jahren, früher nicht. Aber ich hoffe, ich täusche mich und das geht schneller. Da sind jedoch noch viele rechtliche und regulatorische Probleme, die zeitlich nicht mit der technischen Entwicklung einhergehen. Die technische Entwicklung verläuft exponentiell, die regulatorische Rahmensetzung hinkt immer noch hinterher.

Ist schon erkennbar, welche Technologien zum Einsatz kommen werden?

Bei diesen sogenannten M2M-Payments muss man nicht immer sofort an Blockchain denken. Es gäbe auch die Möglichkeit, das über die klassischen Zahlungsverkehrsmethoden abzuwickeln. Das wird tatsächlich teilweise gemacht. Aber das eigentliche Potenzial liegt schon in der Möglichkeit, diese Abwicklung erstens hocheffizient und zweitens intelligent zu machen. Denn der eigentliche Wert von M2M-Payment liegt darin, dass alles in die Maschine integriert wird, was nötig ist, um eine flexible Zahlung abzuwickeln.

Was ist denn dabei alles zu be­achten?

Das geht bei der rechtssicheren Identifizierung los, also welche Maschine mit wem kommuniziert, sodass das dann auch einklagbar ist. Daran wird noch gearbeitet. Das Zweite ist, dass die Regel, mit der abgewickelt wird, flexibel ist. Heute kann man ohne Probleme Daueraufträge programmieren. Also, wenn das kommt, dann wird das bezahlt. Aber das reicht nicht aus, die Regeln müssen sehr viel flexibler werden. Und das ist derzeit im Wesentlichen über die Blockchain abbildbar, über Smart Contracts und tokenisiertes Geld. Die Blockchain weckt die Hoffnung oder gibt das Versprechen, in Zukunft sehr viel effizienter zu sein als die tradierte Abwicklung des Zahlungsverkehrs über einen zentralen Ledger.

Und über welche Währungen könnte M2M-Payment laufen?

Eine digitale Zentralbankwährung existiert noch nicht, aber die wird es wahrscheinlich bald geben. Es gibt andere Stablecoins, die sich an nationalen Währungen orientieren, aber von privaten Institutionen ausgegeben werden. Und es gibt weitere Digitalwährungen, die völlig unabhängig von zentralen Währungen sind. Die Zentralbankwährungen haben aber einen großen Vorteil: Das Geld in der Abwicklung ist verdammt sicher, was im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr eine wichtige Rolle spielt. Es ist aber ziemlich offen, in welchen Währungen es M2M-Payments geben wird. Es kann sich z.B. ein Sparkassen-Coin oder ein J.P.-Morgan-Coin oder ein Daimler-Coin durchsetzen. Wichtig ist, dass es eine Interoperabilität der unterschiedlichen Plattformen und Technologien gibt, nicht nur innerhalb des digitalen Geldes, sondern auch zwischen dem digitalen Geld und der bestehenden, traditionellen Zahlungsverkehrsinfrastruktur.

Wäre es nicht wünschenswert, wenn der digitale Euro, insofern er kommt, hier eingesetzt würde?

Es spricht überhaupt nichts dagegen, eine Plattform und eine Standardisierung über ein zentrales, staatliches Institut nach vorne zu bringen. Aber mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung des Kundennutzens und die Innovationskraft sollte man private Anbieter nicht außen vor lassen.

Warum?

Es ist sehr gut, dass die EZB erwägt, einen digitalen Euro auf den Markt zu bringen. Aber die Abstimmung mit den Banken ist hier wichtig, da diese den Kundenkontakt halten und für Innovation und Technologie stehen. Wo die Wertschöpfung von Zentralbank aufhört und den privaten Instituten anfängt, das ist eine ganz wichtige Entscheidung. Das hat nicht nur Implikationen im Hinblick auf Innovation, Geschwindigkeit und Kundennähe, sondern auch auf das volkswirtschaftliche Gleichgewicht und unser Verständnis von Geldpolitik. Das Thema ist hochsensibel, weil jede Veränderung des heutigen Systems Auswirkungen auf das Bankensystem hat.

Wie müsste ein Rechtsrahmen für M2M-Payment aussehen?

Heute haben wir als Vertragspartner im Wesentlichen juristische oder natürliche Personen. Und Handlungsorgane von juristischen Personen sind am Ende immer natürliche Personen. Wenn wir jetzt Maschinen erlauben, rechtskräftige Verträge abzuschließen, rüttelt das natürlich deutlich an unseren vertragsrechtlichen Prinzipien, nämlich, dass ein Vertrag durch Willenserklärung zustande kommt. Wie soll eine Maschine eine Willenserklärung abgeben können? Hier muss man neu regeln, dass solche Verträge tatsächlich rechtsgültig sind. Das zweite Thema ist die Identität. Wie kann eine Maschine eine rechtsgültige Identität bekommen, sodass Verträge tatsächlich abgeschlossen werden können? Das hat viel mit Technik zu tun, ist aber letztlich auch ein regulatorisches Thema. Und dann gibt es noch das Thema Sicherheit, denn das ist ja alles relativ offen und somit angreifbar. Das muss aber auch offen sein, damit Interoperabilität gewährleistet ist. Beim Thema Sicherheit müssen noch Standards gesetzt werden.

Sind denn Banken und andere etablierte Finanzdienstleister für M2M-Payments gut aufgestellt?

Die Banken haben natürlich Vorteile, da sie sowohl bereits über die Kundenbeziehungen verfügen als auch den Markt kennen. Natürlich gibt es die Diskussion darüber in Deutschland, wie die Banken mit dem Thema Zahlungsverkehr umgegangen sind und wie es um das Know-how bei neuen Technologien steht. Aber die Banken sind jetzt auch nicht so ganz langsam und bewegen sich in die richtige Richtung. Einige deutsche Banken zum Beispiel haben relativ früh angefangen, sich mit der Blockchain zu befassen und sind beim Thema Krypto auch auf dem richtigen Weg.

Sind nicht enorme Systemumstellungen erforderlich? Muss nicht etwas völlig Neues für M2M-Payment aufgesetzt werden?

Die Zahlungsverkehrssysteme, die heute zum Einsatz kommen, sind durchoptimiert für das, was sie heute leisten müssen. Da wurde in den vergangenen 20 Jahren viel reininvestiert. Das ist aber vielleicht auch Teil eines Problems, denn die Frage stellt sich, wieso jetzt in etwas anderes investiert werden sollte, wie man die Investitionen schützen kann. Technisch gesehen muss für Interoperabilität gesorgt werden, aber das ist durchaus machbar. Die Herausforderung besteht auch aus kultureller und organisatorischer Perspektive.

Was meinen Sie hier mit kulturell und organisatorisch?

Jede Organisation muss sich auf Neues sehr schnell einstellen und einlassen können. Da spielt das konkrete Innovationsthema gar keine Rolle. Es stellt sich immer die Frage, hält die Organisation am Alten fest oder lässt sie sich auf das Neue ein?

Wie ist das bei Industrieunternehmen, die M2M-Payment-Anwendungen in ihren Anlagen einsetzen wollen? Sind die für die erforderlichen Umstellungen gerüstet?

Das sind schon enorme Veränderungen im Zusammenhang auch mit der sogenannten Industrie 4.0 oder auch Industrie X. Das zieht enorme Umstellungen der Lieferart oder der Produktionsweisen, der Zusammenarbeitsmodelle oder der Lieferstrecken nach sich. Da kann es sein, dass fünf Jahre gar nicht ausreichend sind, um wirklich signifikante Veränderung zu sehen. Denn die Assets, die heute produzieren, die laufen gefühlt die nächsten 20 Jahre weiter. Das sind langlaufende Investitionen. Aber das ist mit Blick auf den Standort Deutschland ein enorm wichtiges Thema. Im Maschinen- und Anlagenbau sind wir in Europa relativ allein und weltmarktführend.

Heißt das, Deutschland ist auf dem richtigen Weg?

Es gibt ja noch einen zweiten Punkt, den wir meiner Meinung nach gut können, auch wenn man es gar nicht glaubt, nämlich Regulierung. Das gelingt hier besser als anderswo. Und Regulierung ist unglaublich wichtig für den Erfolg von Standorten und das Zusammenkommen von neuen Themen. Und was ist bei M2M-Payment wichtig? Schnelle und effiziente Regulierung sowie die Kenntnis von Maschinen. Deswegen ist das Potenzial hier enorm und eine echte Chance für den Standort.

Das Potenzial ist unbestritten, aber ist die Maschinenbaubranche tatsächlich schon so weit, dass sie sich auf diese Szenarien vorbereitet und darauf einlässt?

Eine gewisse Gefahr sehe ich da durchaus auch. Es wäre schon enorm wichtig, dass das in unserer Kernindustrie, in der wir eigentlich Weltmarktführer sind, nicht passiert, dass wir ins Hintertreffen geraten. Ein guter Indikator sind derzeit die Werbepartner der Fußball-EM. Hier dominieren asiatische Unternehmen, die den Anspruch haben, Weltmarktführer zu sein. Wir in Europa müssen mit innovativen, neuen Konzepten reagieren. Und das schnell.

Das Interview führte