Defilee der Alpha-Generatoren
Von Bernd Neubacher, Frankfurt
Wollen Europas Banken einen Blick in eine bessere Zukunft werfen, dann müssen sie sich jenseits des Atlantiks umschauen: Während in der Alten Welt das Zinstief noch für geraume Zeit am Ertrag der Banken zehren dürfte, treibt in den Vereinigten Staaten die Aussicht auf steigende Zinsen schon seit längerem die Aktienkurse der Kreditinstitute an. Parallel dazu hat die Schar der Analysten im Falle von Universalbanken wie J.P. Morgan oder Wells Fargo, aber auch im Falle von Broker-Dealern wie Morgan Stanley und Goldman Sachs ihre Ergebniserwartung in den vergangenen Wochen spürbar angehoben.
Das Kalkül ist simpel
Das Kalkül ist simpel: „Banken sind klare Alpha-Generatoren, wenn die Zinsen steigen“, postuliert Morgan Stanley. Der Sektor der Banken und diversifizierten Finanzdienstleister sei darüber hinaus auch der einzige, der sich im Falle steigender Realzinsen regelmäßig besser schlage als der S&P500. Neben anziehenden Realzinsen sollten im laufenden Jahr demnach steigende Löhne für einen sehr positiven Ausblick für Bankaktien sorgen, auch vor dem Hintergrund stärkeren Kreditwachstums.
Kletternde Zinsen ermöglichen es den Banken in der Theorie, ihre Nettozinsmarge im Kreditgeschäft auszubauen. Einen guten Teil des Kurspotenzials haben die Anleger indes bereits verfrühstückt, bevor die Federal Reserve zum ersten Mal seit Jahren ihre Fed-Funds-Zielrate heraufsetzt. Wie die Nachrichtenagentur Dow Jones vorrechnet, sind in den zurückliegenden zwölf Monaten etwa die Titel von Goldman Sachs und Wells Fargo um 47% bzw. um gar 75% haussiert, während der S&P 500 nur um rund 23% anzog. Gleichwohl signalisieren die Bewertungen nach wie vor Aufwärtsspielraum. So kommt der breite KBW Bank Index ETF derzeit auf gerade einmal 62 % des Kurs-Gewinn-Verhältnisses des S&P500. In den vergangenen zehn Jahren waren es laut Dow Jones durchschnittlich rund 70%.
Zinsüberschuss zieht an
Da kommt die Ergebnissaison zum Schlussquartal und zum Gesamtjahr 2021 den Anlegern gerade recht, um ihnen neue Gründe für Aktienkäufe zu liefern. J.P. Morgan merkt etwa an, das Wachstum der Vergabe der gewerblichen und industriellen Kredite habe schon gegen Ende des Schlussquartals deutlich angezogen. Zu einem erhöhten Nettozinsüberschuss soll sich demnach ein starkes Investment Banking gesellen, das höhere Kosten infolge von Inflation und verbesserten Erträgen kompensiert. Zur Wahrheit über das Geschäft der US-Banken momentan gehört freilich ebenso, dass die Auswirkungen der Omikron-Virusvariante auf die operative Entwicklung nach wie vor ungewiss sind und dass die Entwicklung der Konsumentenkredite nach wie vor auf Niveaus vor der Pandemie verharrt.
Die Ergebnissaison wird bereits am heutigen Freitag eingeläutet. Dann werden J.P. Morgan, Citigroup sowie Wells Fargo ihre Zahlen publizieren; Goldman Sachs folgt am Dienstag kommender Woche, bevor tags darauf Bank of America und Morgan Stanley den Reigen beschließen werden. Von J.P. Morgan erwarten die Marktauguren dabei einen Quartalsgewinn von 3 Dollar je Aktie bei Erlösen von 29,85 Mrd. Dollar. Vor Jahresfrist hatte die nach Börsenwert größte Bank der USA sogar 12,1 Mrd. Dollar oder 3,79 Dollar je Titel verdient bei Einnahmen von 29,2 Mrd. Dollar. Damals stand hinter dem Ergebnis aber kein offenbar tragfähiger Trend wie momentan, sondern vor allem eine milliardenschwere Auflösung von Risikovorsorge nach dem ersten Pandemieschock.
Straffung hat ihre Tücken
Dass die geldpolitische Straffung durchaus ihre Tücken hat, rief dieser Tage J.P.-Morgan-Chef James Dimon dem Markt in Erinnerung. Drei Zinsschritte der Notenbank im laufenden Jahr dürften die Wirtschaft und die Märkte „sehr leicht“ verkraften können, erklärte der Manager in einem Interview. Er rechne indes mit einer kräftigeren Straffung, fügte er hinzu. „Ich persönlich wäre überrascht, wenn es nur vier wären“, sagte Dimon mit Blick auf die zu erwartende Zahl der Zinserhöhungen.
Eine unerwartet zügige Anhebung der Leitzinsen birgt freilich das Risiko von Kurskapriolen am Markt, wie die Vergangenheit lehrt. Dimon gibt sich fürs Erste gleichwohl zuversichtlich und vertraut aufs Glück: „Wenn wir Glück haben, schaffen sie eine Beruhigung, die Inflation wird sinken, und wir werden eine sanfte Landung erleben“, erklärte der Branchenveteran.