Erste Banken experimentieren mit Quantencomputern
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Quantencomputing könnte der Finanzbranche – und nicht nur ihr – völlig neue Perspektiven eröffnen. Potenzielle Einsatzgebiete von auf der Quantentechnologie aufbauenden Computern (s. eingeblockten Text) sind beispielsweise Portfoliooptimierung, Risikoeinschätzung oder Betrugsprävention, sagt Stefan Wörner, der für IBM Quantum in Zürich für die Forschung zu entsprechenden Applikationen und Software verantwortlich ist. Der Mathematiker ist überzeugt, dass ein Großteil möglicher Anwendungsfälle noch gänzlich im Dunkeln liegt. „Wir kennen schon einige, aber da Quantencomputer völlig anders funktionieren als herkömmliche, werden wir vieles entdecken, das wir noch gar nicht kennen. Deshalb gehe ich davon aus, dass Quantencomputing verschiedenste Industrien revolutionieren kann.“
Anwendungsfälle gesucht
IBM, das sich als Vorreiter sieht, hat im Juni nach eigenen Angaben gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft den ersten kommerziellen Quantencomputer in Deutschland vorgestellt. Der erste IBM Quantum System One, der sich außerhalb eines IBM-Forschungslabors befindet, steht seitdem in Ehningen bei Stuttgart Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten für Projekte und Aufgaben zur Verfügung. Er kommt in der Anwendungsforschung zum Einsatz. „Wir wollen herausfinden, was man mit Quantencomputing anders machen kann, wie man Probleme lösen kann, die man vorher nicht lösen konnte“, berichtet der Freiburger. Von vielen kommerziellen Anwendungen sei man aber noch ein paar Jahre entfernt. „Wir planen für 2023 erste, im Prinzip schon kommerzielle Services, die Unternehmen dann auch über die Cloud beziehen und in den Businessprozess integrieren können.“ Ob diese dann aber schon so weit sind, einen Mehrwert zu liefern, sei aktuell schwer zu sagen, erläutert Wörner.
Vorstellbar sei ein Einsatz im Finanzwesen etwa in der Portfoliooptimierung. „In welche Aktien soll ich innerhalb eines bestimmten Budgets und Risikoprofils investieren, um damit den Ertrag zu maximieren? Heuristiken, die über Quantencomputer laufen, können hier bessere Lösungen bieten als klassische Verfahren“, sagt Wörner. Die seien zwar nicht unbedingt schneller, lieferten aber höhere Qualität, wenn es etwa darum gehe, aus vielen möglichen Optionen die beste herauszufinden. Denn ein Quantencomputer, stellt Wörner klar, funktioniere völlig anders. „Anstatt konventionelle Algorithmen schneller auszuführen, sucht man einen anderen Lösungsweg, der weniger Schritte benötigt. Das heißt, dass er schneller zum Ziel kommt, obwohl er anfangs wahrscheinlich noch langsamer sein wird als ein klassischer Computer.“
Ein weiteres Aktionsfeld sei das Machine Learning. Hier könnten Quantenalgorithmen zum Einsatz kommen, die mit höherer Genauigkeit z.B. entscheiden, ob eine Kreditkartentransaktion in betrügerischer Absicht unternommen wird oder nicht. Generell sei Finanzkriminalität ein ausgedehnter Anwendungsbereich, so auch in der Kundenidentifizierung (KYC). Wörners Hoffnung ist, dass bis 2023 erste Anwendungen, ob im Finanzwesen, in der Chemie oder in der Materialforschung, von Quantencomputing profitieren können.
Auch in der Risikobewertung, beispielsweise von Krediten, könnten Quantencomputer Einzug halten. Seiner Einschätzung nach werden, bis es so weit ist, jedoch bis zu zehn Jahre ins Land gehen. So seien Algorithmen mit Daten aus Firmenbilanzen sowie Gewinn-und-Verlust-Rechnungen gefüttert und mit öffentlich verfügbaren Ratings angereichert worden, um so Inkonsistenzen in den Ratings zu finden oder zu versuchen, Ratingänderungen vorherzusagen. „Es geht derzeit aber weniger darum, größere Datenmengen zu bewältigen oder schneller zu sein, sondern wir erarbeiten Verfahren, die potenziell die Genauigkeit von Modellen erhöhen können“, verdeutlicht der IBM-Experte.
Mehr und mehr Banken experimentieren mit Quantencomputing, sagt Wörner. Goldman Sachs und J.P.Morgan Chase etwa hätten eigene Teams aufgebaut, um sich für den Moment in Stellung zu bringen, in dem erste Anwendungen operativ genutzt werden können. Noch bestehe zwar nicht die Möglichkeit für Banken, Quantencomputing-Dienstleistungen zu beziehen. Sie könnten jedoch dem IBM-Netzwerk beitreten und so Zugang zu den Maschinen erhalten. „Wir arbeiten mit vielen Partnern, unter anderem im Finanzwesen, zusammen“, verdeutlicht Wörner.
Künftig wird seiner Einschätzung zufolge Quantencomputing neben klassischem Computing bestehen. Die neuen Verfahren würden die alten nicht verdrängen. „Von manchen Dingen wissen wir, dass ein Quantencomputer sie nicht besser erledigen wird als ein herkömmlicher Computer. Quantencomputer können aber für bestimmte Probleme eine Art Beschleuniger sein.“
Einige Mitgliedsinstitute des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) experimentieren nach dessen Angaben mit Quantencomputern oder Quantenalgorithmen, wenn auch noch „in einem sehr frühen Stadium“. Der Verband bezeichnet so wie Wörner die Portfoliooptimierung und die Erkennung von Anomalien und Betrug in Finanztransaktionen mittels Quantenalgorithmen als interessantes Einsatzfeld. Daran werde von PlanQK geforscht, einem Zusammenschluss von Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die seit Beginn vergangenen Jahres künstliche Intelligenz und Quantencomputing zu verbinden suchen. Der BdB ist assoziierter Partner von PlanQK.
Auch wenn es weltweit bislang aufgrund der hohen Anschaffungs- und Betriebskosten von Quantencomputern nur wenige davon gebe, so wetteiferten Big Techs wie Amazon und Google darum, Nutzbarkeit und Leistungsstärke der bestehenden Systeme zu verbessern, so der BdB. In Zukunft sei daher mit einer höheren Marktreife und Kostensenkungen zu rechnen, zudem mit einer höheren Zahl von sogenannten Qubits, die als Maß für die Leistungsfähigkeit solcher Geräte gälten.
McKinsey rechnet damit, dass Quantentechnologien von 2025 an in den Branchen Pharma, Chemie und nachhaltige Energien wirtschaftlichen Nutzen spenden werden, in der Finanzindustrie erst 2030. Allerdings sei dort das Wertschöpfungspotenzial auch am höchsten. Zu den Quantentechnologien zählt die Unternehmensberatung neben Quantencomputing auch Quantenkommunikation, die eine sicherere Übertragung von Quanteninformationen erlaube, und Quantum Sensing, eine neue Generation von Sensoren.